Wirkungsvolle Nachhaltigkeit entlang der Wertschöpfungskette

Dr. Renate Vachenauer

Gastbeitrag von Dr. Renate Vachenauer, Mitglied des Vorstands, Ressort Beschaffung, AUDI AG | Artikel aus dem Handelsblatt Journal „Die Zukunft der Automobilindustrie“ vom 25.10.2023

Nachhaltigkeit ist bei Audi die Basis für weiteres wirtschaftliches Wachstum und fester Bestandteil der Audi Unternehmensstrategie. Ganzheitliche Nachhaltigkeit bedeutet für uns, dass wir den kompletten Lebenszyklus eines Fahrzeugs in den Blick nehmen – von der Beschaffung über die Produktion und die Nutzungsphase bis hin zum Recycling. Audi arbeitet mit rund 14.000 Zuliefererpartnern in mehr als 60 Ländern zusammen. Das erfordert ein intelligentes Lieferketten-Management und ist ein großer Hebel für eine nachhaltigere Zukunft. Gemeinsam mit unseren Partnern betrachten wir wirkungsvolle Maßnahmen am Beginn der Wertschöpfungskette eines Audis: von Dekarbonisierung bis Kreislaufwirtschaft.

Einen Audi herzustellen ist komplex und aufwändig, denn die vielen tausend Einzelteile und dafür notwendigen Rohstoffe kommen aus weit verzweigten Lieferketten. Unser Einfluss und damit auch unsere Verantwortung sind groß: Wir wollen die Auswirkungen auf Mensch und Umwelt möglichst gering halten und, wo immer möglich, Veränderungen zum Positiven schaffen. Bei Audi haben wir uns hohe Ziele gesteckt: Auf der Straße werden unsere neu zugelassenen Fahrzeuge durch die konsequente Umstellung auf Elektromobilität und mit Grünstrom in absehbarer Zukunft kein CO2 mehr beim Fahren ausstoßen. Wir richten deshalb unseren Fokus verstärkt darauf, auch die Treibhausgas-Emissionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu reduzieren. Alle Maßnahmen zahlen auf das Ziel ein, bis 2050 ein bilanziell 1 CO2-neutrales Unternehmen zu sein. So sollen bereits bis 2025 alle Audi-Produktionsstandorte weltweit bilanziell CO2-neutral arbeiten. Schon heute gilt das für unsere Werke in Győr und Brüssel und ab Januar 2024 auch für Ingolstadt, unser Stammwerk. Darüber hinaus sehen wir unsere weit verzweigte Lieferkette als Chance, positive Veränderungen zu generieren. Das Vermeiden von Umweltschäden, ein sorgsamer Umgang mit Ressourcen und soziale Verantwortung zählen hierzu. Dafür kooperiert Audi eng mit seinen Zulieferpartnern. Mit dem so genannten „S-Rating“ („Sustainability-Rating“), fragen wir die Leistungen unserer Zulieferer in Sachen Nachhaltigkeit mit dem Schwerpunkt Umwelt und Soziales ab. Es ist ein verbindliches Kriterium für die Zusammenarbeit und gleichgestellt zu allen weiteren Vergabekriterien wie Kosten, Technologische Kompetenz, Qualität oder Logistik.

Dekarbonisierungsprogramm in der Lieferkette
Im Strategiefeld Umwelt haben wir in der Beschaffung ein Dekarbonisierungsprogramm gestartet, bei dem die Lieferkette genau unter die Lupe genommen wurde, um zielgerichtete Verbesserungen auf den Weg zu bringen. Unter anderem haben wir damit die Bauteile identifiziert, die ein hohes Einsparpotenzial haben. Exemplarisch für die Reduktion von CO2-Emissionen in der Lieferkette steht seit 2017 der Aluminium Closed Loop. Etabliert wurde dieser bereits an den Standorten Ingolstadt, Neckarsulm, Győr und im Mehrmarkenwerk Bratislava. Die Aluminiumverschnitte aus unseren Presswerken geben wir sortenrein an unsere Zuliefererpartner zurück, die diese zur Herstellung neuer Aluminiumbleche verwenden. Man spricht dabei von sogenannten „Post-Industrial-Rezyklaten“ aus Produktionsprozessen. Gegenüber Primäraluminium werden rund 95 Prozent Energie eingespart. Allein 2022 wurden mit dieser und weiteren Maßnahmen – wie beispielsweise dem Einsatz CO2-reduzierter Materialien oder der Anforderung, Grünstrom für die Herstellung von Batteriezellen für unsere Elektroautos zu verwenden – in der Lieferkette bilanziell 375.000 Tonnen CO2 vermieden. Die Maßnahmen in der Lieferkette sind fester Bestandteil der Nachhaltigkeitsanstrengungen der gesamten AUDI AG. Gemessen werden sie mithilfe des Dekarbonisierungsindex (DKI). Dieser bezieht die gesamte Wertschöpfungskette ein – von der Gewinnung von Rohstoffen und der Produktion über die Kraftstoff- und Strombereitstellung und die Fahremissionen bis hin zum Recycling.

Potenziale der Kreislaufwirtschaft nutzen
Der Einsatz von Rezyklaten spielt neben dem Aspekt der Dekarbonisierung auch eine wichtige Rolle zur Schonung von Ressourcen. Neben Aluminium fokussieren wir uns auf weitere wesentliche Materialien, die in unseren Fahrzeugen verbaut sind: Stahl, Glas, Kunststoffe und die Batterie. Doch Rezyklat ist nicht gleich Rezyklat. Deshalb unterscheiden wir bei Audi zwischen Post-Industrial-Rezyklaten und Post-Consumer-Rezyklaten. Dabei handelt es sich um Materialen, die zum Beispiel aus Altfahrzeugen gewonnen werden können und bereits einen Produktzyklus lang von Kund:innen genutzt wurden. Das Potenzial ist riesig. Denn nach einem Fahrzeugleben muss noch lange nicht Schluss sein. Das klare Ziel für Audi: Vermehrt Rezyklate insbesondere aus Post-Consumer-Quellen einsetzen, um Ressourcen, Energie und damit auch CO2 einzusparen – genau dort, wo es technisch machbar, ökologisch sinnvoll und ökonomisch vertretbar ist.

Vom Pilotprojekt zur Serie
Bei den Windschutzscheiben im Audi Q4 e-tron sind wir diesen entscheidenden Schritt gegangen: Hier kann durch Recycling bei unseren Partnerunternehmen aus beschädigtem und nicht mehr reparierbarem Autoglas in einem mehrstufigen Prozess neuer Wertstoff gewonnen werden. Dafür werden die Autoscheiben zunächst zerkleinert und anschließend glasfremde Störstoffe wie Kleberreste aussortiert. Das so gewonnene Glasgranulat wird gemeinsam mit Primärmaterial eingeschmolzen und zu neuem Flachglas verarbeitet. Aus diesem Flachglas entsteht dann eine neue Autoscheibe. Seit September 2023 kommen erstmalig für die Automobilindustrie bis zu 30 Prozent dieser Post-Consumer-Scherben für die Produktion von Windschutzscheiben in der gesamten Audi Q4 e-tron Baureihe zum Serieneinsatz. Auch der Stahlschrott aus Altfahrzeugen lässt sich für die Herstellung von hochanspruchsvollen Stahlbauteilen nutzen. Ein Beispiel ist die Wiederverwendung von recyceltem Stahl in der Audi A4-Produktion. In einem Pilotprojekt konnte Audi aus Stahlcoils mit einem Rezyklatanteil von etwa 12 Prozent bis zu 15.000 Türinnenteile für den Audi A4 herstellen.

Den Wert von Produkten und Materialien so lange wie möglich erhalten
Getreu dem Motto „Nichts verschwenden, sinnvoll wiederverwenden“ ist es für uns ein wichtiges Anliegen, ein sogenanntes „Downcycling“ der wertvollen Materialien aus Altfahrzeugen zu vermeiden. Bisher wird zum Beispiel gewonnener Stahl oft zu Baustahl, Autoglasscheiben werden unter anderem zu Dämmmaterial verarbeitet. Das bedeutet, dass die Qualität des neuen Produkts aus Recyclingmaterial niedriger ist als die des Ursprungsprodukts – eine Abwärtsspirale. Diese Spirale wollen wir durchbrechen. Deshalb treibt Audi Kreislaufwirtschaftsprojekte voran, um perspektivisch mehr Materialien und Bauteile in einem gleichwertigen Kreislauf führen zu können, ohne Abstriche bei Qualität und Sicherheit zu machen. Ein Beispiel dafür ist das Pilotprojekt MaterialLoop. Gemeinsam mit unseren Partnern wurden Fahrzeuge, die am Ende ihres Lebenszyklus standen, demontiert und bis ins Detail auf Wiederverwendbarkeit untersucht. Dadurch haben wir Rückschlüsse ziehen können, wie wir gewonnene Post-Consumer-Rezyklate mit möglichst hoher Qualität wieder in den Produktionszyklus neuer Fahrzeuge zurückführen können. Zusätzlich fanden wir auch Antworten auf Fragen wie: Wie können wir schon im Designprozess für Sortenreinheit und damit eine verbesserte Recyclingfähigkeit sorgen? Wie müssen einzelne Bauteile gestaltet werden, damit sie sich leichter demontieren lassen? Denn Kreislaufwirtschaft ist weit mehr als der vermehrte Einsatz von Rezyklaten.

Nachhaltigkeit wird zur Kerneigenschaft eines Fahrzeugs
Diese Beispiele zeigen eindrücklich das Potenzial, das wir durch die Etablierung von Kreisläufen heben können. Diese Kreislaufwirtschaftsprojekte und das Dekarbonisierungsprogramm liefern einen wichtigen Beitrag zur Nachhaltigkeitsperformance unseres Unternehmens. Gemeinsam mit dem Design, der Technischen Entwicklung und vielen weiteren Bereichen bei Audi sowie unseren Partnern arbeiten wir daran, dass Umweltkriterien wie CO2-Reduktion und der Einsatz von Rezyklaten zu Kerneigenschaften unserer Fahrzeugprojekte werden. Denn Nachhaltigkeit muss das erste sein, an das wir denken.

Wir treiben Kreislaufwirtschaftsprojekte voran, um perspektivisch mehr Materialien und Bauteile in einem gleichwertigen Kreislauf führen zu können, ohne Abstriche bei Qualität und Sicherheit zu machen

1 Unter bilanzieller CO₂-Neutralität versteht Audi einen Zustand, bei dem nach Ausschöpfung anderer in Betracht kommender Reduktionsmaßnahmen in Bezug auf verursachte CO₂-Emissionen durch die Produkte oder Tätigkeiten von Audi weiterhin vorhandene und/oder im Rahmen der Lieferkette, Herstellung und des Recyclings der Audi Fahrzeuge aktuell nicht vermeidbare CO₂-Emissionen durch freiwillige und weltweit durchgeführte Kompensationsprojekte zumindest mengenmäßig ausgeglichen werden. Während der Nutzungsphase eines Fahrzeugs, das bedeutet ab Übergabe eines Fahrzeugs an Kund:innen, anfallende CO₂-Emissionen werden hierbei nicht berücksichtigt.