Autobranche ächzt unter dem Chipmangel

Autobranche ächzt unter dem Chipmangel

Lieferengpässe belasten die Autohersteller weltweit, drücken die Absatzzahlen. Und die Halbleiter-Lieferanten können keine Entwarnung geben.

Die deutschen Autokonzerne klagen über andauernde Lieferengpässe bei Halbleitern. „Die weltweite Unterversorgung unserer Branche mit Mikrochips ist allgegenwärtig“, warnte BMW-Chef Oliver Zipse Anfang August. Bislang habe sein Konzern die Auswirkungen des Engpasses noch vergleichsweise gut abfedern können. Seit Kurzem seien aber auch die BMW-Werke betroffen. Die Folge: Angesichts des Mangels an Halbleitern sowie steigender Rohstoffpreise „wird das zweite Halbjahr für die BMW Group etwas herausfordernder sein als das erste“, sagte Zipse.

BMW musste Anfang August die Produktion in Regensburg pausieren. In Leipzig, Dingolfing und Oxford wurde die Fertigung ebenso gedrosselt wie bei den Auftragsfertigern Nedcar und Magna Steyr. Tausende Fahrzeuge konnten nicht gebaut werden. Mittlerweile laufe die Produktion in den europäischen Fabriken zwar wieder normal, erklärte BMW-Finanzchef Nicolas Peter dem Handelsblatt. „Echte Einschränkungen haben wir momentan aber bei unserem Joint Venture BBA im Werk Dadong, wo wir teilweise nur eine Schicht pro Tag fahren“, räumt der Manager ein. Dadong ist ein Stadtbezirk der Millionenmetropole Shenyang, in dem BMW jährlich etwa 290.000 Einheiten der Baureihen X3, iX3 und 5er fertigt.

Daimler korrigierte wegen der Lieferengpässe zuletzt die Absatzprognose nach unten. Der Konzern erwartet im Gesamtjahr für seine Autosparte Mercedes-Benz nur noch Verkäufe auf dem Niveau des Vorjahres und nicht mehr deutlich darüber. Bei den Schwaben standen zuletzt immer wieder die Bänder still. Im August sah sich der Konzern dazu gezwungen, die Fertigung in Bremen, Rastatt und Sindelfingen zu drosseln. Tausende Beschäftigte müssen kurzarbeiten. „Die Situation ist weiterhin volatil. Wir fahren auf Sicht“, erklärte eine Sprecherin dem Handelsblatt.

Auch VW leidet an dem Chipmangel. VW-Finanzchef Arno Antlitz sah sich zur Vorlage der Halbjahreszahlen Ende Juli dazu gezwungen, die optimistischen Prognosen des Konzerns zu korrigieren. Durch die „Halbleiter-Thematik“ erwarte VW nun Beeinträchtigungen im dritten Quartal.

So geht Antlitz davon aus, dass VW in der zweiten Jahreshälfte nicht an die hohe Marge von knapp neun Prozent aus dem ersten Halbjahr anknüpfen kann. Besonders gravierend wirkt sich die Mangelverwaltung im wichtigen chinesischen Markt aus. Die Absatzzahlen von VW sanken in der Volksrepublik im zweiten Quartal um mehr als zwölf Prozent. Der Chipmangel belastet bei VW vor allem das Geschäft mit der Kernmarke Volkswagen. Denn wie die meisten Autohersteller lenkt der VW-Konzern die Chips vor allem dorthin, wo sie am meisten Ertrag versprechen, also hin zu den Premium- und Luxusmarken wie Porsche und Audi.
Der Chipmangel belastet dabei die Autobranche weltweit. Voraussichtlich 1,4 Millionen Fahrzeuge könnten 2021 wegen fehlender Chips nicht gebaut werden, teilte der Opel-Mutterkonzern Stellantis beispielsweise mit. Auch bei Ford dürften 1,1 Millionen Einheiten dieses Jahr verloren gehen.

Nach Berechnungen des CAR-Instituts dürfte der branchenweite Absatz infolge des Chipmangels 2021 um 5,2 Millionen Einheiten geringer ausfallen als möglich. Experten gehen unterdessen davon aus, dass es noch lange zu Lieferengpässen kommt. „Das Thema wird uns bis weit ins nächste Jahr beschäftigen“, sagt Marcus Kleinfeld von der Beratungsgesellschaft Alix Partners dem Handelsblatt. In den vergangenen Wochen habe vor allem der Lockdown in Malaysia die Lieferkette gestört. Bei Vorlaufzeiten der Kunden von wenigen Tagen führe jeder Einschnitt dazu, dass die Bänder stillstehen.

Chipbranche vom Auftragsboom überrascht

Die Nachfrage nach Chips übersteige das Angebot bei Weitem, bestätigte Infineon-Chef Reinhard Ploss dem Handelsblatt. Es fehle vor allem an Kapazitäten bei den Auftragsfertigern. Besserung sei nicht in Sicht: Die Lieferengpässe würden sich, so Ploss, „weit ins kommende Jahr hineinziehen“. Der größte Autochipzulieferer der Welt musste eine Fabrik in Melaka in Malaysia im Juni für insgesamt 20 Tage schließen. Wegen stark steigender Infektionszahlen hatten dies die Behörden vor Ort angeordnet.

In dem Werk testet und verpackt der Dax-Konzern vor allem Halbleiter für die Autoindustrie. Im Frühjahr war Infineon bereits gezwungen, einen Standort in Texas wegen eines Wintersturms herunterzufahren. Beide Unterbrechungen sorgten für wochenlange Lieferausfälle.

Damit nicht genug: Am 19. März hatte ein Feuer einen Teil einer Chipfabrik von Renesas in Japan zerstört. Mit Erlösen von 5,5 Milliarden Euro im vergangenen Jahr ist Renesas im internationalen Maßstab zwar ein kleiner Chiphersteller. Für viele Automarken ist Renesas aber ein wichtiger Lieferant, und der Brand verschärfte die bestehenden Engpässe noch.
Die Kapazitäten der Halbleiterbranche reichen schon seit vergangenem Sommer nicht mehr aus, um die weltweit stark steigende Nachfrage zu bedienen. Dass große Autochip-Hersteller wie Infineon, Renesas und NXP nicht ausreichend liefern können, liegt auch am Auftragsfertiger TSMC. Von den Taiwanern beziehen Dutzende Chiphersteller ihre Ware, von Apple bis Qualcomm – und eben die Autochip-Spezialisten.

Diese betreiben zwar auch eigene Werke. Bei bestimmten Technologien verlassen sie sich aber auf die sogenannten Foundries, allen voran TSMC, aber auch Samsung, Globalfoundries und UMC. Deren Fertigungen sind seit Monaten voll ausgelastet. „Die größte Herausforderung ist der Nachschub von den Auftragsfertigern“, sagte Infineon-Chef Reinhard Ploss. „Wir kämpfen bei den Foundries um jeden zusätzlichen Wafer.“ So nennen sich die Scheiben, auf denen die Chips entstehen.

Der von der Pandemie ausgelöste Digitalisierungsschub hat der Chipindustrie einen regelrechten Boom beschert. Die meisten Hersteller wuchsen im zweiten Quartal zweistellig. Mit dem steilen Aufschwung hatte keiner gerechnet. Bislang kalkulierte die Chipbranche mit einem jährlichen Umsatzplus von bis zu fünf Prozent. Fürs laufende Jahr erwartet der Branchenverband World Semiconductor Trade Statistics ein Plus von rund einem Fünftel.

Den Marktforschern von Gartner zufolge sind zudem einige der rund 300 Stoffe knapp, die für die Chipherstellung benötigt werden. Besonders begehrt sind derzeit Chips, die nicht in den allerfeinsten Strukturen produziert werden. In den vergangenen zehn Jahren sind vor allem Fabriken für moderne, 300 Millimeter große Ausführungen der Wafer entstanden. Viele Halbleiter sind aber nicht auf 300 Millimeter ausgelegt. Im Boom fehlt es nun an Geräten, um die kleineren Scheiben zu verarbeiten. Es lässt sich aber nicht so einfach neues Equipment beschaffen. „Der Maschinenmarkt ist angespannt“, sagte Infineon-Produktionsvorstand Jochen Hanebeck dem Handelsblatt. Neue Fabriken bringen nur langfristig Entlastung. Ein großes Werk zu errichten dauere zwei bis vier Jahre, warnen die Experten von Boston Consulting und des US-Branchenverbands Sia.

An den derzeitigen Lieferengpässen seien die Automarken nicht ganz unschuldig, so Alix-Autospezialist Marcus Kleinfeld. „Eine Lösung wäre gewesen, feste Kapazitäten zu buchen. Das propagieren einige Chipproduzenten schon seit 2009.“ Nicht zuletzt aus Kostengründen hätten sich die meisten Autohersteller aber um Abnahmeverpflichtungen bei den Halbleiterfirmen gedrückt.

Die Chips kommen mit dem Flieger

Inzwischen rechnet kaum noch jemand damit, dass sich die Lage schnell normalisiert. „Wir gehen davon aus, dass der Chipmangel das ganze Jahr anhalten wird“, sagte Nikolai Setzer, Chef des Autozulieferers Continental, zuletzt im Handelsblatt. „Wir fokussieren uns gemeinsam mit VW darauf, die Lieferkette am Laufen zu halten, das ist für uns auch derzeit das absolut Wichtigste.“ Das ist teuer.

Um Nachschub ins Land zu bringen, lassen Zulieferer Chips teilweise per Luftfracht einfliegen. Conti musste deswegen allein im ersten Quartal Sonderfrachtkosten in Höhe von 70 Millionen Euro stemmen. Für das Gesamtjahr dürfte dies mit 200 Millionen Euro zu Buche schlagen.

Ob die Autokonzerne und Zulieferer künftig vorausschauender bestellen oder sich größere Lager zulegen, sei trotz der gegenwärtigen Probleme ungewiss, so Berater Kleinfeld: „Die Frage ist: Wie lange bleibt das im Gedächtnis?“ Die letzte große Versorgungskrise vor zwölf Jahren sei schnell vergessen gewesen, als die Hersteller wieder pünktlich lieferten.
Wann das nun sein wird, wissen Chipproduzenten wie Infineon indes selbst nicht. Der Konzern hat derzeit Aufträge für zwei Jahre in den Büchern, und „das wird weiter steigen“, so Vorstandschef Ploss. Das sei „schon eine besondere Situation“.

Aktuell prüfe die Entwicklungsabteilung von VW, ob sie alternative Chips in Autos einsetzen kann, deren Verfügbarkeit höher ist, heißt es aus Unternehmenskreisen. Das Problem: Werden andere Bauteile verwendet, müssen diese zunächst durch ein Prüf- und Zulassungsverfahren. Das aber nimmt mehrere Monate in Anspruch. Mit schneller Abhilfe ist also nicht zu rechnen.