Lucid nimmt deutsche Premiummarken ins Visier

Lucid nimmt deutsche Premiummarken ins Visier

Das Start-up des Ex-Tesla-Chefingenieurs Peter Rawlinson setzt sich nach dem Börsengang ehrgeizige Ziele. Der „Air“ soll die Luxusmodelle von BMW, Audi, Mercedes und Porsche überholen.

Peter Rawlinson fordert die deutschen Premiumhersteller heraus. Der Chef des Elektroauto-Start-ups Lucid strebt ähnliche Ziele an wie sein ehemaliger Chef Elon Musk. Der Brite Rawlinson will Lucid als den Premiumhersteller des Elektro-Zeitalters positionieren – neben Mercedes, Audi und BMW oder gar an ihrer Stelle.

„Einige traditionelle Autohersteller verlieren den Anschluss, wenn sie bei der Elektrifizierung nicht aufs Gas treten“, sagte der Lucid-Chef kürzlich dem Handelsblatt. Er macht klar, auf wen er mit seinem seit Juli börsennotierten Elektroauto-Start-up Jagd machen will: Wer bislang konventionell angetriebene Modelle von BMWAudi, Mercedes oder Porsche fahre, der solle künftig auf Lucids Limousine „Air“ umsteigen, die bis zu 160.000 Dollar kostet. Und auch die Modelle „S“ und „X“ seines ehemaligen Arbeitgebers Tesla will Rawlinson schon bald überholen.

„Wir verfolgen eng, was Mercedes mit dem EQS auf den Markt gebracht hat. Glückwunsch an Ola Källenius“, sagte Rawlinson über das Konkurrenzmodell aus Stuttgart, das gerade in den Handel gekommen ist: „Die Welt braucht mehr Elektroautos.“ Die kommen künftig in immer größeren Stückzahlen. Neben Mercedes setzen auch BMW und Audi ihre großen Limousinen unter Strom.

Rawlinson, Chef und gleichzeitig Cheftechnologe, findet Gründe, warum sein Air dagegen gute Chancen hat: Mehr als 1000 PS gegen die rund 500 des EQS und die mit mehr als 800 Kilometern höchste von der US-Umweltbehörde EPA zertifizierte Reichweite der Branche. Lucid setzt auf Eigenentwicklung und vertikale Integration: Batterie, Antrieb, Design – alles wird in der Zentrale im kalifornischen Newark entwickelt, eine kurze Autofahrt von Teslas größter Fabrik in Fremont.

Teslas früherer Chefingenieur und Kopf hinter dem Model S kommt damit bei Investoren an. Trotz Startschwierigkeiten bewertet die Börse das Unternehmen nun mit mehr als 40 Milliarden Dollar, immerhin fast die Hälfte der Marktkapitalisierung von Daimler.

Das liegt wohl auch daran, dass sich Lucid und Tesla in vielen Details ähneln: Lucid baut eigene Fabriken – die erste steht in Arizona, die zweite soll in Europa oder im Nahen Osten entstehen. Musk und Rawlinson verbindet eine lange Geschichte. Der Tesla-Chef hatte den Ingenieur 2009 aus der englischen Provinz nach Kalifornien geholt, um das Projekt „White Star“ technisch voranzubringen – drei Jahre später sollte es in der Oberklasse-Limousine Model S münden. Der Brite hatte sich als Chefingenieur bei den Oberklasse-Herstellern Jaguar und Lotus einen Ruf als Generalist und Digitalisierer des Designprozesses erworben.

Auch bei Tesla traf er Entscheidungen, die dessen Modelle bis heute prägen – etwa das Fahrzeug durch die Batterie strukturell zu verstärken und so sicherer zu machen. Doch die Auseinandersetzungen mit dem kapriziösen Musk ermüdeten Rawlinson. Gegen die sich nach oben öffnenden „Falkenflügeltüren“ des Model X etwa kämpfte der Ingenieur vergeblich.

Nach drei Jahren, kurz bevor das Model S fertig wurde, verließ der Brite Tesla. Die Kündigung überraschte Musk – und die Börse. Die Aktie des seit 2010 notierten Autoherstellers stürzte nach Bekanntgabe von Rawlinsons Abgang um 20 Prozent ab. Rawlinson wechselte zu Atieva, damals ein Entwickler von Batterien und elektrischen Antriebssträngen für Busse. Erst als Technologievorstand, seit 2019 zusätzlich als CEO, baute er das Unternehmen zum Premium-Elektroautohersteller um und nannte es um in Lucid.

Auch heute stattet das Unternehmen die gesamte Formel E mit Batterien aus, was wiederum beim Lucid Air helfe, bei Effizienz und Batterie-Reichweite sogar vor Tesla zu liegen. Während der Mercedes EQS auf einen zusätzlichen Kofferraum an der Front des Autos ganz verzichtet, habe Lucid den größten „Frunk“ der Industrie. Wie Tesla sei Lucid stark vertikal integriert: „Mercedes kauft seinen Antrieb von Siemens ein, wir entwickeln ihn selbst.“ Hohe Leistung und Reichweite seien zusammen nur möglich, weil Lucid besonders effiziente Autos baue. „Es gibt auch Energieschlucker unter den E-Autos“, sagt Rawlinson. Manche E-Autos kämen pro Kilowattstunde nur vier Kilometer weit, der Lucid Air dagegen 6,5.

Im zweiten Halbjahr nun sollen die ersten Limousinen in den USA ausgeliefert werden. Nach Deutschland kommt der Air im Jahr 2022. Mehr als 11.000 Reservierungen habe das Unternehmen bereits, für die Interessenten zwischen 300 und 1000 Dollar anzahlen. Außerdem suche das Unternehmen gerade in einer deutschen Metropole nach einem Standort für seinen ersten europäischen Showroom. In New York ist der erste bereits eröffnet, bis Jahresende soll es in den USA 20 davon geben.

Rund 4,4 Milliarden Dollar Kapital sind Lucid durch seinen Börsengang, genauer gesagt die Fusion mit dem Spac-Börsenmantel Churchill Capital Corporation IV (CCIV), zugeflossen. Sehr lange wird dieses Kapital aber nicht reichen: In einer Investoren-Präsentation vom Juli kündigt Lucid in den kommenden beiden Jahren einen negativen Cashflow von mehr als sechs Milliarden und einen Ebitda-Verlust von mehr als 1,7 Milliarden Dollar an. 2024 rechnet das Unternehmen mit seinem ersten Ebitda-Gewinn.

Zuvor will Lucid unter der Leitung seines deutschen Produktionschefs und Tesla-Alumnus Peter Hochholdinger in den kommenden Jahren weitere Autowerke aus dem Boden stampfen. „Das nächste wird in Europa oder dem Nahen Osten stehen, und in der Mitte des Jahrzehnts brauchen wir eins in China“, sagt Rawlinson.

Mit Musk verbindet Rawlinson eine herzliche Rivalität: Der Tesla-Chef stellte schon mal öffentlich Rawlinsons Verdienste um das Model S infrage. Der sonst so höfliche Brite keilte zurück, Musk solle doch schauen, wessen Name auf den Patenten aus der Zeit stehe. Dass Tesla nun aber erstmals ein Quartalsgewinn ohne den Verkauf von Emissionszertifikaten gelungen ist, freut auch Rawlinson: „Dass man mit Elektroautos Gewinn machen kann, ist eine großartige Nachricht für uns.“

Rawlinson will Lucid in der Luxusnische mit hohen Margen etablieren, bevor er ans Massengeschäft denkt. Sogar 2026 prognostiziert das Unternehmen erst 250.000 verkaufte Autos, neben der „Air“-Limousine ein für 2023 geplanter SUV und weitere Modelle ab 2025. Das ist gerade gut ein Zehntel von Mercedes“ Absatz aus dem Jahr 2020 – in einer Preisklasse allerdings, wo jeder an die Konkurrenz verlorene Kunde wehtut.