Keine Energiewende ohne Netzausbau!

Kurzinterview mit Boris Schucht

Boris Schucht Die Energiewirtschaft befindet sich in einer Umbruchphase, die es in dieser Tragweite bisher noch nicht gegeben hat. Für Boris Schucht, Vorsitzender der Geschäftsführung (CEO) der 50Hertz Transmission GmbH, ist dies jedoch kein Grund zum Zaudern. Getrau dem Motto: „We will rock you“ versucht er sich auf die Chancen zu konzentrieren, die die Veränderungen für die Netzbetreiber bedeuten.

Im Vorfeld der 23. Handelsblatt Jahrestagung Energiewirtschaft 2016 hat uns der Netz-Experte in einem kurzen Interview Rede und Antwort gestanden.

Meine derzeitige Position und Aufgabe:
Vorsitzender der Geschäftsführung (CEO) der 50Hertz Transmission GmbH

Mein Einstieg in die Energiewirtschaft erfolgte:
… über die VEAG Vereinigte Energiewerke AG im Jahre 1995 als Kraftwerksingenieur.

Wenn ich mich mal nicht mit der Energiewirtschaft beschäftige, findet man mich:
… vorzugsweise in der Natur. Alles, was mich der Natur näher bringt, schafft Entspannung und macht mich glücklich.

Folgenden Lied-, Buch- oder Filmtitel verbinde ich derzeit mit der Energiebranche:
„We will rock you“ – die Energiewirtschaft befindet sich in einer Phase des Umbruchs, den es so in dieser Branche noch nicht gegeben hat. Mit diesen Veränderungen sind große Risiken, aber auch große Chancen für jedes Unternehmen und jeden Einzelnen von uns verbunden.

Die größten aktuellen Herausforderungen für Energieversorger bis 2020 sind:
Für uns Übertragungsnetzbetreiber ist die größte Herausforderung, den Netzausbau mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien zu synchronisieren und für diese Infrastrukturinvestitionen die notwendige Akzeptanz in der Bevölkerung und den betroffenen Regionen zu erlangen.
Auf der anderen Seite besteht für uns eine große Herausforderung darin, sicherzustellen, dass auch in Zukunft eine hohe Versorgungssicherheit mit genügend Erzeugungskapazitäten zu vertretbaren Kosten erreicht wird. Dabei geht es darum, wie die Transformation von einem konventionellen Kraftwerkspark in eine immer mehr erneuerbar-orientierte Erzeugungsstruktur gestaltet werden kann. Hierzu gehören Grundsatzfragen, wie das Zusammenspiel der einzelnen Wertschöpfungsketten marktwirtschaftlich oder regulatorisch organisiert wird und wie auch langfristig tragbare Geschäftsmodelle für die einzelnen Bereiche der Wertschöpfungskette sichergestellt werden können.

Welche Rolle wird der Energieversorger in der Stadt 2030 spielen?
Auch wenn es zwischenzeitlich immer mal wieder vergessen worden ist: Die Energiewirtschaft ist ein Local Business. Das heißt, die Kunden/die Infrastrukturen sind lokal und müssen auch mit sehr unterschiedlichen Ansätzen entsprechend der spezifischen Anforderungen einer Region gelöst werden. Vor diesem Hintergrund bin ich mir sehr sicher, dass das Energieversorgungsgeschäft eine sehr starke regionale Komponente auch weiterhin behalten wird. Dies ist für viele regionale und städtische Versorger eine Chance, sich über spezifische Kenntnisse von anderen abzuheben und damit auch weiterhin eine stabile Position in der Energiewirtschaft einzunehmen.

Eine unverhoffte Kapitalerhöhung würde ich investieren in:
Netze, Netze, Netze! Der Netzausbau als der wesentliche Schlüssel für die Umsetzung der Energiewende bedarf sehr großer Investitionen in die Netzinfrastruktur. Hierzu wird in den kommenden Jahren jeder uns zur Verfügung stehende Euro investiert werden müssen.

Die Digitalisierung bedeutet für die Energiewirtschaft:
Mit einer Zunahme der Digitalisierung werden sich neue Geschäftsmodelle auftun. Entgegen einer häufig verbreiteten Meinung, dass bei der Digitalisierung der Energiewirtschaft die Energieversorger eine wesentliche Rolle einnehmen können, sehe ich diese Entwicklung nicht unbedingt als die naheliegende. Aus meiner Sicht ist vielmehr davon auszugehen, dass die Digitalisierung neue Geschäftsmodelle durch neue Spieler in der Energiewirtschaft ermöglichen wird. So kann zum Beispiel ein Startup vielleicht zukünftig einmal den Service anbieten, die Waschmaschinen dann laufen zu lassen, wenn der Strompreis am günstigsten ist. Es muss aber nicht unbedingt ein Energieversorger sein, der diese Dienstleistung anbietet.
Trotzdem wird auch für die Energiewirtschaft eine große Herausforderung mit der Digitalisierung verbunden sein. Insbesondere die Frage, wie die großen Mengen an möglichen Daten sinnvoll verwaltet werden können, ist eine Frage, die von der Energiewirtschaft beantwortet werden muss. Es wird darauf ankommen, die richtigen Standards zu setzen und auch nur so viele Standards, wie unbedingt notwendig sind, um die Möglichkeiten, die sich für die Digitalisierung zukünftig ergeben, auch wirklich voranzutreiben und für die Gesellschaft gewinnbringend zu erschließen.

Mit meinen Kollegen möchte ich auf der Tagung diskutieren über:
Die Rollenbilder und das Selbstverständnis der Akteure unserer Branche – denn diese sind in einem fundamentalen Wandel begriffen. Auch die Frage, was wir als „natürliches Monopol“ und als unabhängiger Netzbetreiber, der sich Diskriminierungsfreiheit auf die Fahne geschrieben hat, für eine nachhaltige Umsetzung der Energiewende weiter tun können, ist für mich natürlich von hohem Interesse.

Gerne würde ich mit dem Wirtschaftsminister diskutieren über…

  • Was ist realistisch, noch vor den Wahlen bei energiepolitischen Fragestellungen zu beantworten?
  • Welche sind aus Sicht des Wirtschaftsministeriums und aus Sicht von Herrn Gabriel die Themen, die für die nächste Legislaturperiode in der Energiepolitik anstehen?
  • …den Spagat zwischen dem sachlich Gebotenen und dem gesellschaftlich Mehrheitsfähigen – und wie man das in Übereinstimmung bringt.