Wie Agilität zur Entwicklung neuer Mobilitätskonzepte beiträgt

von Prof. Dr.-Ing.-Dipl. Günther Schuh

Elektromobilität, die Spaß macht, praktisch, sicher und bezahlbar ist – das bietet die e.GO Mobile AG aus Aachen. Durch den Einsatz von Industrie 4.0 Technologien von der Entwicklung, dem Prototypenbau bis hin zur Produktion sowie der Kooperation mit einem großen Partnernetzwerk aus Wissenschaft und Wirtschaft wird bezahlbare Elektromobilität Realität.

So übernimmt Bosch die Entwicklung des Hochvolt-Antriebsstrangs für den e.GO Life und verantwortet zukünftig den After-Sales-Service. Der e.GO Life ist das erste mit Industrie 4.0 entwickelte Elektrofahrzeug, das ab März 2019 in Aachen in Serie produziert wird.

Um ein Elektrofahrzeug in kürzester Zeit entwickeln zu können, werden Methoden der agilen Produktentwicklung verwendet. Entwickelt wird auf einer gemeinsamen internetbasierten Plattform, über die der Entwicklungsstand jeder Komponente in Echtzeit zugänglich ist. Verschiedene Teams können unmittelbar die Änderungen nachvollziehen, die andere Entwicklungs-Teams vorgenommen haben. Für den Prototypenbau sind danach eine schnelle und fehlerfreie Umsetzung von Produktänderung sowie das Zurückspielen von Fehlern aus der Produktion notwendig. So können durch Prototypen Lerneffekte erzielt und schnelle Fortschritte in der Produktentwicklung ermöglicht werden. In der anschließenden Serienproduktion befähigt eine investitionsarme Montage flexible Anpassung der Produktionsstrukturen, die zudem in einem skalierbaren Produktionsnetzwerk einfach erweitert werden können.

Die kostengünstige und schnelle Entwicklung des e.GO Life basiert auf einer agilen Produktentwicklung. In der frühen Entwicklungsphase sind die Anforderungen an ein Produkt oft nicht klar definiert oder noch volatil. Klassische phasenorientierte Entwicklungsprozesse, wie der Stage-Gate-Prozess, kommen dabei schnell an ihre Grenzen. Produktänderungen, die in einer späten Entwicklungsphase auftreten, können nur noch schwer berücksichtigt werden. So sind klassische Entwicklungsansätze geprägt von Abstimmen, Suchen und Warten. Ein vielversprechender Ansatz, um diese Randbedingungen handhabbar zu machen, stellt die Übertragung der aus der Softwareindustrie bekannten agilen Entwicklungsansätze auf die Entwicklung mechatronischer Produkte dar. Der Startpunkt für die Entwicklung ist dabei die Definition von User Stories, die den Lösungsraum für Innovationen gezielt an den Kundenanforderungen ausrichten. In klassischen Entwicklungsprojekten ist die Vollständigkeit des Lastenheftes zu Beginn eine notwendige Voraussetzung für die Fortsetzung des Projektes. In agilen Entwicklungsprojekten dagegen definiert die Beantwortung priorisierter Fragestellungen ein neues Verständnis von Vollständigkeit. Für den e.GO Life wurden diese für den städtischen sowie stadtnahen Lebensraum adressiert, um das Fahrzeug auf die Bedürfnisse der zukünftigen Nutzer auszulegen. Für die agile mechatronische Produktentwicklung ist es zudem besonders wichtig, mit der zunehmenden Interdisziplinarität durch die Teamzusammensetzung umzugehen. Kurzzyklische Abstimmungen der Beteiligten helfen, semantische Konflikte frühestmöglich aufzulösen. Die Transformation zum lernenden Unternehmen bricht gewohnte Denkmuster auf und ermöglicht neue Lösungen. Dazu sind flache Hierarchien, kurzzyklische Abstimmungen und eine agile Unternehmenskultur notwendig.

Die Transformation zum lernenden Unternehmen bricht gewohnte Denkmuster auf und ermöglicht neue Lösungen.

An die agile Produktentwicklung schließt eine flexible Produktion von Prototypen an. Veränderte Anforderungen müssen schnell und fehlerfrei in die Produktion übergeben werden. Sogenannte Change Requests stoßen Änderungen am Produkt nach bereits erfolgter Freigabe zur Herstellung an. Sie können durch interne Konstruktionsänderungen oder extern bedingt durch einen veränderten Kundenwunsch erfolgen. Die zuvor definierten Fragestellungen werden mit den physischen Prototypen validiert. Der Befähiger für fehlerfreie Change Requests ist eine weitestgehend automatisierte Informationslogistik. Effiziente Workflowsteuerung, gezielte Informationsverteilung und eine gute Datenhandhabung im Zusammenspiel von Entwicklung und Produktion sind für den Erfolg entscheidend. Hierzu müssen abgestimmte Datenstrukturen und vollständige Datenkonsistenz die Grundlage sein. Für die Umsetzung der agilen Entwicklung und fehlerfreier Change Requests wird auf einer neuen Infrastruktur für die Daten der Produktionstechnik, dem Internet of Production, aufgebaut. Das Internet of Production ermöglicht produzierenden Unternehmen, Daten verschiedener Applikationssoftware in Echtzeit zu verknüpfen. Dadurch befähigt es Mitarbeiter, die Daten und Informationen aus unterschiedlichen Bereichen benötigen, schneller fundierte Entscheidungen zu treffen.

Für die Serienfertigung wurde dementsprechend ein investitionsarmes und auf Flexibilität ausgerichtetes Produktionskonzept entwickelt, welches auch kurzfristige Anpassungen der Produktionsstrukturen ermöglicht. Die angestrebte Flexibilität der Produktionsstruktur ist auf die schnelle Umsetzung von zukünftigen Produktänderungen ausgerichtet. Um diese Produktänderungen (Change Requests) schnell umzusetzen, bedarf es zum einen der durchgängigen IT-Systemarchitektur, damit alle beteiligten Fachbereiche auf einem Datenstand redundanzfrei arbeiten. Zum anderen arbeitet e.GO wir mit einem vergleichsweise geringen Automatisierungsgrad in der Montage, da so aufwändige Anlern- und Programmaufwände geringgehalten werden. Beide Aspekte zusammen schaffen die Grundlage für eine kosteneffiziente Montage in dem angestrebten Stückzahlbereich. Weiterer zentraler Bestandteil ist die Beherrschung der Logistikprozesse im Sinne einer 2-Touch-Logisitk. Das Ziel der 2-Touch- Logistik ist alle Komponenten lediglich zwei Mal „anzufassen“. Dies wird erreicht durch eine hundertprozentige Datentransparenz, einen reduzierten Handlingaufwand durch automatisierte Datenerfassung und die Verhinderung von Aufwand durch das Suchen und Finden von Teilen. Dieses im Werk 1 der e.GO Mobile AG genutzte Produktionskonzept dient als Referenzfabrik für weitere Werke, sodass eine Skalierung der Produktionsinfrastruktur in einem Produktionsnetzwerk als Copy-and-Paste Ansatz angestrebt wird.

Durch die bedarfsgerechte Umsetzung von Agilität in der Produktentwicklung, dem Aufbau und Validieren der Prototypen sowie der Serienproduktion wird ein günstiges Elektroauto für den städtischen Verkehr Realität.

Prof. Dr.-Ing.-Dipl. Günther Schuh, Gründer und CEO, e.GO Mobile AG und Geschäftsführender Direktor des Werkzeugmaschinenlabors WZL der RWTH Aachen