Was das neue Lieferkettengesetz für die Automobilbranche bedeutet

Artikel aus dem Handelsblatt Journal „Die Zukunft der Automobilindustrie“ vom 05.12.2022

von Dr. Stefan Penthin

Als Anfang 2022 bei vielen deutschen Autobauern die Fließbänder stillstanden, wurde wieder einmal deutlich, wie vernetzt und komplex deren Lieferketten sind. Grund waren diesmal die fehlenden Kabelbäume, die aus der Ukraine nicht ihren Weg nach Deutschland fanden. Dabei war man gerade zuversichtlich, langsam aus den Auswirkungen von Corona und der fehlenden Halbleiter der letzten beiden Jahre herausgekommen zu sein.

Eine Herausforderung der komplexen Lieferketten ist aber nicht nur die plötzliche Unterbrechung von Warenströmen, sondern auch die oftmals mangelnde Überwachung und  Durchsetzung von Umwelt- und Menschenrechtsstandards an teilweise sehr weit entfernten Standorten in Niedriglohnländern. Damit dort aber auch die gleichen Standards eingehalten werden, die wir in Deutschland zu Recht an Unternehmen stellen, wird dies nun zur Aufgabe weiter oben in der Lieferkette gemacht.

Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (kurz: Lieferkettengesetz) verpflichtet ab dem 01.01.2023 Unternehmen mit Sitz in Deutschland und mehr als 3.000 Mitarbeitenden, ihre Sorgfaltspflicht zum Schutz der Menschenrechte sowie von Umweltstandards einzuhalten. Stark betroffen ist dabei die Automobilindustrie, die für ihre stark verflochtenen Lieferketten und -netzwerke auf der ganzen Welt bekannt ist.

Wie die öffentliche Meinung ist
Für 71 Prozent der Menschen in Deutschland ist es wichtig, dass für die Herstellung eines Produktes die Sorgfaltspflicht zum Schutz von Menschenrechten und Umweltstandards eingehalten werden – das hat eine YouGov Umfrage im Auftrag von BearingPoint ergeben. 61 Prozent würden ein nachhaltigeres Produkt – im Vergleich zu einem gleichwertigen Produkt, das ohne diese Standards produziert wurde – vorziehen. Eine Mehrheit von ihnen auch, wenn das nachhaltigere Produkt teurer wäre. Ganz allgemein finden es 51 Prozent zwar richtig, dass Unternehmen gesetzlich zu Umwelt- und Sozialstandards entlang ihrer Lieferketten verpflichtet werden, bezweifeln aber gleichzeitig, dass diese Vorgaben tatsächlich so umgesetzt werden. Es wird also auf die konkrete Verwirklichung des Gesetzes ankommen.

Was Automobilhersteller und Zulieferer nun tun können und müssen
Dabei ist es entscheidend, wo man sich in der Lieferkette befindet:

  • Größere bzw. globale Zulieferer haben oft schon ein Supply Chain Risk Management, das in die Pflicht genommen werden sollte.
  • Das Risiko schwarzer Schafe wächst, umso kleiner Betriebe und Margen sind. Das Ende der Lieferkette ist gefährdeter als ihr Kopf.
  • Teilnehmer der Lieferkette mit Unternehmenssitz in Deutschland müssen jetzt die Einhaltung der Umwelt- und Menschenrechts-Standards bei sich selbst und ihren Zulieferern bestätigen.
  • Hersteller und TIER-1-Zulieferer sollten ausreichend Marktmacht haben, um die entsprechenden Bestätigungen einzufordern oder Lieferanten für neue Ausschreibungen zu sperren.
  • Technologie kann weiterhelfen: Einige große Player tauschen sich über die Catena-X Plattform aus. Fordern sie die Datenbereitstellung von ihren Lieferanten ein, könnte sich die gesamte Branche schnell wandeln und es entstehen transparente Liefernetzwerke.

Das Lieferkettengesetz bietet der Industrie eine Chance, neue digitale Möglichkeiten zu nutzen und kann zum Eisbrecher werden für viele weitere denkbare Potenziale, die sich aus einem transparenteren Austausch ergeben. Aber: Wenn in der Lieferkette Auffälligkeiten auftreten, muss von Unternehmen hart durchgegriffen werden – und das auch in Zeiten knapper Verfügbarkeiten.

Das Lieferkettengesetz kann zum Eisbrecher für den Aufbau eines gemeinsamen digitalen Ökosystems werden.

Dr. Stefan Penthin, Globaler Leiter Automotive, Industrial Equipment & Manufacturing, BearingPoint

www.bearingpoint.com

Dieser Artikel ist im aktuellen Handelsblatt Journal „Restrukturierung“ erschienen.

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