
Artikel aus dem Handelsblatt Journal „Die Zukunft der Automobilindustrie“ vom 05.12.2022
von Univ.-Prof. Dr. Marion A. Weissenberger-Eibl
Die Automobilindustrie ist die umsatzstärkste verarbeitende Industrie Deutschlands. Gleichzeitig steht die Branche großen Veränderungen und Herausforderungen gegenüber.
Die Entwicklungen neuer Technologien halten auch in dieser Branche großes Potenzial bereit. Automobilunternehmen entwickeln sich immer mehr zu Technologieunternehmen und Mobilitätsdienstleistern. Konzerne, die ursprünglich aus dem Technologiebereich kommen, sind aktiv im Automobilgeschäft und mit diesem Konzept sehr erfolgreich. Einige Tech-Firmen setzen sich sogar mit der Entwicklung eigener Autos auseinander.
Durch Technologien, wie das Autonome Fahren und der Interaktion zwischen Fahrer:in und Auto, ist die Software ein wichtiger Bestandteil des Automobils geworden – und wird es in Zukunft immer mehr sein. Autos sind smart, sie bieten digitales Entertainment und Infotainment sowie Sprachsteuerung. Features, die wir bereits von Smartphones kennen. Die Automobilbranche entwickelt sich zu einem Ökosystem an digitalen Services, die zum Teil auf große Datensysteme zugreifen.
Doch nicht nur das Automobil selbst, auch die Herstellungs- und Geschäftsprozesse des Automobils werden zunehmend digital. Die Entwicklung entsteht heute fast vollständig virtuell. Mithilfe eines digitalen Zwillings werden Simulationen durchgeführt, um das Produkt zu optimieren.
Herausforderungen durch Rahmenbedingungen
Die ersten beiden Entwicklungsstufen des automatisierten Fahrens, vor allem das assistierte und in geringem Ausmaß auch das teilautomatisierte Fahren, sind bereits auf der Straße zu finden. Innovationen aus dem dritten Level, dem hochautomatisierten Fahren, sind bereits aufgrund der komplexen rechtlichen Rahmenbedingungen gescheitert. Es braucht vor allem die notwendige Infrastruktur und entsprechende Gesetze, die ethische und rechtliche Aspekte berücksichtigen. Schon in der frühen Entwicklung von Innovationen gilt es, diese Rahmenbedingungen mitzudenken.
Der Klimawandel treibt die Entwicklungen im gesamten Mobilitätssektor und der Automobilbranche voran. Die gesetzten Klimaziele erfordern eine deutliche Erhöhung des Anteils klimaneutraler Kraftstoffe. Der Krieg in der Ukraine hat den Druck auf die Entwicklung alternativer Antriebe noch einmal erhöht. Batteriebetriebene Fahrzeuge stellen hier aktuell die effizienteste Technologie dar. Herausforderungen liegen aktuell vor allem in der Produktion von Batterien. Wenn ein Elektroauto zugelassen wird, ist die Bilanz des Fahrzeugs im Hinblick auf den CO2-Fußabruck sogar zunächst schlechter, als die eines Verbrenner-Modells. Erst über eine längere Nutzungsdauer gewinnt die Batterietechnologie. Dennoch gilt es, weiterhin technologieoffen zu forschen.
Weitere Herausforderungen sind die Verflechtungen auf dem Weltmarkt. Die Coronapandemie zeigte die Abhängigkeit der Automobilindustrie vom Welthandel und der Politik anderer Länder, insbesondere China. China ist ein wichtiger Absatzmarkt und eine wichtige Ressource für kritische Importgüter, wie beispielsweise Computerchips. Was passiert, wenn diese Lieferkette gestört ist? Jüngste Erfahrungen haben gezeigt, welche wirtschaftlichen Folgen Abhängigkeiten und SingleSourcing verursachen können. Als Innovationsforscherin fordere ich daher systemisches Denken, welches die verschiedenen zeitlichen Perspektiven miteinbezieht. Kurzfristig profitieren Unternehmen von günstigen Importen. Doch sind wir uns der langfristigen Folgen einer wirtschaftlichen Abhängigkeit wirklich bewusst? Bisher ist seitens der Politik noch keine Strategie erkennbar, die den Weg für den Aufbau alternativer Quellen ebnet. Hier besteht Handlungsbedarf. Neben dem Aufbau von Partnerschaften gilt es, in die eigene Forschung zu investieren und Diversifizierung im Hinblick auf Beschaffung und genutzte Technologien zu betreiben.
Mit Innovation Potenziale nutzen und Herausforderungen begegnen
Die Potenziale auf der einen Seite, sowie die Herausforderungen auf der anderen Seite erfordern Innovationen – Innovationen, um gegenüber Technologieunternehmen weiterhin konkurrenzfähig zu sein, um die Klimaziele zu erreichen und um wirtschaftlich und technologisch souverän zu agieren.
Doch bevor Lösungen erarbeitet werden, gilt es, Zukunftsvisionen zu skizzieren, die mögliche und wünschenswerte Zukünfte abbilden. Solche Zukunftsbilder berücksichtigen Herausforderungen und Trends, aber auch die Bedürfnisse der Gesellschaft. Die aktuellen Herausforderungen zeigen, dass unsere Bedürfnisse nicht immer direkt mit den gesetzten Zielen vereinbar erscheinen. Gerade hier braucht es Lösungen und Innovationen, die eine Vereinbarkeit ermöglichen, Zielkonflikte ansprechen und Wege des Ausbalancierens eröffnen.
Die Innovationsforschung betrachtet daher immer das gesamte Innovationsökosystem. Im Innovationsökosystem spielen neben der zeitlichen Perspektive alle möglichen Einflussfaktoren, Rahmenbedingungen sowie relevanten Akteure eine Rolle. Im Zentrum dieses Systems steht die Wirtschaft. Aber den Innovationsprozess und -erfolg prägen ebenso die Teilsysteme Bildung, Gesellschaft, Staat und Wissenschaft.
In verschiedenen Phasen des Innovationsprozesses, in der Suchphase, bei der Entwicklung, Bewertung und Umsetzung von Ideen können die verschiedenen Akteure der Teilbereiche wichtige Beiträge leisten.
Kreative Lösungen durch Innovationskraft:
4 Schlüsselkompetenzen Um kreative Lösungen zu entwickeln und technologisch wettbewerbsfähig zu bleiben, gilt es die Innovationskraft des gesamten Innovationsökosystems zu erhöhen. Am Fraunhofer ISI und an meinem Lehrstuhl Innovationsund TechnologieManagement am KIT haben wir daher 4 Schlüsselkompetenzen definiert, die das Innovationspotenzial stärken: 1. Fokussieren auf die eigenen Stärken, 2. Experimentieren, 3. Vernetzen und 4. Mutig sein.
Beim Fokussieren auf die eigenen Stärken geht es darum, die eigene Nische zu finden und dadurch Veränderung herbeizuführen. Um die eigene Nische zu finden hilft es technologie- und disziplinübergreifend zusammenzuarbeiten. Dabei gilt es, offen zu sein für Neues und bestehende Kompetenzen aus anderen Bereichen aufzunehmen und zu fördern. Deutschland ist bekannt für seine Exzellenz im Bereich Maschinenbau. Dies hat auch die deutsche Automobilbranche geprägt. Hier eröffnet sich ein großes Feld für die eigene Nische. Dafür gilt es, in diesen Bereichen gut ausgebildet zu sein. Das gelingt durch konsequente Investitionen in Forschung und Weiterbildung seitens der Unternehmen.
Aber auch der Staat ist gefordert, leistungsfähige Infrastruktur bereitzustellen, Forschung zu fördern sowie Zugang zu Fördermitteln zu erleichtern und Plattformen für disziplinübergreifende Partnerschaften zu errichten. Der Strategiedialog Automobilwirtschaft Baden-Württemberg (SDA) bietet zum Beispiel eine Plattform für den Austausch zwischen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft. Im Rahmen des SDA sollen beispielsweise Mobilitätsdatenräume vorangetrieben werden, um dadurch den Weg für neue Mobilitäts- und Geschäftsmodelle freizumachen.
Eine weitere Schlüsselkompetenz ist das Experimentieren. Gerade wenn es darum geht, neue Wege zu erschließen, braucht es Räume zum Auszuprobieren, Lernen und Testen. Auf diese Weise entwickeln sich Ideen zu nutzerfreundlichen Lösungen, die sich erfolgreich am Markt etablieren und dadurch zu Innovationen werden. Solche Experimentierräume beziehen, neben den eigenen Abteilungen, immer stärker relevante externe Akteure mit ein, um Ideen gemeinsam weiterzuentwickeln. Kund:innen sind hier eine wichtige Quelle. Denn wenn der Nutzen für Kund:innen klar ist, stößt eine Idee auch auf die notwendige Akzeptanz und kann sich zur erfolgreichen Innovation entwickeln.
Innerhalb eines Innovationsökosystems möglichst viele relevante Perspektiven zu identifizieren und einzubeziehen erhöht die Innovationskraft. Daher ist die Fähigkeit zur Vernetzung ein weiterer Schlüssel für Innovationsstärke. Es gilt, Mobilität ganzheitlich zu denken. Durch Austausch und Kooperation entsteht neues Wissen und neue Ideen. Im Dialog mit der Politik können Ideen an politische Rahmenbedingungen angepasst und gemeinsam erforderliche Rahmenbedingungen erarbeitet werden. Die Automobilbranche kann durch wirtschaftliche Partnerschaften, beispielsweise aus dem Technologie- und Softwarebereich, profitieren und gemeinsam Innovationen hervorbringen. Ist das Technologiewissen nicht vorhanden, bedarf es einer Zusammenarbeit mit Technologiefirmen, um von dem Fachwissen zu profitieren, das diese sich über Jahre aufgebaut haben. Daher habe ich mich im Rahmen des SDA für die Förderung von Austausch und Kooperationen stark gemacht.
Schließlich gilt es, mutig zu sein. Etwas Neues zu wagen ist immer auch mit Risiken verbunden. Fehler können passieren und gehören zur Entwicklung dazu. Wir können und müssen aus ihnen lernen. Wichtig ist es, offen zu sein, für Neues und Veränderungen. Nur so gelingt Fortschritt. Wenn die Bedingungen es erfordern, muss man sich also manchmal von Erfolgsstories lösen – auch wenn wir den besten Benzinmotor entwickelt haben
Automobilunternehmen entwickeln sich immer mehr zu Technologieunternehmen und Mobilitätsdienstleistern.
Univ.-Prof. Dr. Marion A. Weissenberger-Eibl, Institutsleiterin Fraunhofer-Institut für Systemund Innovationsforschung ISI und Inhaberin des Lehrstuhls Innovations- und TechnologieManagement (iTM) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Dieser Artikel ist im aktuellen Handelsblatt Journal „Restrukturierung“ erschienen.
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