To disrupt or be disrupted

Automobil-Vertrieb muss neue Wege gehen

Der Automobil-Vertrieb muss neue Wege gehen

Die Automobilhersteller sind im Digitalisierungsfieber. Wie gebannt schauen sie ins Silicon Valley und wollen neuerdings alle ein bisschen so werden wie Google oder Apple oder wenigstens wie Tesla, der neue Rising Star am Automobilhimmel. Im Gegensatz zu den neuen Smartphone- und Internet-Giganten entwickelt und baut Tesla rund um die Software tatsächlich auch echte (elektrisch fahrende) Autos. Die Sorge der Branche und ihr digitaler Ehrgeiz sind nicht ganz unberechtigt: Google, Apple und Co. dringen tatsächlich mit hoher disruptiver Energie in eine Branche vor, die mit ihrem Geschäftsmodell bisher nahezu unangreifbar schien: die Automobil-Branche. Die etablieren Autobauer müssen also durchaus aufpassen, dass ihnen die vergleichsweise jungen Unternehmen aus dem Silicon Valley nicht die Butter vom Brot nehmen.

Doch die Verschmelzung der physikalischen Welt mit dem Cyberspace sollten gut ausgebildete Fahrzeug-Ingenieure und ihre IT-Kollegen nicht bange machen. Autos sind schließlich bereits heute rollende Rechenzentren mit Dutzenden von Steuergeräten und Hunderten von Prozessoren. Die Informationen, die im Auto während der Fahrt zusammenlaufen, aufzubereiten und auszuwerten, sollte für die Automobilindustrie also eine Kleinigkeit sein. Das ist es prinzipiell auch. Das Thema Connectivity wird daher mit aller Macht vorangetrieben, autonom fahrende Autos sind auch für die großen Fahrzeughersteller tatsächlich kein Google-induziertes Trauma mehr, vor dem man sich fürchten müsste. Darüber hinaus beschäftigt sich die Branche vornehmlich mit Fragen, wie Info- und Entertainment-Anwendungen möglichst nutzerfreundlich in die Bordsysteme integriert werden können, wie die Digitalisierung von Entwicklungs- ERP- und Produktions-Prozessen aussehen soll oder wie Fernwartung beziehungsweise Software-Updates über Cloud Computing am besten funktionieren werden.

Umgang mit dem digital vernetzten Kunden

Zugegeben, das sind alles wichtige, ja wettbewerbsentscheidende Faktoren, aber ein wesentlicher Aspekt und ein ganz elementares Versäumnis finden in den strategischen Überlegungen zur digitalen Transformation der Automobilindustrie bis heute praktisch keine Berücksichtigung: die medienbruchfreie, nahtlose Digitalisierung des Automobilvertriebs sowie der richtige Umgang mit dem digital vernetzten Kunden. Hauptsächlich deutsche Premiumhersteller beschäftigen sich mit dem Thema konzeptionell.

Die große Gefahr der digitalen Revolution liegt für die etablieren Automobilbauer genau hier. Mit hohem Qualitätsverständnis und großer Präzision bauen sie zwar sehr gute und immer bessere Autos, die den Fahrer auch immer besser unterstützen – aber der Kunde und seine Bedürfnisse stehen, allen Lippenbekenntnissen zum Trotz, bis heute nicht wirklich im Mittelpunkt der Fahrzeughersteller. Das muss sich schleunigst ändern. Denn die eigentliche Struktur des Automobilvertriebs hat sich in den letzten 30 Jahren kaum verändert – abgesehen von ein bisschen Kosmetik mit virtuellen Showrooms, ein paar mehr oder weniger coolen, kaum interaktiven Websites oder leidlich funktionierenden Modell Konfiguratoren ist in den vergangenen Jahren nicht viel passiert.

Der Kunde hat die Macht im Netz

Ein bisschen verwunderlich ist das schon, verfügt der Kunde in der digitalen, vernetzten Welt doch über eine nie da gewesene Macht, die man nicht länger ignorieren darf: es ist die Macht des über das Internet und soziale Netzwerke möglichen, nahezu vollkommenen Informationsaustauschs gepaart mit einer nie dagewesenen Angebotsvielfalt.

Hinzu kommen der Einfluss und die weltweite Präsenz einiger schlauer Unternehmen aus dem Silicon Valley, die es dem digital vernetzten Verbraucher heute bereits in vielen Bereichen sehr viel leichter machen, seine Bedürfnisse zu befriedigen. Diese „Outthinker“ haben es sozusagen in ihrer DNA, wie der digital vernetzte Kunde am besten zu erreichen ist und werden sich auch nicht scheuen, mit ihren Erfahrungen, ihrem Wissen und ihren technologischen Fähigkeiten die traditionellen Geschäftsmodelle der etablierten Autobauer anzugreifen. Die Kunden werden ihrem Ruf, sollte er verlockender sein als der des Fahrzeugherstellers, zweifellos folgen. Die Parole muss daher lauten: der Kunde gehört in den Mittelpunkt des automobilen Geschäftsmodells – um ihn herum müssen alle Prozesse neu designt und implementiert werden.

Services rund um den Autokauf

Ein Beispiel für einen solchen neuen Ansatz und intelligenten Service rund um den Autokauf ist Hyundai Rockar: Eine neue, digitale Plattform, mit der Interessenten ihr das Auto ihrer Wahl per Mausklick einfach konfi gurieren können, Finanzierung inklusive sowie Testfahrten oder Instandhaltung gleich online mitgebucht werden können. Auf Rockar.com dreht sich tatsächlich alles um den Kunden, hier ist zumindest der gesamte Kaufprozess voll auf seine Bedürfnisse ausgerichtet. Bemerkenswert immerhin: Die Hälfte unserer Kunden schließt damit den Kauf des Autos zu Hause am Computer, Tablet oder Smartphone ab – schon allein dieses sehr einfache Beispiel zeigt, wie wichtig eine ganzheitliche, digitale Verkaufsstrategie ist.

Zusätzlich zur digitalen Plattform gibt es die entsprechenden Stores, in denen die Autos tatsächlich angefasst und auch zu Testfahrten genutzt werden können. Diese Läden befinden sich dort, wo die Menschen sowieso sind, etwa um einzukaufen, zu arbeiten oder auszugehen. Sie sind in jedem Fall bequem zu erreichen – Hyundai Rockar Stores gibt es in City-Lagen oder stark frequentierten Einkaufszentren. Zudem können die Autos hier auch zur Instandhaltung oder Reparatur abgegeben werden.

Eines ist natürlich auch klar: Mit Hyundai Rockar werden keine Autohäuser ersetzt – noch nicht. Aber wir bieten Menschen, die sich vielleicht demnächst ein neues Auto kaufen möchten oder einfach nur neugierig sind, einen besseren, einfacheren und stressfreien Weg, um sie mit unserer Marke vertraut zu machen – oder einen Hyundai möglicherweise gleich an Ort und Stelle direkt zu bestellen. Denn das Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen: Durch die Rockar Stores haben wir tatsächlich sehr viele neue Kunden gewonnen – immerhin 94 Prozent aller Käufer haben sich zum ersten Mal ein Auto unserer Marke gekauft. Insgesamt 180.000 Besucher und 700 verkaufte Autos hat der erste Store nahe London im ersten Jahr gezählt. Davon waren selbst wir überrascht und wir werden diese Erfahrungen in jedem Fall nutzen, um unser Geschäft im digitalen Einzelhandel in Europa weiter voranzutreiben. Zugleich zeigt dieses Beispiel auch, wie viel Potenzial in solchen neuen Konzepten steckt. Die Erfahrungen aus dem Rockar-Konzept werden ein fester Bestandteil unserer zukünftigen Retail-Strategie. Die Zeit ist reif, den Automobilvertrieb vollkommen neu zu denken. Hierbei wird es zu einer Verschmelzung von digitalem Handel, Marketing und Content Marketing kommen, um ein ganzheitliches Kundenerlebnis zu schaffen.

„Der Kunde gehört in den Mittelpunkt des automobilen Geschäftsmodells – um ihn herum müssen alle Prozesse neu designt und implementiert werden.“

Über den Autor

Jochen SengpiehlJochen Sengpiehl ist Vize-Präsident Marketing/CMO bei Hyundai Motor Europe.

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