Bausteine intelligent zusammenführen

Zukunftsfähige Mobilitätskonzepte sind nachhaltig, bedarfsorientiert und integriert.

von Dr. Irene Feige

Jede Kommune wünscht es sich, jeder Bürger ebenfalls: ein zukunftsfähiges Mobilitätskonzept. Doch was zeichnet ein solches aus? Sicher ist heutzutage nichts zukunftsfähig, was nicht langfristig nachhaltig ist – und zwar ganz klassisch im ökologischen, ökonomischen und sozialen Sinn. Dies wollen Besteller und Nutzer. Und daran müssen sich Anbieter sowie Hersteller von Fahrzeugen und Infrastruktur messen lassen.

Bei der Entwicklung, Gestaltung und Umsetzung einer nachhaltigen und damit auch zukunftsfähigen Mobilität spielt die deutsche Automobilindustrie eine wichtige Rolle. Sie hat den klaren Auftrag, aktuell und künftig die hinsichtlich CO2-Ausstoß, Materialverwendung und Ressourcenschonung, Fertigungstechnik und Energieverbrauch effizientesten und nachhaltigsten Fahrzeuge zu entwickeln und zu bauen. Den Auftrag untermauern die angebotsseitige Regulierung durch das für Pkw-Neuwagen politisch vorgegebene Durchschnittsziel von 95 g CO2/km ab 2021 sowie weitere Verschärfungen in den Folgejahren.

Aber auch das nachhaltigste Fahrzeug kann seine Rolle in einem zukunftsfähigen Mobilitätssystem nicht erfüllen, wenn der Kontext, in dem es sich bewegt oder steht, nicht stimmt. Ähnlich verhält es sich beispielsweise mit On-Demand-Diensten, auf denen große Hoffnungen liegen als Bausteine einer neuen, innovativen Mobilität. Sie sollen die Nutzung von gegenüber privaten Pkw ökologischeren und wirtschaftlicheren Formen des Autoverkehrs ermöglichen. Gesetzt wird auf das Angebot von E-Fahrzeugen, eine höhere Fahrleistung einzelner Vehikel und abschnittsweise mehrere Kunden in einem Wagen, damit sich die Fahrzeuganzahl im öffentlichen Raum reduziert. Zudem sollen sie Zubringerdienste zu Anschlussstellen des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) übernehmen, um die Nutzung des ÖPNVs zu stärken.

Wirtschaftlichkeit neu bewerten
Obwohl dies bisher nur teilweise gelingt, hat On-Demand- Mobility im Gesamtkonzept der verschiedenen Verkehrsträger und -möglichkeiten sehr wohl ihre Berechtigung – und dies sowohl im innerstädtischen Bereich als auch dort, wo der öffentliche Verkehr schlecht verfügbar ist, wie beispielsweise in ländlichen Regionen. Doch dort wird sie bisher kaum angeboten. Die Konzepte sind derzeit vor allem auf Innenstädte begrenzt, weil hier aufgrund der hohen Bevölkerungsdichte ihre Profitabilität am größten ist. Wirtschaftlich profitabel müssen die Dienste arbeiten, da sie privatwirtschaftlich organisiert sind, Fahrzeuge und Fahrer bezahlt werden müssen. Eine Daseinsvorsorge im Sinne der flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung mit Mobilität müssen sie dagegen nicht erfüllen.

Um On-Demand-Konzepte zu einem Baustein zukunftsfähiger Mobilität zu machen, sollten sie digital mit dem ÖPNV und ihn ergänzenden Angeboten verknüpft werden. Werden sie mit bestehenden Verkehrssystemen sowie nichtmotorisierten Möglichkeiten in einer übergreifenden Mobilitätsstrategie smart zusammengeführt, lassen  sich aus den Datenströmen zudem bisherige Mobilitätslücken erkennen und dann mit passgenauen Angeboten füllen. Dazu gehören auch solche für die erste oder letzte Meile in der Stadt und ebenso die Anbindung ländlicher Regionen, ähnlich wie zu prädigitalen Zeiten mit Anrufsammeltaxis oder Rufbussen. Eine enge Zusammenarbeit von Anbietern und Kommunen für eine umfassende digitale Vernetzung aller Möglichkeiten ist unabdingbar.

Infrastruktur und Angebot bedarfsgerecht ausbauen

Darüber hinaus besteht auch bei den traditionellen Elementen nachhaltiger Mobilität wie ÖPNV-Nutzung, Fahrradfahren und Zufußgehen noch Optimierungspotenzial. Es kann nicht sein, dass die, die eigentlich nicht Autofahren wollen, ausgebremst werden, weil etwa der alternative Weg von und zur Arbeitsstätte deutlich mehr Zeit in Anspruch nimmt. Damit existiert im Alltag keine echte, für Nutzer wirtschaftliche Alternative. Die Vorteile, nicht aktiv fahren zu müssen und nicht im Stau zu stehen, unterliegen bisher in der Regel dem zeitlichen Nachteil. Um dies zu ändern, sollte sowohl die digitale Infrastruktur durch einen offenen und diskriminierungsfreien Datenaustausch verbessert werden als auch die physische Infrastruktur durch ihren bedarfsorientierten Ausbau.

Stimmen die Rahmenbedingungen, wird die Zahl der Nutzer von Alternativen zum privaten Pkw steigen. Unterstützen lässt sich diese Entwicklung etwa durch eine dynamische Bepreisung, die auf den tatsächlichen externen Kosten basiert und so auch beispielsweise Klimaschäden einschließt. Gleichzeitig würde eine solche nachfrageseitige Regulierung die angebotsseitige, der die Automobilindustrie bereits unterliegt, ergänzen.

Derzeit kann jeder Autonutzer sein Fahrzeug, seinen Weg und die Zeit, zu der er unterwegs sein möchte, ohne Einschränkung wählen. Schon verhältnismäßig kleine Eingriffe zur Steuerung der Nachfrageseite könnten eine große Wirkung entfalten und beispielsweise dafür sorgen, dass der übernutzte Verkehrsträger Straße entlastet und freie Kapazitäten anderer Verkehrsträger besser ausgeschöpft würden. Die Einnahmen aus der Bepreisung speziell des konventionell motorisierten Individualverkehrs könnten dann in andere Verkehrsträger fließen. Für diejenigen, die dann noch immer keine Alternative zur Straße hätten und sich diese Mobilitätsmöglichkeit nun jedoch nicht mehr leisten könnten, müssten finanzielle Ausgleiche geschaffen werden. Die Förderung sollte hier allerdings sehr gezielt angelegt sein.

Fahrzeuge integrieren

Jedes Konzept kann nur so gut sein wie das System, in das es eingebettet ist. Dies gilt sowohl für traditionelle Formen der Mobilität und den ÖPNV als auch für neue Fahrzeuge und neue Mobilitätsideen. Solange Angebote keine echte Alternative sind, sondern als Ergänzung zum eigenen Auto genutzt werden statt wirklichen Verzicht auf motorisierten Individualverkehr auszulösen, konterkarieren sie die Bestrebungen sowohl der Politiker, Mobilitätsplaner und -anbieter als auch der Nutzer.

Die Fahrzeugindustrie kann nur einer der Partner sein, die helfen, ein künftiges verkehrliches Gesamtkonzept zu beschreiben und zu entwickeln. Dazu gehören auch On-Demand-Mobility-Angebote, um den Kunden größtmögliche Flexibilität zu bieten. Für eine zukunftsfähige Mobilität ist eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Politik, Verwaltung, Verkehrsbetrieben und Wirtschaft notwendig, damit alle Mobilitätsträger gleichberechtigt nebeneinander und miteinander bestehen können.

Ergänzend muss Mobilität stark aus der Sicht der Nutzer gedacht werden, um die Akzeptanz des Systems zu sichern. Durch eine intelligente Vernetzung der Verkehrsträger sowie eine digitale Plattform, die alle Angebote zusammenführt und ihre einfache Nutzung ermöglicht, können erhebliche Effizienzsteigerungen im Mobilitätssystem erzielt werden.

Dr. Irene Feige, Leiterin des Instituts für Mobilitätsforschung (ifmo), München

 

„ Auch das nachhaltigste Fahrzeug
kann seine Rolle in einem zukunftsfähigen Mobilitätssystem nicht erfüllen, wenn der Kontext, in dem es sich bewegt oder steht, nicht stimmt.“

 

 

 

 

 

Mobilität nach Corona

Während das Flugaufkommen in Europa dem in den 1950iger Jahren gleicht, gibt es aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie nicht mal in München zur Rushhour Staus. Das öffentliche und wirtschaftliche Leben kam zeitweise zum Erliegen. So scheint der Online Handel einer der wenigen Profiteure der Krise zu sein, beispielsweise bestätigt dies die jüngste Umsatzentwicklung von Amazon. Desweiteren hat zum ersten Mal in der Geschichte von Telearbeit ein Großteil der Menschen, die überhaupt von zuhause aus arbeiten können, dies gleichzeitig in vielen Ländern der Erde erprobt. Es ist zu erwarten, dass dieser Push, den die Digitalisierung des Lebens aktuell erfährt, auch nachhaltige Effekte haben wird. Wie stark sich dieser Volumeneffekt auf die Verkehrsleistung auswirkt, ist aus momentaner Sicht noch schwer abzuschätzen. Dass man gänzlich wieder auf Vorkrisenniveau zurückkehrt, ist allerdings unwahrscheinlich. Neben dem Volumeneffekt ist eine andere spannende Frage die nach dem Verkehrsmittelwahlverhalten. Der motorisierte Individualverkehr könnte einen Aufschwung erleben, weil Pkw als Mobilitätsmöglichkeit ohne Ansteckungsgefahr wahrgenommen werden. Zudem könnte die Zahl der Menschen, die Strecken mit dem Fahrrad oder zu Fuß bewältigen, höher bleiben als vor der Krise, weil diese Mobilitätsmöglichkeiten bereits während der Pandemie stärker genutzt wurden, wie etwa eine Erhebung des ADAC zeigt. Ob die Zahl der ÖPNV-Nutzer langfristig geringer bleiben wird als vor der Pandemie, wird kontrovers diskutiert. Auch, ob On-Demand-Angebote künftig genauso gut oder sogar besser angenommen werden als bisher, ist für die Experten noch nicht entschieden. Klar wurde in jedem Fall gerade während der Krise, wie wichtig physische Mobilität und „echte“ soziale Kontakte für unsere Gesellschaft sind. Normalität ist für uns ohne diese vitalen Kernfunktionen langfristig wohl undenkbar.

ision urbaner Mobilität in Los Angeles 2030, BMW Group