Viel geschafft, noch mehr zu tun

Worauf es beim nachhaltigen Umbau der Energiewirtschaft ankommt

von Rolf Martin Schmitz

Wer hätte 1990 sicher vorhersagen können, dass 30 Jahre später rund die Hälfte des deutschen Stromverbrauchs durch Erneuerbare Energien gedeckt wird? Den Anspruch, im Jahr 2020 zu wissen, was 2050 konkret sein wird, habe ich daher nicht. Eine solche Prognose gleicht dem Blick in die berühmte Glaskugel. Als Ingenieur ist das nicht mein Ding.

Was sich aber klar sagen lässt: Der Kurs, den die Energiewirtschaft im Einvernehmen mit Politik und Gesellschaft eingeschlagen hat, ist eindeutig: Klimaneutralität ist das gemeinsame Ziel. Spätestens 2050 soll es branchenübergreifend soweit sein. Dafür verändert sich die Energiewirtschaft bereits fundamental. Und sie ist dabei sehr erfolgreich. Als einziger Sektor hat sie die CO2-Minderungsziele für den Zeitraum von 1990 bis 2020 übererfüllt. Das war sehr herausfordernd, aber wir haben es geschafft. Ich halte auch die Zielverschärfung der Europäischen Union, die vorsieht, den CO2-Ausstoß bis 2030 im Vergleich zu 1990 um 55 % zu reduzieren, für richtig. Der Klimawandel erfordert von uns dieses hohe Tempo. Und durch die finanziellen Mittel für den Green Deal sowie die Corona-Hilfen, die direkt in nachhaltige Projekte fließen sollen, gibt es nun die große Chance, die klimafreundlichen Technologien schneller aufbauen zu können als bisher angenommen. Strom ist dabei die wichtigste Innovations- und Modernisierungsenergie unserer Zeit. Um so viel sauberen und bezahlbaren Strom wie möglich einsetzen zu können, braucht es in den kommenden Jahren einen zusätzlichen massiven Ausbau von Windkraft- und Solaranlagen sowie Speichern.

Erneuerbare Energien weltweit auf dem Vormarsch
Weltweit ist der Trend für den Ausbau Erneuerbarer Energien seit Jahren ungebrochen. 78 % der globalen Investitionen für neue Stromerzeugungskapazitäten entfielen 2019 auf Wind, Sonne, Biomasse, Geothermie und kleine Wasserkraftwerke. 184 Gigawatt Erneuerbare Energien wurden allein 2019 hinzugebaut. 282 Mrd. US-Dollar wurden dafür eingesetzt. Der Boom, vor allem bei Windkraft und Solar, verwundert nicht. Wo die Bedingungen stimmen, hängen die Erneuerbaren ihre fossilen Konkurrenten im Wettbewerb um kostengünstige Stromerzeugung locker ab. Über die vergangenen 10 Jahre sind die globalen Durchschnittskosten für Photovoltaikanlagen um 83 % gefallen, bei Onshore- und Offshore-Windenergie um 49 bzw. 51 %. Das liegt zum einen an den immer größeren und effizienteren Anlagen. Windkraft- und Solarparks lassen sich längst in industriellen Maßstäben bauen und betreiben. Zum anderen haben viele Staaten die wirtschaftlichen Chancen erkannt, die mit dem Ausbau klimafreundlicher Stromerzeugungskapazitäten einhergehen und entsprechende Regulierungsinstrumente etabliert, um Investitionen anzureizen. Ein gutes Beispiel ist Großbritannien. Bis 2030 sollen rechnerisch alle britischen Haushalte mit Strom aus Offshore-Windkraftanlagen versorgt werden. Dafür hat die Regierung unter Boris Johnson ein umfangreiches Konjunkturprogramm aufgesetzt. Für Investoren attraktiv ist zudem das britische Marktdesign. Mit den sogenannten Differenzverträgen (Contracts for Difference) setzt das Land auf einen guten Finanzierungsmechanismus, der den Ausbau voranbringt und die Strompreise stabil hält.

Dort, wo es mit Strom nicht geht, wird grüner Wasserstoff zum Mittel der Wahl.

Deutschland braucht wieder attraktive Rahmenbedingungen
Deutschland gehört noch immer zu den weltweiten Vorreitern. Zwischen 2010 und 2019 lag unser Land mit einer Gesamtinvestition von rund 184 Mrd. US-Dollar in Erneuerbare Energien auf dem weltweit vierten Platz nach China, den USA und Japan. Für 2019 betrachtet ist das Investment Deutschlands im Vergleich zu 2018 allerdings um satte 30 % gesunken. Damit sich das nicht fortsetzt, ist eine deutlich internationalere Ausrichtung unseres Förderregimes notwendig. Markt und Kapital sind international, und viele Länder bieten Unternehmen ausgezeichnete Rahmenbedingungen, die dem deutschen Marktdesign inzwischen überlegen sind. In der Folge finden Investitionen aktuell verstärkt im Ausland statt. Das lässt sich ändern: Mit einem mutigen Schritt könnte sich unser Land seine europäische Spitzenposition sichern. Statt des in die Jahre gekommenen Erneuerbare-Energien-Gesetzes braucht es Instrumente, die auf Flexibilität, die Verfügbarkeit gesicherter Leistung und allen voran auf den Ausbau Erneuerbarer Energien ausgerichtet sind. Diese sollten sich über eine gestärkte Nachfrage aus verschiedenen Sektoren finanzieren, so dass die staatliche Förderung nur noch flankierend wirkt und im Lichte steigender CO2-Preise schrittweise auslaufen kann. Zukünftig wird es nicht mehr um die Förderung Erneuerbarer Energien gehen, sondern vielmehr um die Absicherung des Ausbaus durch intelligente Instrumente. Auch gemeinsame Ausschreibungen von grünem Strom, Elektrolyseuren und der Umstellung von industriellen Produktionsprozessen wären vorstellbar. Das könnte man dann über Carbon Contracts for Differences finanzieren. Das Resultat wäre eine intelligente und marktorientierte Sektorkopplung, die einer grüner werdenden Industrie zugutekäme und auf die neuen Herausforderungen zugeschnitten wäre.

Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft organisieren
Dabei geht es um nicht weniger als die Frage, ob die Industrie die Chance erhält, sich mit dem Umstieg auf klimaneutrale Energieträger neu zu erfinden; oder, ob sie – lapidar gesagt – auf der Strecke bleibt. Neben dem Ausbau Erneuerbarer Energien und Speicher rückt dafür Wasserstoff zunehmend in den Fokus. Wasserstoff ist ein echter Hoffnungsträger für die Industrie. Weil er klimafreundlich hergestellt werden kann und CO2-frei verbrennt. Bevor Wasserstoff eingesetzt werden kann, bedarf es jedoch zunächst gewaltiger Investitionen: Um ihn klimaneutral herzustellen, werden zusätzliche Kapazitäten Erneuerbarer Energien notwendig. Denn grüner Strom ist die Grundlage für klimafreundlichen Wasserstoff. Geld braucht auch der Bau von großen Elektrolyseuren, um den Wasserstoff darin zu produzieren. Zudem braucht es für den Transport den Aufbau einer umfassenden Wasserstoffinfrastruktur, damit der Energieträger dorthin gelangen kann, wo er gebraucht wird. Sie ist von enormer Bedeutung, wenn man unsere industriellen Zentren erhalten möchte. Und letztlich werden am Ende der Wertschöpfungskette, also vor allem bei den Industrieunternehmen, enorme Investitionskosten anfallen, um die Produktionsprozesse auf Wasserstoff umzustellen.

Für eine technologische Zeitenwende
Es gibt also richtig viel zu tun. Da ist es nur konsequent, die Gunst der Stunde zu nutzen und den Wiederaufbau der Wirtschaft mit Hilfe der Konjunkturpakete so zu gestalten, dass mit ihm eine umfassende Modernisierung und der Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft einhergehen. EU und Bundesregierung haben mit ihren Wasserstoffstrategien den Weg gewiesen. Im nächsten Schritt geht es um die Ausgestaltung von Fördermaßnahmen und konkreten Rahmenbedingungen, damit der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft wirklich beginnen kann. Wenn es gelingt, wäre es der Start in eine technologische Zeitenwende. Auch wenn sich 2050 nicht konkret vorhersagen lässt, eine klare Vorstellung für die Energiewelt habe ich also schon: Das meiste wird elektrisch betrieben werden – vom Auto bis zur Heizung. Der Strom dafür wird sauber, sicher und bezahlbar sein. Und dort, wo es mit Strom nicht geht, wird grüner Wasserstoff zum Mittel der Wahl. Das wäre ein nachhaltiger, rundum gelungener Umgang mit den Ressourcen unserer Welt – dank modernster Technologien, in die wir heute massiv investieren. Diese Vorstellung gefällt mir. Und dafür arbeite ich gern, gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen bei RWE, einem der weltweit  führenden Anbieter von Erneuerbaren Energien. Our energy for a sustainable life.

 

Statt des in die Jahre gekommenen EEGs braucht es Instrumente, die auf Flexibilität, die Verfügbarkeit gesicherter Leistung und vor allem den Ausbau Erneuerbarer Energien ausgerichtet sind.

Dr. Rolf Martin SchmitzRolf Martin Schmitz
Vorstandsvorsitzender
RWE AG

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