EVUs 2021 im Spannungsfeld zwischen Transformation, Nachhaltigkeit und Performance

Die Handelsblatt Journal Redaktion im Gespräch mit Dr. Thomas Fritz und Jörg Stäglich, Partner bei Oliver Wyman über die aktuelle Situation und die Herausforderungen
der Energieversorger.

Herr Stäglich, Energieversorger stecken mitten im Transformationsprozess. Wo sehen Sie die größten Herausforderungen?
Es gibt aktuell ein Dreieck, das es zu managen gilt: die Effizienz verbessern, die gestarteten Wachstumsinitiativen fortführen und die notwendigen kulturellen Veränderungen hin zu High Performance Teams vorantreiben. In der Gleichzeitigkeit liegt der Unterschied zur Vergangenheit. Diesen Balanceakt gilt es, kontinuierlich und jeden Tag neu zu meistern – während im Umfeld die Veränderungen in Hochgeschwindigkeit passieren.

Beschleunigt Ihrer Meinung nach die Pandemie den Transformationsprozess?
Uneingeschränkt: Ja. Die Corona-Krise hat gezeigt, dass Unternehmen, die jahrelang keine „Arbeit von zu Hause“ oder „von unterwegs“ zugelassen haben, binnen einer Woche auf einen völlig neuen Modus umsteigen können und das überraschend gut funktioniert. Digital und virtuell sind das neue Normal. Gleichzeitig wurde die Effizienz an vielen Stellen gesteigert. Aber es stellt sich eben auch die Frage, wie viel wir in die Kultur, in das Zusammenleben und das wechselseitige Verständnis von Teammitgliedern investieren müssen, um einen Ausgleich zu schaffen.

Wo liegen die Chancen und welche neuen Geschäftsmodelle sehen Sie?
Zum Thema Digital hat sich insbesondere das Thema Nachhaltigkeit gesellt. Digitale Plattformen im Vertrieb reduzieren die laufenden Kosten um 50 Prozent, während sie gleichzeitig die Möglichkeit bieten, neue Produkte zu etablieren und ihre Relevanz zu testen. Nachhaltigkeit wird ein Thema, das über die reine Fragestellung des Umweltschutzes hinausgeht und auch andere Themen wie soziale Verantwortung einbezieht. Daraus entstehen neue Differenzierungsmöglichkeiten bestehender Produkte. Unsere aktuelle „Carbon Neutral“-Studie zeigt, dass beim Endkunden großes Interesse am Thema Nachhaltigkeit und konkreten Produkten besteht.

Welche Bedeutung messen Sie Kooperationen zu?
Kooperationen sind häufig der schnellste Weg, um Partnerschaften zu testen. Und das ist in diesen Zeiten schneller Veränderungen von erheblicher Bedeutung. Zu testen, ob man sich wirklich an einen Betreiber einer digitalen Lösung binden will, ist häufig notwendig, um Geschäftspotenziale gemeinsam auszuloten und Risiken für beide Seiten zu minimieren. Dieser Trend wächst und wir erwarten einen weiteren Anstieg.

Herr Dr. Fritz, was sind die Anforderungen an den digitalen Energieversoger der Zukunft?
Die Kernherausforderung besteht in einer Orchestrierung eines dezentralen Energiemarktsystems, das zunehmend ökosystemübergreifend funktioniert. Ökosysteme verschmelzen zunehmend – beispielsweise Energie und Mobilität, Energie und Telekommunikation oder Energie und Eigenheiminfrastruktur. Energieversorger können hier nur dann erfolgreich bestehen, wenn sie integrierte und einfache Lösungen für Kunden bieten sowie resultierende Prozesskomplexitäten hoch effizient und effektiv beherrschen. Die Digitalisierung ist dabei keine Nebenbedingung mehr, sondern zentraler Anker im Mittelpunkt von Geschäftsmodellen, die von Anfang an digital zu denken sind.

Welche neuen Themen kommen in 2021 auf die Energieversorger zu?
In den letzten Jahren haben bei Digitalisierungsinitiativen zwei Themen dominiert: Nutzererlebnisse verbessern und Kundeninteraktion nahtlos und in Echtzeit ausgestalten. Das hat eine Automatisierung einer Vielzahl von Prozessen nach sich gezogen. Die nächste Welle ist schon unterwegs: datenbasierte Analysefähigkeiten ermöglichen deutlich zielgenauere Entscheidungen. Durch das Beobachten und Analysieren dessen, was in sozialen Netzwerken zu einem Unternehmen gesagt wird („Social Listening“), erfahren diese, was ihre Kunden über sie denken, wie sich ihre Wahrnehmung verändert und an welchen konkreten Erlebnissen sie das festmachen. Mit der Analyse von Kundenverhalten wird das nächste Angebot für den wechselwilligen Kunden immer treffender. Aber auch im Netz helfen solche selbstlernenden Systeme bei der Beurteilung von Netzzuständen. Dafür bedarf es nicht nur der Etablierung neuer Tools, häufig müssen neue Fähigkeiten in neue Prozesse integriert werden. Herausforderungen gibt es also absehbar mehr als genug.

Vielen Dank für das Gespräch!

www.oliverwyman.de

Dr. Thomas Fritz Jörg Stäglich

Dr. Thomas Fritz, Partner bei Oliver Wyman
Jörg Stäglich, Global Head Utilities bei Oliver Wyman

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