Die Neuerfindung der Mobilität

Die Automobilindustrie der Zukunft

Vielen von uns ist noch gar nicht bewusst, in welch historisch bedeutender Zeit wir leben. Denn nicht nur das Automobil steht durch die digitale Transformation vor seiner ersten Neuerfindung, sondern die Mobilität an sich: Selbstfahrende Fahrzeuge ohne Lenkrad und Pedalerie werden für den Transport von Personen und Waren in wenigen Jahren in den ersten Städten unterwegs sein.

Dies wird einen ähnlichen Fortschritt der Gesellschaft und vor allem die Erhöhung unserer Lebensqualität bewirken wie vor über 100 Jahren der Umstieg vom Pferd aufs Automobil. Ich sehe dies nicht erst in der fernen Zukunft, im Jahr 2030 oder 2035, sondern in den nächsten fünf Jahren, in denen diese neue Welt geformt wird. Bis 2025 wird es in vielen Städten und Regionen der Welt ganz alltäglich sein, sich von A nach B in selbst-fahrenden Autos transportieren zu lassen. Vor uns liegt also eine spannende Zeitreise zur Vollautonomie.

Heutzutage bestimmen Enge, Parkplatznot, Staus und Stress im Verkehr das Leben in unseren Innenstädten. Schauen Sie sich beispielsweise eine Stadt wie Berlin an mit diesen typischen Straßenzügen und beidseitig geparkten Autos.

Der Blick auf dieselbe Straße in 2025 wird ganz anders aussehen. Weil autonome Fahrzeuge die Menschen direkt an der Haustür abholen und selbstständig außerhalb der beengten Innenstadt parken, werden die innerstädtischen Flächen am Straßenrand frei und können z.B. für weitere Fahrspuren, eine Verbreiterung der Gehwege, sichere Fahrradwege oder ähnliches genutzt werden.

Flächenpotenziale durch neue Mobilität

Zu diesem Potenzial mein nächstes Beispiel: Es ist doch unglaublich, wieviel wertvolle Fläche in den Innenstädten heute durch Parkplätze oder Parkhäuser belegt ist. Schauen Sie sich Houston, Texas an – heute und die Vision 2025.

Es entstehen viele neue Gestaltungsräume und so können die wertvollen Innenstadtflächen künftig sinnvoller genutzt werden, z.B. für zusätzliche Parks, Spielplätze, Einkaufszentren, Büro- und Wohnräume und das in den besten Innenstadtlagen der Welt. Das wäre doch sehr erstrebenswert, oder?

Lassen Sie mich eine weitere Entwicklung benennen. Schauen Sie sich an, wie wenig individuelle Mobilität wir heute den Schwächsten unter uns anbieten – den Alten, Kranken, Blinden und Kindern. Sie müssen weite Strecken mühsam zu Fuß, teilweise mit Rollator, zu öffentlichen Haltestellen gehen oder sich teure Taxis leisten. Der demografische Wandel verstärkt noch diese Situation.

Mobilität für alle

In die neue Mobilitätswelt werden alle Menschen eingebunden. Wir werden sie bequem und  beschwerdefrei von Tür zu Tür transportieren – auf Knopfdruck oder auf Sprachbefehl: „Bitte hole mich ab.“ Solche Angebote bieten den Nutzern einen enormen Gewinn an Lebensqualität. Sie erleichtern erheblich die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Können Sie sich vorstellen, wie dankbar uns diese Menschen sein werden? Zudem eröffnet sich hier ein riesiger Markt, der bisher weitestgehend brach liegt.

Ein weiteres Beispiel für die Chancen des Autonomen Fahrens: Was würden Sie dazu sagen, dass wir bis zu 1,25 Millionen Menschen das Leben retten könnten – Jahr für Jahr? So viele Menschen sterben jährlich im Straßenverkehr, 91% davon durch sogenanntes menschliches Versagen. Die Minimierung von Verkehrsunfällen wird in einigen Teilen der Welt bald Realität werden, weil selbst-fahrende Autos keine Schrecksekunde haben, sondern in Millisekunden reagieren können, weil sie nicht abgelenkt werden, keinen Alkohol trinken, nicht ermüden und daher viel sicherer als wir Menschen das Auto steuern können. Die Basis dafür liefern die künstliche Intelligenz, exponentiell wachsende Rechnergeschwindigkeit und die Real-Time-Vernetzung untereinander.

Und was würden Sie sagen, wenn ich Ihnen heute mitteile, dass wir jedem Menschen 37.668 wertvolle Stunden schenken? Dies ist die Zeit, die jeder im Schnitt in seinem Leben im Auto verbringt. Bisher ist dies „verlorene“ Zeit. Denken Sie etwa an Staus, Stop-and-go in der City,  oder die erfolglose Suche nach einem Parkplatz. Wir werden den Menschen diese Zeit zurückschenken, indem wir sie auch im Auto entspannt reisen lassen, ihnen die Möglichkeit zur Entspannung, zum Arbeiten, zum Kommunizieren geben, zum Genuss der schönen Natur, zum Spielen mit den Kindern, als Kinosaal, als Konzerthalle und vieles mehr.

Wäre es nicht ein Traum, sich abends nach der Arbeit in der Lounge seines Autos schlafen legen zu können und am nächsten Morgen ausgeschlafen am Urlaubsort in Italien anzukommen? Oder unterwegs einen Film in bester Ton- und Bildqualität zu sehen? Mehr Platz, mehr Zeit, höhere Lebensqualität, höhere Produktivität und Sicherheit: Das alles kann das autonom fahrende, voll vernetzte Auto der Zukunft den Menschen bringen.

Ich jedenfalls möchte gern in dieser Zukunft leben! Es liegt mir sehr am Herzen, dass unsere Kinder ein besseres, sichereres, entspannteres, stressfreieres und schöneres Leben haben  als wir selbst. Und dies ohne auf individuelle Mobilität und die damit verbundene Freiheit verzichten zu müssen. Wir als Konzern mit unseren Marken, mit unseren bereichsübergreifenden Teams und ich persönlich ruhen nicht und arbeiten Tag und Nacht daran, dies umzusetzen.

Die Automobilindustrie im Wandel

Die Automobilindustrie erlebt gerade historische Zeiten. Dies ist gigantisch und für uns als Volkswagen Konzern sowohl eine Riesenherausforderung, der wir uns sehr gerne stellen, als auch eine noch viel größere Chance, das Leben deutlich zu verbessern, um die Erde in einem besseren Zustand zu verlassen, als wir sie vorgefunden haben.

Sie können sich sicher vorstellen, wie es den Menschen vor über hundert Jahren ging, als die ersten Autos auf den Straßen fuhren, inmitten der Pferdekutschen. Ich habe volles Verständnis dafür, dass es auch heute viele Zweifler gibt; die weniger die Chancen als die Risiken sehen. Lassen Sie uns diese Menschen gemeinsam überzeugen! Wir sollten konsequent die Mutigen, die Kühnen, die Vordenker und Erfinder unterstützen, damit auch die Neuerfindung des Automobils auf breite Zustimmung trifft und mit Gesetzen, Bestimmungen und Regeln jetzt dafür der Weg freigemacht wird.

Wir im Volkswagen Konzern möchten diesen Wandel federführend vorantreiben und gestalten, deshalb erhöhen wir sowohl das Tempo als auch die Investitionen in diesen wichtigen Innovationsfeldern der Digitalisierung und Vollautomatisierung, und wir stellen uns dafür neu auf. Damit wird der Volkswagen Konzern vom Automobilhersteller zum Mobilitätsanbieter avancieren – mit der Mentalität und der Agilität des Silicon Valley.

Neue Rollen in der vernetzten Welt

Im letzten Jahrhundert war der Motor das Herz des Automobils und der Fahrer sein Gehirn. In diesem Jahrhundert wird das selbst-fahrende System, welches den Fahrer ersetzt, zum Herz des Automobils und die Mobilitätsplattform zum Buchen von Mobilität „On Demand“ wird zu seinem Gehirn. Sowohl das selbst-fahrende System auf Basis künstlicher Intelligenz mit 360 Grad Laser, Radar, Kamera und Ultraschall Sensorik, Zentralrechner und Redundanzsystemen als auch die Mobilitätsplattform bestehen zum großen Teil aus Software und sehr komplexen Software-Algorithmen: von der Umgebungserfassung und Sensorfusion über die Objekterkennung, Situationsanalyse, Pfadplanung, Entscheidungslogik auf Basis künstlicher Intelligenz bis zur lernenden HD-Karte, welche wir gemeinsam mit dem kürzlich erworbenen Kartendienst HERE entwickeln.

Dies bedeutet, dass wir uns zu einem integrierten Hardware-, Software- und Services-Konzern weiterentwickeln werden, um diesen Wandel zu bewältigen und neue Geschäftschancen und Umsatzpotenziale zu erschließen. Ich möchte an dieser Stelle ein Zitat von Alan Kay erwähnen, der bereits vor über 30 Jahren sagte: „Menschen, die es mit Software sehr ernst meinen, sollten ihre eigene Hardware bauen.“ Wir bei Volkswagen sehen dies genauso. Und der Riesenwettbewerbsvorteil für uns ist, dass wir die Hardware bereits beherrschen. Da unsere Zukunft davon abhängt, müssen und werden wir die Software- und Services-Entwicklung genau so professionell und fundiert angehen wie die Hardware Entwicklung.

Unser Ziel ist es, im Jahr 2025 einer der führenden Mobilitätsanbieter zu sein. Hierfür haben wir unser Konzerndesign für das digitale Zeitalter neu aufgestellt. Mit den zunächst drei „Volkswagen Group Future Center“ (in Europa, Asien und Kalifornien) werden Designer und Digitalisierungsexperten gemeinsam das Auto der Zukunft entwickeln. Im Center für Europa in Potsdam haben wir mit dieser kooperativen Arbeitsweise bereits begonnen und bis Ende des Jahres werden auch unsere beiden Future Center in San Francisco bzw. Silicon Valley und das Future Center Asia in Peking an den Start gehen. Eine solche Verschmelzung von Digitalisierung und Design, die Hand in Hand das Interieur, das Exterieur und auch das User Experience Design für unsere Produkte und Services konzipieren und umsetzen, ist wegweisend für die Automobilindustrie. Integral, direkt und mit dem absoluten Fokus auf unsere Kunden, ihre Bedürfnisse, Wünsche und Träume! Auch damit bringen wir ein Stück Silicon-Valley-Kultur, dessen Denk- und Arbeitsweise in den Volkswagen Konzern und unsere Marken. Das Ziel: Die Fahrzeuge des Volkswagen Konzerns sollen bei Kundenerlebnis, Interface-Design, Bedienlogik, neuen Innenraumkonzepten sowie Info- und Entertainment „Best-in-Class“ sein. Selbstverständlich gehören perfekte Konnektivität der Fahrzeuge mit der Cloud, mit den Kunden-Smartphones sowie mit dem Smart Home zu der Best in Class digitalen User Experience dazu, und genauso Over-the-Air Software Updates und Upgrades, welche unsere Fahrzeuge immer auf dem neuesten Stand halten und den Kunden neue Services bieten.

Ein neues Ökosystem

Die Digitalisierung ermöglicht uns auch die Schaffung eines „Ökosystems“ über Konzernmarken und -produkte hinweg, in welchem die Kunden und Nutzer das beste Erlebnis im Wettbewerbsumfeld erhalten, so wie wir es aus den Ökosystemen um unsere Smartphones, PCs und Home Entertainment kennen. Das Fahrzeug wird zu unserem besten Freund, der uns versteht, mit uns spricht, unser Verhalten und unsere Vorlieben lernt, um uns perfekt zu unterstützen. Mit dem Budd-e hat die Marke Volkswagen auf der CES gezeigt, wohin die Reise geht.

Ich bin überzeugt, dass dieses neue Kundenerlebnis faszinieren wird. Die selbst-fahrenden Fahrzeuge werden nicht nur dem Ziel des unfallfreien Fahrens nahe kommen, sondern auch viel Fahrspaß bieten, wie mit dem Audi RS7 piloted driving concept im letzten Jahr auf der Rennstrecke gezeigt. Denn Emotionen, Performance und Fun to Drive werden auch in Zukunft wichtige Faktoren bleiben.

Diese Zukunft zu schaffen, die Chance zu haben, einen signifikanten Anteil an der Neuerfindung des Automobils und der Neuerfindung der Mobilität zu haben, das treibt uns alle im Volkswagen Konzern an, das treibt mich persönlich an.

Insofern sehen wir das Zitat von Alan Kay als Leitgedanken: „Die beste Art die Zukunft vorherzusagen, ist sie zu erfinden.“

In diesem Sinne erfinden wir das Automobil neu. Wir erfinden die Mobilität neu, und wir führen diese Revolution an!

„In die neue Mobilitätswelt werden alle Menschen eingebunden. Wir werden sie bequem und beschwerdefrei von Tür zu Tür transportieren – auf Knopfdruck oder auf Sprachbefehl.“

Über den Autor

Johann JungwirthJohann Jungwirth ist Leiter der Digitalisierungsstrategie des Volkswagen Konzerns.

Diesen und viele weitere Artikel zur Zukunft der Automobilindustrie finden Sie auch in der aktuellen Ausgabe des Handelsblatt Journals.

packshot-cc-300x300automobilWeitere Themen:

  • Automatisiertes/Autonomes Fahren
  • Car Wars
  • Connectivity
  • New Work & New Retail
Kostenloser Download!