Automatisiertes und autonomes Fahren: Eine Revolution?

Automatisiertes Fahren ist heute bereits Realität. Jeder, der bereit ist, ein entsprechend ausgerüstetes Fahrzeug zu erwerben, kann automatisiertes Fahren erleben. Adaptive Cruise Control, Notbremssysteme und Fahrspurassistent sind für viele Fahrzeuge erhältlich.

Die Forschung und Entwicklung der Automobilproduzenten, ihrer Zulieferer und Technologiefirmen, wie z.B. Google, geht über das hinaus, was heute bereits bestellt werden kann. Audi lässt seinen RS7 mit dem Namen Bobby mit Geschwindigkeiten von bis zu 240 km/h über abgesperrte Rennstrecken fahren, Google experimentiert mit sehr kleinen, auf den Nahverkehr ausgerichteten Fahrzeugen.

Automatisiertes oder Autonomes Fahren?

Um die Frage, ob wir vor einer Revolution in der Mobilität stehen, differenziert beantworten zu können, unterscheiden wir zwischen automatisiertem und autonomem Fahren. Automatisierte Fahrzeuge unterstützen die Fahrenden, indem sie – manchmal auch über längere Zeit – Aufgaben übernehmen, die in der Vergangenheit von Fahrerin oder Fahrer übernommen wurden. Autonome Fahrzeuge fahren völlig fahrerlos und benötigen im Extremfall nicht einmal mehr ein Lenkrad. Als weitere Grundlage für die Beschäftigung mit der Zukunft von Fahrzeugen unterscheiden wir zwischen Universal- und Flottenfahrzeugen. Universalfahrzeuge entsprechen dem, was wir heute unter Personenkraftwagen verstehen. In der Regel werden Universalfahrzeuge von einer Person, die nicht unbedingt Eigentümer sein muss, gefahren. Flottenfahrzeuge sind für gewisse Einsatzszenarien, z.B. den Transport von Personen vom Bahnhof nach Hause («Last-Mile-Vehicle»), konstruiert. Die Passagiere benutzen sie, ohne dass sie diese Fahrzeuge fahren oder irgendeine Verantwortung für sie übernehmen. Flottenfahrzeuge werden z.B. von Unternehmen oder öffentlichen Gemeinwesen besessen und betrieben.

Wo beginnt die Revolution?

Wenn man diese beiden Definitionen einander gegenüberstellt, kommt man zu der Matrix in der Abbildung. Diese Matrix erlaubt uns eine differenziertere Auseinandersetzung mit der Frage, ob automatisierte und autonome Fahrzeuge für eine Revolution in der Mobilität verantwortlich sein können.

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Automatisierte Universalfahrzeuge (Feld 1) sind bereits Realität. Ihr Automatisierungsgrad wird sich in den nächsten Jahren schnell weiterentwickeln. Wir erwarten, dass automatisierte Fahrzeuge immer komplexere Verkehrssituationen und höhere Geschwindigkeiten im automatisierten Betrieb beherrschen werden. Audi beispielsweise wird den Verkehr mit den in Kürze auf den Markt kommenden Stau- und Autobahnpiloten prioritär auf Autobahnen automatisieren. Volvo wird in Göteborg automatisierte Fahrzeuge in der Innenstadt fahren lassen. Für uns stellt die Erhöhung des Automatisierungsgrades eine Evolution dar, die entlang der Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnik, vor allem der Sensorik und der Algorithmik erfolgen wird.

Automatisierte Flottenfahrzeuge und ihre Weiterentwicklung (Feld 2) sind für uns ebenfalls Teil der normalen technischen Evolution. Heute verfügbare Flottenfahrzeuge, wie z. B. Taxis, sind meist modifizierte Universalfahrzeuge. Sie unterscheiden sich von der Funktionalität her nur unwesentlich von Universalfahrzeugen.

Autonome Universalfahrzeuge (Feld 3) haben das Potential, eine Revolution der Mobilität zu bewirken. Wir fordern die Leserinnen und Leser dieses Beitrages zu einem kleinen Gedankenexperiment auf: Stellen Sie sich vor, Ihr Fahrzeug wird über Nacht autonom und Sie können damit beliebige und beliebig lange Strecken fahrerlos fahren. Wie würden Sie dieses Fahrzeug nutzen, und wie sollte das Fahrzeug und vor allem der Innenraum aussehen? Antworten können sein: »Schlafen, einen Film anschauen, arbeiten, mit den Kindern Hausaufgaben machen, oder vielleicht Sex». Der Mercedes F015, eine Studie, zeigt, wie sich die Ingenieure von Daimler ein automatisiertes Universalfahrzeug vorstellen. Der Innenraum ist wie ein Wohnzimmer oder Konferenzraum ausgestattet, bei der die Mitfahrenden gegenübersitzen und zwei Personen mit dem Rücken zur Fahrtrichtung platziert sind.

Autonome Flottenfahrzeuge (Feld 4) haben ebenfalls das Potential zur Revolution der Mobilität. Man stelle sich vor, dass in Grossstädten an Bahnhöfen oder am Rand der Fussgängerzonen kleine autonome, elektrisch betriebene Fahrzeuge ständen, die Personen dann ähnlich wie ein Taxi oder ein Bus transportieren, aber direkt vor die Haustür bringen. Es verwundert vor diesem Hintergrund nicht, dass sich Bahnunternehmen im Sinne von «individuellem öffentlichen Verkehr» mit automatisierten Flottenfahrzeugen und ihren Auswirkungen auf Mobilität beschäftigen.

Die Revolution brauch ihren Rahmen

Eine wirkliche Revolution der Mobilität durch automatisierte Universal- und Flottenfahrzeuge ist nur möglich, wenn Rahmenbedingungen vorhanden sind, die den Betrieb autonomer Fahrzeuge gesetzeskonform ermöglichen. Heute ist der Betrieb autonomer Fahrzeuge ausser auf genau festgelegten Strassen zu Versuchszwecken, u.a. wegen des Wiener Abkommens, nicht möglich. Eine andere zentrale Rahmenbedingung, die klarzustellen ist, stellt die pragmatische Klärung offener ethischer und moralischer Fragen bei Dilemma-Situationen dar. Dilemma-Situationen entstehen, wenn sich ein automatisiertes oder autonomes Fahrzeug zwischen zwei fatalen Alternativen entscheiden muss. Zudem sind die infrastrukturellen Voraussetzungen für automatisierte Fahrzeuge zu schaffen, z.B. entsprechend ausgerüstete Parkhäuser und die für die Anbindung des Back-Endes notwendige kommunikations-technische Infrastruktur.

Eine weitere Voraussetzung für eine Revolution der Mobilität durch autonome Fahrzeuge ist, dass die Kundinnen und Kunden diese Fahrzeuge lieben und mit Freude kaufen. Nach unserer Einschätzung sind zwei Faktoren sehr wichtig, damit sich automatisierte Fahrzeuge und später autonome Fahrzeuge durchsetzen: Vertrauen in die neuen Fahrzeuge und eine grundlegende Veränderung der Einstellung zum Fahren. Vertrauen ist in vielfältiger Art und Weise wichtig: Vertrauen der Personen, die sich in einem autonomen Fahrzeug befinden, zum Fahrzeug, und Vertrauen anderer Verkehrsteilnehmer, z.B. von Fussgängern oder anderen Fahrzeugen zu autonomen Fahrzeugen. Genauso wichtig wie Vertrauen scheint uns die Veränderung der grundlegenden Einstellung zum Fahren zu sein. Heute basieren die Fahrzeuge auf der Vorstellung, dass eine Fahrerin oder ein Fahrer fährt und seine Zeit in das gesetzeskonforme Fahren investiert. Beim autonomen Fahren dagegen steht nicht das Steuern des Fahrzeuges im Vordergrund, sondern die Nutzung der Zeit im Fahrzeug, während der Roboter das Fahrzeug selbständig an das gewünschte einprogrammierte Ziel bringt.

Wie sehen die Auswirkungen aus?

Die Auswirkungen hochautomatisierter und autonomer Mobilität auf Wirtschaft und Gesellschaft können und werden wahrscheinlich revolutionär sein. Autonome Fahrzeuge, d.h. Roboter, werden nach Expertenmeinung die Anzahl von Unfällen dramatisch senken. Erste positive Auswirkungen automatisierter Notbremssysteme sind empirisch nachweisbar.1 Neue Möglichkeiten der Nutzung der Zeit im Auto entstehen durch automatisiertes und auf jeden Fall durch autonomes Fahren. Audi spricht in diesem Zusammenhang von der «Extrastunde», die automatisiertes Fahren den Fahrerinnen und Fahrern schenken. Neue Geschäftsmodelle werden möglich sein, vor allem wenn sich automatisierte Mobilität mit der sog. Share-Economy verbindet. Unternehmen, wie z.B. Uber investieren deshalb bereits heute in autonome Fahrzeuge. Aber auch die Wettbewerbssituation in der Automobilindustrie wird sich verändern. Nicht mehr physische Komponenten bestimmen die Konkurrenzfähigkeit, sondern immer stärker Software, Daten und Algorithmen. Nicht nur die Automobil industrie und ihre Zulieferer, sondern die gesamte Mobilitätsindustrie muss sich unserer Meinung nach auf diese Entwicklung einstellen. Wir gehen davon aus, dass automatisiertes und autonomes Fahren durch die Informatikorientierung Einfluss auf die nationale Konkurrenzfähigkeit haben wird. Die Internetindustrie wird vom Silicon-Valley, dem Zentrum der Softwareindustrie dominiert. Bei unseren Besuchen in Palo Alto haben wir in den vergangenen Jahren immer wieder gehört «The Valley loves the automotive industry». Vor diesem Hintergrund sehen wir klar, dass automatisiertes und autonomes Fahren im Sinne der Digitalisierung der Automobilindustrie eine ernstzunehmende Bedrohung für Deutschland sein kann. In diesem Sinne ist die Studie des Fraunhofer Instituts FAO in Stuttgart ein wichtiger Beitrag zur Klärung der volkswirtschaftlichen Auswirkungen automatisierten und autonomen Fahrens.2

In vielen Gesprächen haben wir erfahren, dass es tiefgreifende Veränderungen in Ausbildung, Prozessen, Strukturen und Kultur bei allen Mobilitätsanbietern braucht, um die Herausforderung «Automatisierte und autonome Mobilität» erfolgreich zu meistern. Es wird wie bei jeder Transformation Gewinner und Verlierer geben. Wenn man zu den Gewinnern gehören will, braucht es dramatische Veränderungen. Ein Insider aus der Automobilindustrie hat in diesem Zusammenhang den Begriff «Perestroika» verwendet. Wir glauben, dass er Recht hat.

„Um die Herausforderung‚ Automatisierte und autonome Mobilität‘ erfolgreich zu meistern, braucht es tiefgreifende Veränderungen in Ausbildung, Prozessen, Strukturen und Kultur bei allen Mobilitätsanbietern.“

1 www.eurotransport.de/news/nutzenpotenzial-von-assistenzsystemen-sicher-ankommen-6471222.html
2 www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/H/hochautomatisiertes-fahren-auf-autobahnen,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf

Über die Autoren

brenner-herrmannProf. Dr. Walter Brenner ist Professor für Informationsmanagement und geschäftsführender Direktor des Instituts für Wirtschaftsinformatik der Universität St. Gallen.

Prof. Dr. Andreas Herrmann ist Direktor des Instituts für Customer Insight der Universität St. Gallen.

Diesen und viele weitere Artikel zur Zukunft der Automobilindustrie finden Sie auch in der aktuellen Ausgabe des Handelsblatt Journals.

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