Was wissen wir über die Flexibilisierung der Energienachfrage – wirklich?

Was wissen wir über die Flexibilisierung der Energienachfrage – wirklich?

von Andreas Löschel & Thorsten Schneiders

Spätestens seit dem Entwurf des Gesetzes zur Digitalisierung der Energiewende, der einen bundesweiten Rollout von Smart Metern für Verbraucher mit einem Jahresstromverbrauch von mehr als 6000 kWh vorsieht, werden die Möglichkeiten und Grenzen der Flexibilisierung der Energienachfrage kontrovers diskutiert. Auch die dazu vorliegenden Untersuchungen zeigen ein uneinheitliches Bild. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse stammen weitestgehend aus Pilotprojekten, Modellrechnungen, Potentialanalysen und Umfragen. Was wissen wir also tatsächlich über Flexibilitätspotenziale der Energienachfrage? Und: Wie verlässlich und skalierbar sind diese Ergebnisse?

Im Rahmen des Programms „E-Energy – Smart Energy made in Germany“ wurden in Pilotprojekten in Haushalten durch zeitvariable Tarife und Smart-Meter-Visualisierungen des Energieverbrauchs Lastverlagerungspotenziale von bis zu 10% festgestellt. Andere Untersuchungen auf Grundlage modellgestützter Berechnungen – hierbei basiert die Reaktion der Verbraucher auf Preisveränderungen auf Annahmen zur Preissensitivität – gehen davon aus, dass Verhaltensanpassungen bei zeitvariablen Tarifen unter Berücksichtigung der Kosten für intelligente Messsysteme nicht zu einem Nettonutzen für die Haushalte führen. Für Gewerbebetriebe waren in den „E-Energy“-Modellregionen Einsparpotenziale von ca. 20% beobachtbar. Und während die Bundesregierung im Grünbuch zum Strommarktdesign von einem Lastverschiebungspotenzial von 5 – 15 GW ausgeht, schätzt die Agora Energiewende mittels modellgestützter Prognosen und Unternehmensbefragungen die kurzfristig realisierbaren Lastverschiebungspotenziale in Süddeutschland auf lediglich etwa 1 GW.

Feldexperimente im internationalen Kontext

Wie belastbar sind nun diese so unterschiedlichen Ergebnisse? Zunächst einmal ist nicht klar, ob Pilotprojekte und Fallbeispiele generalisierbar sind und ob die beobachteten Änderungen des Energieverbrauchs tatsächlich auf den jeweiligen Eingriff zurückgeführt werden können. Hierzu sind geeignete Kontrollgruppen notwendig, die zum systematischen Vergleich herangezogen werden können – also etwa vergleichbare Regionen, in denen keine Eingriffe vorgenommen wurden. Im internationalen Kontext werden zunehmend Feldexperimente eingesetzt, die ebenfalls mit realem Bezug implementiert werden und Repräsentativität durch die zufällige Einteilung in Versuchs- und Kontrollgruppen erreichen.

Solche Feldexperimente wurden bisher vornehmlich in den USA durchgeführt. Mittels stündlicher Echt-Zeit-Preise und zeitvariabler Tarife konnten hier jährliche Einsparungen von gerade einmal 1-2% der Energiekosten nachgewiesen werden. Informationen über den jetzt gerade gültigen Strompreis bewirkten kurzfristig einen bis zu 11% geringeren Energiekonsum. Allerdings verschwand dieser Effekt vier Wochen nach der Programmimplementierung bereits wieder. Informationen zum eigenen Stromverbrauch und der Vergleich mit dem Verbrauch ähnlicher Nachbarn führten zu einem durchschnittlichen Rückgang des Energiekonsums um 2%. Daneben stehen erste Ergebnisse aus Deutschland: das Feldexperiment „Intelliekon“ beziffert die Verbrauchsminderung durch Informationen zum aktuellen und historischem Energieverbrauch sowie Energiespartipps auf 3,7%, bei einem zeitvariablen Tarif kommt es zu Lastverlagerungen von 2%.

Die ermittelten Einsparpotenziale in Feldexperimenten liegen also deutlich unter den deutschen Schätzungen aus Pilotprojekten, Modellrechnungen, Potentialanalysen und Umfragen. Die Generalisierbarkeit wird auch dadurch eingeschränkt, dass die Auswahl der Teilnehmer in vielen Fällen auf freiwilliger Basis geschieht, d.h. es wird möglicherweise nur das Verhalten besonders motivierter Haushalte untersucht. Teilnehmer einer Untersuchung sollten daher nicht selbst die Entscheidung treffen, zur Versuchsgruppe zu gehören. Dies ist aber gerade bei stärkeren Interventionen, wie einer zeitvariablen Bespreisung, schwer umsetzbar.

Implementierung neuer Geschäftsmodelle

Die Fragen zur Flexibilisierung der Energienachfrage sind also keinesfalls abschließend beantwortet: Die Umsetzbarkeit der entsprechenden Projekte in der Energiewirtschaft durch IT, Abrechnungssysteme und nicht zuletzt das zuständige Fachhandwerk muss weiter entwickelt werden. Wie nehmen die Kunden die neuen technischen Möglichkeiten z.B. durch Smart Meter an? Neben technologisch möglichen und wirtschaftlich realisierbaren Flexibilisierungspotenzialen sind in Zukunft verstärkt evidenzbasierte Abschätzungen zu den tatsächlichen Wirkungen preislicher, regulatorischer und informatorischer Interventionen notwendig.

Die vor kurzem auf Initiative des NRW-Wirtschaftsministeriums gegründete Forschungsgruppe „Smart Energy.NRW“ wird hierzu einen Beitrag leisten. Als Forschungsplattform für Wirtschaft und Wissenschaft werden hier in praxisnahen Projekten Fragestellungen der Digitalisierung der Energiewirtschaft untersucht. Dazu gehören neben den Möglichkeiten und Grenzen der flexibleren Energienachfrage auch das Potenzial „smarter“ Produkte oder die Implementierung damit verbundener, neuer Geschäftsmodelle. Das geplante Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende wird einen starken Impuls für diese und ähnliche Forschungsvorhaben liefern. Mehr evidenzbasiertes Wissen zur Flexibilisierung der Energienachfrage wäre sicher aber auch schon für die Diskussionen zum Digitalisierungsgesetz hilfreich gewesen.

Über die Autoren:

Andreas Löschel & Thorsten SchneidersAndreas Löschel (li.), Universität Münster leitet gemeinsam mit Thorsten Schneiders (re.), TH Köln, die Forschungsgruppe „Smart Energy.NRW“, gegründet auf Initiative des Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk des Landes Nordrhein-Westfalen.


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