Netzinfrastruktur: Den Worten müssen Taten folgen!

„Beim Ausbau der Energienetze dürfen sich Fehler nicht wiederholen“

Artikel aus dem Handelsblatt Journal „ENERGIEWIRTSCHAFT“ vom 18.01.2022

von Dr. Leonhard Birnbaum

Die neue Bundesregierung will den Schwerpunkt ihrer Arbeit auf die Klimapolitik setzen. Diese Ausrichtung ist ein richtiges und starkes Signal, denn der gemeinsame Kampf gegen den Klimawandel ist die wichtigste Aufgabe unserer Generation. Ich freue mich insbesondere darüber, dass die Koalition die Bedeutung der Verteilnetzinfrastruktur als Rückgrat der Energiewende anerkennt. Jetzt braucht es zu den richtigen Worten auch passende und zupackende Taten.

Wir brauchen Tempo
Die Regierungsparteien haben erkannt, dass die Politik Tempo aufnehmen muss – denn die neuen Klimaziele sind ambitioniert und die Zeit mehr als knapp. Daher gilt es nun, schnell in den Umsetzungsmodus zu schalten. Deutschlands Ampel muss freie Fahrt für Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Wachstum zeigen. Dann kann die Energiewirtschaft die Dekarbonisierung von Energie, Wärme und Mobilität mit voller Kraft anpacken.

Viele Menschen fragen sich, ob wir es schaffen können, bis Ende des Jahrzehnts den Anteil von Erneuerbaren Energien in der Stromversorgung auf 80 Prozent zu steigern. Ich sage: Ja, das können wir schaffen, aber das ist kein Selbstläufer. Wir müssen jetzt einen Gang hoch schalten.

Die richtigen Maßnahmen
Das fängt an bei den Rahmenbedingungen. Wenn die Pläne der Regierung umgesetzt werden, wächst die Zahl der Anlagen, die ans Netz gebracht werden müssen, in kurzer Zeit rasant. In den Netzen unserer Regionalgesellschaften etwa haben wir schon heute rund 80 Gigawatt Erneuerbare integriert. Allein in den nächsten fünf Jahren werden wir zusätzliche 35 bis 40 Gigawatt anschließen. Bei anderen Netzbetreibern ist das ähnlich. Und es sind Größenordnungen, die einen zügigen Netzausbau zwingend erforderlich machen.

Knackpunkt Netzausbau
Damit der zusätzliche grüne Strom beim Kunden ankommt, muss der Ausbau der Netze mit der gleichen Priorität erfolgen wie der Ausbau der Erneuerbaren. Idealerweise bauen wir das Netz vor dem steigenden Bedarf aus. Schaffen wir das nicht, werden Anlagen abgeregelt und die Kosten steigen. Für eine echte Beschleunigung des Netzausbaus müssen deshalb Planungs- und Genehmigungsprozesse konsequent digitalisiert, naturschutzrechtliche Vorgaben standardisiert sowie die ausreichende personelle und technische Ausstattung der Genehmigungsbehörden sichergestellt werden.

Auch die künftige Finanzierung der Netzinfrastruktur braucht eine neue Grundlage: Der erforderliche Netzausbau – ob Strom- oder Wasserstoffnetze – wird ohne attraktive und im europäischen Vergleich wettbewerbsfähige Investitionsbedingungen nicht funktionieren.

Enorme Investitionen in die Netzinfrastruktur nötig
Dass diese Punkte im Koalitionsvertrag adressiert sind, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Denn den Weg in eine CO2 neutrale Gesellschaft schaffen wir nur mit enormen Investitionen in die Stromverteilnetze und ihre Digitalisierung. Wenn Strom aus Erneuerbaren Energien nicht eingespeist werden kann, weil das Stromnetz überlastet ist, kostet das den Stromkunden bares Geld. Die Gesamtkosten zum Ausgleich von Netzengpässen beliefen sich bereits im Jahr 2020 auf rund 1,4 Milliarden Euro. Dieses Geld hätten wir besser in Ausbau und Modernisierung der Netze gesteckt.

Ohne Netzinfrastruktur gibt es keine Energiewende. Wir müssen daher das Tempo erhöhen. E.ON etwa wird bis 2026 insgesamt rund 27 Milliarden Euro investieren, rund 22 Milliarden Euro davon in den Ausbau der Energienetze als Rückgrat der Energiewende.

Dabei geht es im Übrigen nicht nur um den Bau neuer Trassen. Die Umstellung der Energieversorgung auf fluktuierende und dezentral eingespeiste Erneuerbare Energien, auf neue flexible Verbraucher und Kunden, die zunehmend aktiv am Energiemarkt teilnehmen, macht erhebliche Integrationsbemühungen in das System erforderlich. Dafür muss das Management von Erzeugung und Verbrauch grundlegend digitalisiert werden – wir brauchen flächendeckend Smart Meter. Deren Einführung muss jetzt zügig vorankommen. Denn Digitalisierung wird die zentrale Rolle spielen, um die Netze noch effizienter zu betreiben und gleichzeitig den wachsenden Anteil erneuerbarer Energien möglichst effektiv zu steuern.

Auf diese Weise lässt sich der Netzausbau optimieren. Das senkt nicht nur Kosten, sondern reduziert auch die Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft zum Beispiel in Form von Baumaßnahmen. Nur ein Beispiel von vielen, das zeigt, um was es jetzt für Politik und Energiewirtschaft geht: Wir müssen in den Umsetzungsmodus schalten. Den Worten müssen Taten folgen.

Damit der zusätzliche grüne Strom beim Kunden ankommt, muss der Ausbau der Netze mit der gleichen Priorität erfolgen wie der Ausbau der Erneuerbaren.

Dr. Leonhard Birnbaum, CEO, E.ON SE

Dieser Artikel ist im aktuellen Handelsblatt Journal „ENERGIEWIRTSCHAFT“ erschienen.

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