Eine Zentralisierung der Daten ist paradox | #HBEnergie-Expertenbeitrag von Dr. Andreas Cerbe

von Dr. Andreas Cerbe, Vorstand Technik und Netze, RheinEnergie AG
Wer die Daten kontrolliert, kontrolliert die Welt. So beschreibt es der Computerwissenschaftler und Internetpionier Jaron Lanier sinngemäß in seinem vielbeachteten Buch „Wem gehört die Zukunft?“. Darin zeichnet er ein düsteres Bild von Großkonzernen der Finanz-, Versicherungs- und Internetindustrie, die mithilfe sogenannter Sirenenserver riesige Datenmengen sammeln, analysieren und zu ihrem Vorteil nutzen. Auf der einen Seite auf Gewinnmaximierung bedachte Großkonzerne, auf der anderen Seite der gläserne Bürger als Spielball der Industrie. Doch dieses Bild greift zu kurz. Denn in einer Zeit, in der die Digitalisierung auch die Energiewirtschaft sukzessive durchdringt, zeigt sich einmal mehr: Der verantwortliche und nutzenstiftende Umgang mit Daten ist für die Branche unverzichtbar.

Darüber hinaus ist eine zu Ende gestaltete Energiewende systemisch nur durch professionelles Datenmanagement beherrschbar. Wir haben gelernt, dass geschäftliche beziehungsweise technische Prozesse und Kundenangebote ohne die datenbasierte Unterstützung der IT nicht mehr denkbar sind. Automatisierung auf technischer Ebene, digitalisierte Produkte und Produktwege auf Vertriebsebene – das sind die Schlüssel zum Erfolg und schon heute mehr Realität denn Vision.

So wie sich virtuelle Kraftwerke im Zusammenschalten und der Optimierung dezentraler Erzeugungsanlagen zu einer relevanten, digitalen Basis für die Energieerzeugung entwickeln werden, integrieren Verteilnetzbetreiber große Mengen volatiler Erneuerbarer Energie in ihre Netze. Ein Vorgang, der nur gelingt, wenn die Netze zunehmend intelligenter und digital gesteuert werden. Die Schlagadern der Energiewelt können nur pulsieren, wenn durch sie neben dem Stromkreislauf zusätzlich ein Datenkreislauf fließt. Die Politik hat dies erkannt und mit dem Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende und dem Entwurf des Messstellenbetriebsgesetzes die Marschrichtung vorgegeben. Smart Grid, Smart Meter und Smart Home erhalten künftig verstärkt Einzug in Industrieanlagen, Haushalte, Leitwarten und Netzstationen. Die Energiewende erhält ein digitales Gerüst.

Was der Gesetzgeber dabei noch zu wenig würdigt, ist die Rolle der Verteilnetze. Die Gesetzgebung offenbart dazu Widersprüchliches. Ist die Energiewende im Grunde von Dezentralisierung geprägt, sollen die mittels intelligenter Messsysteme erhobenen Daten paradoxerweise zentralisiert werden. Das schreibt die sternförmige Kommunikation im Rahmen des Digitalisierungsgesetzes vor. Demnach geht die Bilanzierungsverantwortung und damit die Kontrolle der vom Rollout betroffenen Netzsysteme von den Verteilnetzbetreibern an die Übertragungsnetzbetreiber über. Dabei ist es offensichtlich, dass die Verteilnetzbetreiber in einem dezentralen Energiesystem eher noch an Bedeutung gewinnen werden. Sie haben den direkten Kontakt zu Millionen Netzanschlusskunden und müssen die volatilen Ein- und Ausspeisevorgänge managen. Bei der weiteren Digitalisierung der Versorgungssysteme sollte vermieden werden, Doppelstrukturen aufzubauen: Wenn vier Transportnetzunternehmen, die zusammengenommen weniger Kunden haben als der kleinste Verteilnetzbetreiber, sich erstmals ins Massendatenmanagement einklinken, betreiben sie ein Geschäft, das Verteilnetzbetreiber bereits beherrschen und für die heute schon IT-Systeme vorhanden sind.

Dabei liegt eine neue, große Herausforderung in der Sektorkopplung von Stromversorgung und Mobilität – also in der langsam anlaufenden Elektrisierung der individuellen Mobilität. Zufriedene Kunden sind auch dabei ein Schlüssel für den Erfolg der Elektromobilität. Diese wird zweifelsohne an Bedeutung gewinnen, das zeigen die Diskussionen um die steigende Umweltbelastung in den Städten. Noch sprechen wir bei Elektroautos überwiegend über Reichweitensprünge und neue Akkutechnologie. Dabei ist der Ausbau der Ladeinfrastruktur ebenso erfolgskritisch. Denn wenn die E-Autos in einigen Jahren zu Zehntausenden auf unseren Straßen unterwegs sein werden, braucht es ein dichtes und belastbares Netz von Ladepunkten. Damit verbunden ist ein stets bestens austariertes Lastmanagement, insbesondere dann, wenn die Akkus der Fahrzeuge systemisch Speicherfunktionen für erneuerbare Energien übernehmen sollen. Was dazu an Datenmanagement erforderlich sein wird, lässt sich heute bestenfalls erahnen. In jedem Fall ist die große Herausforderung für die Verteilnetzbetreiber absehbar. Die hohen Ladeleistungen im Verteilnetz sind nur mit viel Intelligenz und verknüpften Daten beherrschbar.

Soll die Energiewende mit all ihren Facetten gelingen, benötigen wir leistungs- und handlungsfähige Verteilnetze. Das schließt einen sinnvollen Austausch von Daten mit den Übertragungsnetzbetreibern ein. Denn Daten sollten kein Machtfaktor sein, sondern ein Hilfsmittel, das zum Funktionieren gesellschaftlich relevanter Prozesse – wie beispielsweise der Energieversorgung – beiträgt.

Newsletter Energiewirtschaft 01/2017

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Themen

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  • „Smart“ allein reicht nicht aus
  • In zehn Jahren wird niemand mehr mit dem Verkauf von Strom Geld verdienen
  • Strompreis: Aufschläge behindern Energiewende
  • Digitales Defizit: Energieversorger mit Nachholbedarf
  • Eine Zentralisierung der Daten ist paradox
  • Herausforderung wettbewerblicher Messstellenbetrieb
  • Städte als Motor der Energiewende
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    Dezentralität und Digitalisierung in der Energiewende
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