Klimaschutz braucht eine Vielfalt an Lösungen

Adrian Willig ist einer von zwei Hauptgeschäftsführern des Wirtschaftsverbands Fuels und Energie – en2x. Im Gespräch erläutert er, wie E-Mobilität mehr Menschen erreicht, welchen Weg Energieversorger noch vor sich haben und wie E-Fuels zur Versorgungssicherheit beitragen.

Herr Willig, die E-Mobilität wird als Königsweg der Energiewende im Verkehr gepriesen – trotzdem klappt es mit dem Ausbau der Ladeinfrastruktur hierzulande nur schleppend. Was läuft falsch?
Mit einer Million öffentlich zugänglicher Ladepunkte soll Deutschland zum globalen Leitmarkt für Elektromobilität werden. So lautet das Ziel der Bundesregierung. Doch um das zu erreichen, ist es wichtig, dass die Politik bestehende Hemmnisse abbaut. Derzeit wird insbesondere der Ausbau der Schnell-Ladeinfrastruktur durch unzureichende Rahmenbedingungen ausgebremst. Beispielsweise können unterschiedliche Anforderungen der vielen Verteilnetzbetreiber zu Schwierigkeiten führen. Notwendig sind etwa eine generelle Beschleunigung von Genehmigungsprozessen, die Etablierung eines einheitlichen, transparenten Beantragungsprozesses für Netzanschlüsse, die Entbürokratisierung von Förderprogrammen und eine grundsätzliche Chancengleichheit für alle Marktteilnehmer ohne Markteingriffe.

Welchen Stellenwert räumen Sie – auch vor dem Hintergrund der Energiekrise – alternativen Fuels ein, die aus erneuerbaren Energien CO2-neutral hergestellt werden? Und wären alternative Fuels auch eine Option, um die Energiewende auf dem Wärmemarkt erfolgreich zu gestalten?
Die Situation seit dem russischen Angriff auf die Ukraine zeigt, wie wichtig es ist, Klimaschutz und Versorgungssicherheit noch stärker zu verknüpfen. Eine Vielfalt an Lösungen verbessert grundsätzlich die Flexibilität und Resilienz unserer Energieversorgung. Im Verkehrssektor wird die batterieelektrische Mobilität fraglos einen entscheidenden Beitrag zur Senkung der Treibhausgasemissionen leisten. Der Antriebswechsel allein wird aber nicht ausreichen, um das ambitionierte CO2-Minderungs-Ziel im Verkehr bis zum Ende dieser Dekade zu erreichen. Als Ergänzung zur direkten Elektrifizierung sind daher alternative Kraftstoffe auf Basis erneuerbarer Quellen sinnvoll –gerade für den Bestand an Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor. Auch im Wärmemarkt könnten solche Fuels wichtige Beiträge zum Klimaschutz liefern. Grundsätzlich gilt: Die Anwendungstechnologie selbst ist nicht die entscheidende Herausforderung, denn die klimarelevanten Emissionen kommen aus den Energieträgern – aus dem aktuellen Strommix ebenso wie aus heute noch überwiegend fossilen Brennstoffen. Deshalb ist es unerlässlich, dass diese Energieträger CO2-neutral werden. Dennoch sind gerade im Gebäudebereich zugleich Effizienzsteigerungen und Hybridisierung notwendig, um den Brennstoffbedarf deutlich zu reduzieren. Denn die alternativen Heizenergien werden nicht in der Menge zur Verfügung stehen wie heute fossile Produkte. Dass dies in der Praxis funktioniert, zeigen bereits zahlreiche Modellvorhaben. Hersteller von Brennwertgeräten, Tanks und weiteren Heizungskomponenten haben zudem ein „Green Fuels Ready“-Produktlabel aus der Taufe gehoben, um dem Einsatz alternativer Brennstoffe den Weg zu bereiten.

Was die verschiedenen Farben von Wasserstoff bedeuten

  • Grüner Wasserstoff
    Grüner Wasserstoff wird durch Elektrolyse von Wasser hergestellt, wobei ausschließlich Strom aus erneuerbaren Energien zum Einsatz kommt. Ebenso gilt biogener Wasserstoff, der aus pflanzlichen Abfall- und Restoffen gewonnen wird, als grün. Die Erzeugung von grünem Wasserstoff ist CO2-neutral.
  • Roter oder violetter Wasserstoff
    Roter oder violetter Wasserstoff entsteht durch die Elektrolyse von Wasser, bei der Strom aus Kernkraftwerken eingesetzt wird. Da bei dieser Art der Wasserstoffproduktion auch bei der Stromproduktion kein CO2 in die Atmosphäre entweicht, gilt roter oder violetter Wasserstoff als CO2-neutral.
  • Gelber Wasserstoff
    Gelber Wasserstoff wird durch die Elektrolyse von Wasser hergestellt, bei der ein Strommix mit Anteilen fossiler Primärenergie verwendet wird, und ist nicht CO2-neutral.
  • Grauer Wasserstoff
    Grauer Wasserstoff wird aus Erdgas oder Kohle hergestellt. Bei der sogenannte Dampfreformierung wird unter starker Wärmezufuhr und hohem Druck wird ein Gemisch aus Wasserdampf und Erdgas in Wasserstoff und CO2 aufgespalten, welches als Abfallprodukt zusätzlich in die Atmosphäre abgegeben wird. Grauer Wasserstoff ist daher nicht CO2-neutral.
  • Blauer Wasserstoff
    Blauer Wasserstoff ist grauer Wasserstoff, dessen CO2 mithilfe von CCS-Technik (Carbon Capture and Storage) abgeschieden und in unterirdischen Lagerstätten gespeichert wird. Das CO2 gelangt somit nicht in die Atmosphäre. Aus diesem Grund gilt blauer Wasserstoff als CO2-neutral.
  • Türkiser Wasserstoff
    Türkiser Wasserstoff wird wie grauer oder blauer Wasserstoff aus Erdgas (Methan) hergestellt. Durch thermische Spaltung (Pyrolyse) Methan in Wasserstoff und festen Kohlenstoff gespalten. Anstelle von CO2 entsteht reiner granularer Kohlenstoff, der sich weiter nutzen lässt, aber auch in alten Bergwerksstollen sicher gelagert und später wiederverwendet werden kann. Dadurch gelangt kein CO₂ in die Atmosphäre. Wenn die zur Methanpyrolyse benötigte Energie aus erneuerbaren Energien stammt, ist die Erzeugung von türkisem Wasserstoff CO2-neutral.

Die Mehrheit der Führungskräfte aus der Wirtschaft erklärt in der Umfrage des Handelsblatt Research Instituts, dass die Transformation der traditionellen Energieversorger – etwa der bisherigen Mineralölwirtschaft – für das Gelingen der Energiewende notwendig ist. Wie bewerten Sie denn das Innovationspotenzial der Branche? Wie hoch ist die Bereitschaft der Unternehmen, sich zu verändern?
Die Mineralölwirtschaft in Deutschland hat sich auf den Weg Richtung Klimaneutralität gemacht. Unsere Branche kann und will mit ihren Technologien, ihrem Know-how und mit neuen Produkten Teil der Lösung sein. Und das heißt ganz klar: Am Ende der notwendigen Transformation wird die derzeitige Mineralölwirtschaft keine Mineralölwirtschaft mehr sein. Dieser Wandel hat bereits begonnen, wobei die verschiedenen Unternehmen durchaus unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Das ist auch gut so, denn der Klimaschutz braucht eine Vielfalt an Lösungen: ob CO2-neutraler Wasserstoff, alternative Kraft- und Brennstoffe, neue Produkte für die chemische Industrie, Carbon Capture oder Ladepunkte für Elektroautos. Bereits heute gibt es zahlreiche Vorhaben, die klar in diese treibhausgasneutrale Zukunft weisen. Dazu zählen zum Beispiel der Bau von Elektrolyseanlagen an Raffinerie- und Chemiestandorten oder die Biokraftstoffgewinnung aus Reststoffen und Algen. Wichtig sind jetzt geeignete Rahmenbedingungen für einen Markthochlauf der neuen Produkte und Technologien.

Stichwort Versorgungssicherheit: Welche Vorteile haben die Moleküle der flüssigen grünen Energieträger gegenüber den Elektronen, die aus Erneuerbaren Energien entstehen?
Beim Klimaschutz geht es nicht um ein Entweder-oder, sondern um ein Sowohl-als-auch. In der Industrie ebenso wie im Verkehrssektor und Gebäudebereich wird der direkte Einsatz von erneuerbarem Strom in Zukunft eine deutlich größere Rolle spielen. Darum ist ein deutlich beschleunigter Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung hierzulande notwendig. Doch der allein reicht nicht aus. Deutschland wird weiterhin auf Energieimporte angewiesen bleiben. Derzeit führen wir rund 70 Prozent der Energie, die wir brauchen, aus anderen Ländern ein. Grüner Strom, der in sonnen- und windreichen Regionen erzeugt wird, lässt sich in Form von Elektronen nur schwer über weite Strecken transportieren. Besser geeignet sind mit erneuerbarem Strom hergestellte „grüne Moleküle“ wie Wasserstoff und seine Folgeprodukte, da sie vergleichsweise leicht zu speichern und einfach über große Entfernungen zu transportieren sind. Die heute vorhandenen Strukturen der globalen Energieströme lassen sich dafür gut nutzen. Hinzu kommt: Gasförmige und vor allem flüssige Energieträger haben eine wesentlich höhere Energiedichte als Batterien. Deswegen sind sie zum Beispiel im Flugverkehr und in der Seeschifffahrt unverzichtbar.

Vielen Dank für das Gespräch.

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willigDipl.-Ing. Adrian Willig
Willig, geboren 1966, war seit 1994 in verschiedenen Positionen für das Institut für Wärme und Mobilität (IWO) tätig, zusammen mit dem Mineralölwirtschaftsverband eine der Vorgänger-Organisationen von en2x. 2003 übernahm er die Leitung des Marketings und der Marktpartnerbetreuung. Seit 2008 trug er als stellvertretender Geschäftsführer Verantwortung. Von 2014 bis Oktober 2021 war Willig Geschäftsführer des IWO. Seit dem 1. November 2021 ist er Hauptgeschäftsführer des en2x – Wirtschaftsverbandes Fuels und Energie e.V. in Berlin.