
Christian Grapatin, Director, Customer Strategy | Power, Utilities & Renewables, Monitor Deloitte
Erneuerbare Energien, Elektrifizierung und Energieeffizienzmaßnahmen leisten wichtige Beiträge zu Dekarbonisierung und zur Energieautarkie. Doch der Ausbau der erneuerbaren Energien und der Stromnetze läuft schleppend, bei der Elektrifizierung gibt es technische und wirtschaftliche Beschränkungen.
Im Rahmen ihrer aktuellen Wasserstoffstudie „The European hydrogen economy – taking stock and looking ahead. An outlook until 2030“ hat Monitor Deloitte einen Blick auf die europäische Wasserstoffwirtschaft im Jahr 2030 geworfen. Christian Grapatin, Director im Bereich Power, Utilities & Renewables bei Monitor Deloitte, erläutert die wichtigsten Ergebnisse der Studie.
Wasserstoff ist derzeit in aller Munde. Welche Rolle spielt er aus Ihrer Sicht im Energiesystem der Zukunft?
Christian Grapatin: Der Green Deal der Europäischen Kommission legt klare Ziele für die Dekarbonisierung der EU fest. Bis 2050 sollen die Emissionen auf null reduziert werden. Als Zwischenschritt wurde das Jahr 2030 festgelegt, in welchem 55 Prozent weniger Emissionen als im Referenzjahr 1990 ausgestoßen werden sollen.
Erneuerbare Energien, Elektrifizierung und Energieeffizienzmaßnahmen leisten wichtige Beiträge zu Dekarbonisierung und zur Energieautarkie. Doch der Ausbau der erneuerbaren Energien und der Stromnetze läuft schleppend, bei der Elektrifizierung gibt es technische und wirtschaftliche Beschränkungen. Kurzum: Wir müssen mehr tun, um unsere Klimaziele zu erreichen und die Abhängigkeit zu fossilen Energieträgern zu verringern.
Der europäische Energiesektor wird in Zukunft auf dekarbonisierte Gase als zusätzliche Energiequelle angewiesen sein. Hier sollte ein Schwerpunkt auf grünem Wasserstoff, der durch Elektrolyse aus erneuerbaren Energien gewonnen wird, liegen. Da die hierbei gewonnenen Mengen voraussichtlich nicht ausreichen werden, dienen Methanreformierungstechnologien mit CCU- und CCS-Technologien als Brückentechnologie.
In Ihrer aktuellen Studie zum Thema Wasserstoff hat Monitor Deloitte sich die europäische Wasserstoffwirtschaft genauer angeschaut. Welche Erkenntnisse haben Sie gewonnen?
Christian Grapatin: Im Rahmen unserer Studie haben wir uns den Status Quo der europäischen Wasserstoffwirtschaft angeschaut und einen Blick ins Jahr 2030 geworfen. Dabei haben wir die angekündigte und prognostizierte Kapazität sowie die Nachfrage nach Wasserstoff in Europa analysiert.
Es zeigt sich: Wenn alle bislang angekündigten Wasserstoffprojekte wie geplant umgesetzt werden, leitet sich daraus 2030 eine Kapazität von 54 Gigawatt in Europa ab. Die dann stehenden Anlagen werden jährlich 5,2 Millionen Tonnen Wasserstoff produzieren.
Der weitaus größte Teil des Wasserstoffs wird mithilfe von Elektrolyseuren hergestellt. Sie nehmen rund 85 Prozent der installierten Kapazität ein. Die restlichen 15 Prozent werden über Methanreformer produziert. Das Produktionsvolumen liegt hier bei 25 Prozent der Gesamtmenge.
Basierend auf den beobachteten Trends wird die Versorgung Europas mit sauberem Wasserstoff letztendlich jedoch deutlich höher liegen, nämlich bei einer installierten Kapazität von 170 Gigawatt im Jahr 2030. Das führt dazu, dass wir eine jährliche Wasserstoffproduktion von 20 Millionen Tonnen erreichen können. Dafür müssen fast eine halbe Billion Euro investiert werden.
Reicht das denn aus, um den Wasserstoffbedarf Europas zu decken?
Christian Grapatin: Wir gehen 2030 in Europa von einer potenziellen Nachfrage von jährlich 30 Millionen Tonnen sauberem Wasserstoff aus. Das würde aktuell eine Versorgungslücke von 10 Millionen Tonnen bedeuten. Auch wenn die Investitionstätigkeit in den kommenden Jahren ansteigt – es reicht noch nicht aus.
Die Produktionskosten von sauberem Wasserstoff liegen bei drei bis sechs Euro pro Kilogramm Wasserstoff. Um die Versorgungslücke zu schließen, müssen die Kosten durch finanzielle Unterstützung wie Subventionen oder Carbon Contracts for Difference (CCfD) gesenkt und gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Technologien geschaffen werden. Zudem wird eine Angebotslücke dazu führen, dass neue Teilnehmer den Markt betreten und etablierte Unternehmen ihre Produktion steigern. Das resultiert in einem höheren Wasserstoffvolumen und damit sinkenden Preisen, sofern die Regulierungsbehörden die richtigen wirtschaftlichen Bedingungen für eine Beschleunigung der Lieferprojekte schaffen.
Dennoch werden wir nicht drumherum kommen, grünen Wasserstoff bzw. erneuerbaren Strom aus dem Ausland zur Produktion von grünem Wasserstoff zu importieren.
Was bedeutet das für Investoren und andere Interessensgruppen aus dem Energiesektor?
Christian Grapatin: Aktuell sehen wir, dass Industrie- und Hydrogen Valley-Projekte am meisten nachgefragt sind, was lokale und integrierte Wasserstoffprojekte derzeit zum wichtigsten Geschäftsmodell machen. Um den künftigen Bedarf an Wasserstoff zu decken, muss die lokale Wasserstoffproduktion rasant hochgefahren werden und internationale Partnerschaften und Handelsbeziehungen eingegangen werden. Um das kapitalintensive Wachstum der Wasserstoffbranche in Europa zu stemmen, müssen die Unternehmen sich ausreichend und erschwingliche Finanzmittel sichern. Nachhaltige Finanzierung und die Taxonomie sind ein guter Anfang, aber es werden jetzt Hunderte von Milliarden benötigt.
Gleichzeitig ist es wichtig, die Nachfrageseite zu stärken. Im Rahmen der Dekarbonisierung mit Wasserstoff müssen Endverbraucher wie etwa die Stahl-, Düngemittel- und Chemieindustrie wichtige Fragestellungen klären. Dazu gehören etwa die Umstellung auf alternative Rohstoffe, das Beimischungsverhältnis, der Anschluss an das Wasserstoffnetz oder der Ersatz der Fahrzeugflotte durch Brennstoffzellenfahrzeuge.
Die EU hat die technologische Souveränität Europas als wichtiges Ziel formuliert. Dazu ist die Entwicklung einer Großserienfertigung von Brennstoffzellen und Elektrolyseuren in Europa notwendig, um eine ausreichende und erschwingliche Ausrüstung für lokale Projekte sicherzustellen und dafür zu sorgen, dass Europa im weltweiten technologischen Wettlauf um Wasserstoff mithalten kann.