Weniger Staatshilfen machen Wirtschaft resilienter

Dr. Klaus Bauknecht

Artikel aus dem Handelsblatt Journal „Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz“ vom 11.05.2023

von Dr. Klaus Bauknecht

Die Inflationsentwicklung der letzten zwei Jahre hat Unternehmen unterschiedlich stark betroffen. Einige konnten ihre Gewinnmargen aufgrund starker Nachfrage ausweiten, sodass der Gewinnausblick selbst unter Berücksichtigung von Lieferengpässen positiv war. Für andere Unternehmen verursachten die deutlichen Preisanstiege enormen Kostendruck und Liquiditätsengpässe. Deshalb ergaben sich im Jahr 2022 differenzierte Entwicklungen bei Profitabilität und Bonität. Die nachlassende Nachfrage infolge der strafferen Geldpolitik wird die Gewinnmargen erneut belasten, vor allem, weil Lohnerhöhungen für breiten Kostendruck sorgen. Dies gilt vor allem für den Dienstleistungssektor, der kaum Produktivitätswachstum nutzen kann, um hohe Lohnstückkosten auszugleichen.

Aktuelle Inflationsprognosen trüben die Aussichten

Ohne Zweifel deuten aktuelle Inflationsprognosen und die absehbare Konjunktureintrübung auf einen zunehmenden Verteilungskampf hin, der die Profitabilität vieler Unternehmen und damit auch den Investitionsstandort Deutschland belasten wird. Und anders als in vorangegangenen Krisen steigen die Kapitalkosten deutlich an. Zudem ist nicht von einer schnellen Konjunkturwende bzw. V-Erholung auszugehen, da die Schwäche nicht durch einen exogenen Schock verursacht wurde. Vielmehr hat die Geldpolitik die aktuelle Eintrübung verursacht, die sich hinziehen wird. Denn der geldpolitische Transmissionsmechanismus benötigt Zeit. Deshalb sind die Folgen der Zinsanhebungen auch erst im Verlauf von 2023 in der Breite zu erkennen, und mögliche Zinssenkungen werden ihre Auswirkung kaum vor 2025 zeigen.

Sind neue Konjunkturprogramme die Lösung?

Der Staat hat die deutschen Unternehmen in den letzten Krisen durch verschiedene Liquiditäts- und Garantiezusagen gestützt. Auch die Nachfrageseite hat er durch mehrere Konjunkturprogramme gestärkt. So war die jeweils schnelle V-Erholung Ergebnis einer erfolgreichen Krisenpolitik nach dem Motto: nicht kleckern, sondern klotzen. Allerdings wurde diese Politik weit über die eigentliche Krise hinaus fortgeführt und hat angesichts von Angebotsengpässen für deutlichen Inflationsdruck gesorgt.

Dennoch ist der Erfolg der Maßnahmen unbestritten. Die Insolvenzquoten befinden sich trotz mehrerer „Schwarzer Schwäne“ auf einem schon länger anhaltenden Abwärtstrend. Allerdings ist – wie in der Medizin – die Dosis entscheidend. Das gilt nicht nur für das Ausmaß der Maßnahmen, sondern vor allem auch für das Timing und die Dauer der Anwendung. Nach Jahren erfolgreicher Stützungsmaßnahmen ist es fast selbstverständlich geworden, dass der Staat bei jedem konjunkturellem Gegenwind stützend eingreift. So hat die Krisenpolitik zwar erfolgreich die Wirtschaft gestärkt und dank Kurzarbeit und anderer Instrumente die Wirtschaftsstrukturen erhalten. Der Staat wird aber zunehmend in der Pflicht gesehen, zu stützen.

Wachstum aus eigener Kraft generieren

Die Gesellschaft begreift Insolvenzen nicht mehr als notwendigen Teil von Konjunkturzyklen. Erforderliche strukturelle Anpassungen werden zunehmend als grundsätzlich unerwünscht bzw. negativ eingeschätzt. Das verhindert Marktbereinigungen und fördert das Entstehen von Zombiefirmen und Fehlallokationen. Trotz niedrigerer Insolvenzzahlen hat dieses Vorgehen die Resilienz der Wirtschaft auch nicht gestärkt, sondern geschwächt. Denn die Wirtschaft ist immer weniger in der Lage, durch Anpassungen neue Wachstumsimpulse zu generieren.

Flexibilität und Anpassungsbereitschaft fördern die Resilienz der Unternehmen

Doch gerade angesichts des aktuellen Fachkräftemangels und des daraus folgenden niedrigen Potenzialwachstums ist es notwendig, ein hohes Maß an Flexibilität sicherzustellen, damit Mensch und Kapital so optimal wie möglich eingesetzt werden können. Fehlende Risikobereitschaft – auch infolge einer alternden Bevölkerung – reduziert hingegen die Anpassungsbereitschaft und damit die Resilienz. Dies kann der Staat auf Dauer nicht kompensieren. Im Gegenteil, falsche Anreize sorgen für sinkende Flexibilität der Wirtschaft.

So ist die niedrige Insolvenzquote der letzten Jahre kein Zeichen einer resilienteren Wirtschaft, sie deutet eher auf ein erhöhtes Risiko hin – vor allem wenn Notenbank und Staat nicht mehr in der Lage sein sollten, effektive Unterstützung zu leisten. So birgt die geldpolitische Wende mit den schnell und kräftig steigenden Zinsen ein erhöhtes Potenzial für disruptive Entwicklungen, da Jahre der geldpolitischen Unterstützung nun abrupt ihr Ende gefunden haben. Aktuell wird der Höhepunkt des EZBEinlagenzinssatzes bei ca. 3,5 % erwartet – ein Niveau, das vor einem halben Jahr noch als unwahrscheinlich angesehen wurde.

Staatliche Unterstützung hat seine Grenzen

Anders als in den Rezessionen der letzten zwei Jahrzehnte stehen aktuell wenige makroökonomische Rettungsmechanismen zur Verfügung. Die Geldpolitik wird die Zinsen nicht senken, bevor die Inflationsrate auf einem nachhaltig niedrigeren Pfad ist, was erst infolge einer Konjunktureintrübung geschehen wird. Und auch ein erneutes Eingreifen der Fiskalpolitik ist kritisch zu sehen: Die steigenden Zinsen engen die Einflussmöglichkeit des Staates auf die Wirtschaft ein – zumindest was den Umfang von Konjunkturmaßnahmen angeht. Je mehr er versucht, die Nachfrage durch Entlastungspakete zu stützen, desto mehr muss die Notenbank mit Zinsanstiegen gegensteuern. Auch erschwert die Sorge über eine sich hinziehende Rezession die Bereitschaft des Staates, Garantien zu geben.

Weniger staatliche Unterstützung, eine sich hinziehende geldpolitische Straffung und allgemeiner Lohndruck deuten auf ein herausforderndes Umfeld für unternehmerische Neuausrichtungen sowie Liquiditätsund Kapitalbeschaffung hin. Der Wirtschaftsstandort Deutschland erhält aktuell viel Gegenwind, und die Rahmenbedingungen für Unternehmen bleiben bzw. werden zunehmend herausfordernd – konjunkturell wie strukturell.

Disruptive Zeiten für Unternehmen

Die Sicherstellung von Liquidität und Refinanzierung stehen daher aktuell eher im Fokus der Unternehmen als langfristige Ziele. Und anders als in früheren Krisen kommen steigende Finanzierungskosten hinzu. Denn nicht nur die risikofreien Renditen haben sich von ihren Tiefständen während der Corona-Pandemie deutlich verabschiedet; auch die Risikoprämien werden sich angesichts des Abschwungs erhöhen. All dies belastet die Finanzierungsbedingungen für Unternehmen, die durch die risikoaverse Kreditvergabe der Banken noch verschärft werden. Unternehmen stehen deshalb disruptive Zeiten bevor – konjunkturell, aber auch wirtschaftspolitisch, Stichworte sind Lohndruck und Klimaziele. Deshalb ist von einem Anstieg der Unternehmensinsolvenzen auszugehen. Das würde eine sich transformierende und neu definierende Wirtschaft andeuten – und damit auch die Grundlage für eine resilientere Wirtschaft schaffen.

Denn am Ende sind es weniger die Unternehmensausfälle, die Sorge bereiten sollten; vielmehr ist es die niedrige private Investitionsquote aufgrund von Konjunktureintrübung und steigenden Kapitalkosten. Neuausrichtung, Transformation und eine nachhaltige Resilienz benötigen eine dynamische Investitionsbereitschaft der Privatwirtschaft, um den Kapitalstock zu erneuern, Potenzialwachstum zu steigern und Wertschöpfung am Industriestandort Deutschland zu sichern.

Unternehmen stehen disruptive Zeiten bevor – konjunkturell, aber auch wirtschaftspolitisch.

Dr. Klaus Bauknecht, Chefvolkswirt, IKB Deutsche Industriebank AG

Dieser Artikel ist im aktuellen Handelsblatt Journal „Energiewirtschaft“ erschienen.

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