Wie bleiben Unternehmen unter Berücksichtigung von Industrie 4.0 auch in Zukunft wettbewerbsfähig? Welche Rolle spielen die Mitarbeiter bei der Transformation? Und wie können sich Führungskräfte in so einer Situation auszeichnen? Im folgenden Interview nimmt Dr. Christian Frank, Partner und Mitglied des Executive Boards der Atreus GmbH, Stellung zu Faktoren einer erfolgreichen Transformation in Zeiten des Internet of Things.
Dr. Frank, wie bleiben Unternehmen unter Berücksichtigung von Industrie 4.0 auch in Zukunft wettbewerbsfähig?
Dr. Christian Frank: Unternehmen sollten die aktuell gute Wirtschaftslage nutzen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit und Kostenposition zu stärken. Wettbewerbsfähigkeit ist eine Daueraufgabe, die immer wieder neu justiert werden muss, um operative Verbesserungspotenziale zu identifizieren. Möglichkeiten zur Verbesserung von Kostenposition, Arbeitseffizienz und Prozessen gibt es viele. Sie reichen von der Optimierung des Einkaufs über Maßnahmen in Entwicklung und Produktion bis hin zur Professionalisierung des Vertriebs. Auch können geringere Produktkosten, ein fokussiertes Produktportfolio mit geringerer Produktkomplexität oder eine Serviceinitiative sinnvoll sein.
Industrie 4.0 mit der Verschmelzung von Produktion und IT im Rahmen einer standardisierten und offenen Systemarchitektur, auf die alle zugreifen können, eröffnet nun neue, weitere Optionen der Effizienzgewinnung. Laut diverser Studien können alle Branchen des produzierenden Gewerbes von den Produktivitätssteigerungen profitieren – die Spanne reicht von 4 bis 15 Prozent der Gesamtkosten. So kann durch Verringerung von Rüstkosten und Vernetzung der IT-Systeme mit Lieferanten die Produktivität signifikant verbessert werden. Oder durch Einbettung von Sensoren oder Data Transmission Module in Maschinen und Anlagen kann „predictive maintenance“ möglich werden mit neuen Service-Angeboten. Wichtig wird sein, Projekte zu identifizieren und zu starten. Das Top Management muss die Mannschaft ermuntern und befähigen. Es braucht weiterhin eine Kultur des Veränderns und des Innovieren.
Transformation bedeutet Veränderungsbereitschaft bei allen
Welche Rolle spielen die Mitarbeiter bei der Transformation?
Frank: Ohne Mitarbeiter keine Transformation. Trotz kühner Szenarien im Kontext Industrie 4.0. wird es keine menschenleeren Fabriken oder Büros geben. Transformation bedeutet Veränderung, und vor allem Veränderungsbereitschaft bei allen – beginnend vom Top Management bis zum Shop Floor. Die Qualifikationsanforderungen werden sich allerdings ändern. Der Bedarf an Fachkräften mit besonderen Fähigkeiten in der Informationstechnologie steigt industrieübergreifend weiter an. Veränderungsbereitschaft muss vorgelebt werden – das ist Teil der Unternehmenskultur. Dazu können externe Impulse helfen, den Transformationsprozess in Bewegung zu bringen bzw. zu beschleunigen.
Mentale und industrielle Transformation gehen Hand in Hand
Wie gehen mentale und industrielle Transformation zusammen?
Frank: Aus meiner Sicht gehen mentale und industrielle Transformation Hand in Hand. Wir brauchen unter Berücksichtigung von Industrie 4.0 die mentale Bereitschaft, uns auf Veränderung von Arbeitsabläufen, von Arbeitsinhalten und Aufgabenverteilungen einzulassen. Der Erfolg einer industrielle Transformation setzt eine mentale Transformation, Offenheit für Veränderung voraus.
Wie gehen Unternehmertum und Innovation zusammen?
Frank: Innovation erfordert Unternehmertum: Sicher ist, dass als unternehmerische Voraussetzungen analytische und kreative Fähigkeiten vorhanden sein müssen, vor allem aber Umsetzungsstärke und eine sehr hohe Motivation, die eigenen Vorstellungen zu verwirklichen. Innovation wiederum heißt neue Wege gehen – ob Produkt oder Innovieren ganzer Geschäftsmodelle, auch gegen Widerständen.
Für die Entwicklung einer Wirtschaft ist es von Bedeutung, dass zu jeder Zeit Neues entsteht. Ob Neues im „schumpeterschen Sinne“ oder Neues im Sinne von kontinuierlichen Anpassungen – in jedem Fall ist Innovation mit dem Begriff des Unternehmertums verknüpft. Es bedarf nicht nur des reinen Erfindergeistes, es bedarf auch des Unternehmers, aus Marktanforderungen und Trends relevante Markt- und Technologieentwicklungen abzuleiten und die Innovation in marktfähige Produkte bzw. neue Geschäftsansätze umzusetzen.
Transformation führt zu Mehrbelastung neben Tagesgeschäft
Wie realistisch ist es eine Transformation durchzuführen und dabei auch die Führungskräfte zu behalten?
Frank: Eine Transformation setzt ein hohes zeitliches und inhaltliches Engagement der Mitarbeiter, aber gerade auch der Führungskräfte voraus. Know-how muss während Maßnahmenentwicklung eingebracht werden, es wird neue Verantwortungen und Aufgaben (Maßnahmen-Owner, Project Leads, Change Agents) geben. All das führt zwangsläufig zu Mehrbelastung neben dem Tagesgeschäft in der Umsetzung.
Aber auch ein hohes Maß an Agilität ist erforderlich, den möglichen Richtungswechsel zu verstehen, zu verdauen und gegenüber den Mitarbeitern zu argumentieren: Besondere Belastungen kommen auf die Organisation zu, Unsicherheit über Zukunft und Anstellung, Veränderung von Zuständigkeiten, Prozessen, Hierarchien. Wem dieser Spagat oder Wechsel im Mindset als Führungskraft nicht gelingt, wird rasch als Störfaktor der Transformation erkannt und das Unternehmen verlassen (müssen oder wollen). Kritischer Erfolgsfaktor in der Transformation ist eine kontinuierliche, hierarchiefreie Kommunikation auf allen Ebenen.
Wird die lernende Organisation heute umgesetzt?
Frank: Wie immer im Leben: ja und nein. Aber es gilt nach wie vor – nicht der größere wird im Markt bzw. im täglichen Wettbewerb erfolgreich sein, sondern der Agilere. Das setzt auch die Bereitschaft des ständigen Lernens, auch des Lernens der Organisation als Gesamtsystem voraus … und das schnelle Umsetzen des Erlernten.
Industrie 4.0 verlagert Arbeit mehr in Richtung Problemlösung
Wie bewertet die Gewerkschaft das Thema Industrie 4.0?
Frank: Ich habe den Eindruck, dass die Gewerkschaften sich nicht gegen die Entwicklung rund um „Industrie 4.0.“ stemmen oder gar gegensteuern. Sie erkennen die Notwendigkeit für den Standort Deutschland bzw. Europa, sich mittel- und langfristig wettbewerbsfähig aufzustellen im globalen Streit um die besseren Ideen, Produkte oder Services. Und es geht dabei auch um Arbeitsplätze. Industrie 4.0 wird aber erhebliche Veränderungen für die Arbeit mit sich bringen. Die Gewerkschaften erwarten durch Industrie 4.0. eine Erleichterung der Arbeitsumgebung und der Arbeitsgestaltung. Deshalb müssen Technik- und Arbeitsgestaltung zusammengedacht werden. Allerdings wissen sie auch, dass sich Berufsbilder und Tätigkeiten verändern. Die Arbeit wird besser, interessanter, verantwortungsvoller – und wird sich mehr in Richtung Problemlösung verlagern. Basis dafür ist eine lernförderliche Arbeitsorganisation. Damit steigt ihre Erwartung, gemeinsam mit Arbeitgebern und Verbänden neue Berufsbilder zu entwickeln sowie Aus- und Weiterbildungsinitiativen in Richtung Industrie 4.0 zu starten. Alle müssen die Chance auf Weiterbildung haben, von den Ingenieuren bis zu den Angelernten.
Keiner glaubt an die menschenleere Fabrik. Denn auch in der Industrie 4.0 wird nicht alles von allein laufen. Da braucht es qualifizierte Beschäftigte mit Erfahrung und Engagement. Und darauf setzen die Gewerkschaften … und auch die Unternehmen.
Interviewpartner
Dr. Christian Frank
Partner, Mitglied des Executive Boards
Atreus GmbH