
Interview zur aktuellen Lage deutscher Unternehmen und wie diese sich jetzt aufstellen sollten – mit Christian Säuberlich, Sprecher des Vorstands der Unternehmensberatung FTI-Andersch.
Krieg in der Ukraine, Cyberangriffe, neue Lockdowns in China, Inflation – 2022 ist schwierig gestartet. Was bedeuten die aktuellen Entwicklungen für deutsche Unternehmen?
Christian Säuberlich: Der Außenhandel mit Russland, Belarus und der Ukraine erscheint mit insgesamt 3,1 Prozent Importanteil vergleichsweise gering. Aber es handelt sich vor allem um Energie und Rohstoffe. Darum ist nahezu die gesamte deutsche Wirtschaft betroffen. Der Krieg führt zu neuen Lieferkettenproblemen, die jetzigen Lockdowns in China drohen dies noch weiter zu verstärken. Durch diese Probleme sind die Erzeugerpreise dramatisch in die Höhe geschnellt. Viele Unternehmen kommen nach den langen Monaten der Pandemie erneut in existenzbedrohende Situationen.
Welche Branchen sind in Deutschland besonders betroffen?
Christian Säuberlich: Vor allem Branchen mit hoher Energieintensität – also Schwerindustrie, Maschinenbau und Chemie. Bei Automobilherstellern fehlen Kabelbäume aus der Ukraine, Produktionsstraßen stehen still. In der Transportlogistik fehlt es an Personal, rund sieben Prozent der LKW-Fahrer sind Ukrainer. In der Fleisch- und Nahrungsmittelerzeugung steht man zusätzlich wegen fehlender Zulieferung wie Weizen und Düngemittel vor drastischer Kostensteigerung. Auch Hersteller von nicht unbedingt notwendigen Konsumgütern werden mittelfristig Probleme bekommen, vor allem wenn die Inflation noch stärker anzieht und damit die Konsumfähigkeit der Menschen sinkt. Hinzu kommen vermehrte Personalengpässe, beispielsweise im Logistiksektor. 2022 wird ein sehr herausforderndes Jahr.
Was können die Unternehmen jetzt tun, um die eigene Lage zu verbessern?
Christian Säuberlich: Der Covid-Schock hat bereits zu einem deutlich professionelleren Umgang mit Krisen geführt. Unternehmen haben gelernt, schnell und entschieden zu reagieren. Eine Schockstarre wie 2020 beobachten wir nicht. Es wird jetzt sicherlich zu Ausgabestopps kommen, Kosten werden gekürzt und Investitionen auf Eis gelegt. Die meisten Unternehmen wissen zudem, dass sie ihre Finanzierung prüfen und eventuell neu sichern müssen.
Was erwarten Sie in diesem Kontext von der Bundesregierung?
Christian Säuberlich: Für die Formulierung einer klaren Erwartungshaltung ist es zu früh. Sicherlich wird das Instrument der Kurzarbeit wieder Anwendung finden, wenn sich die Probleme verstärken. Weitere Möglichkeiten der Unterstützung beispielsweise durch staatlich abgesicherte Kredite werden nach unseren Informationen aktuell erarbeitet. Dabei wird zu beachten sein, wie massiv der Staat die Wirtschaft schon in der Pandemie gestützt hat. Dadurch wurde auch viele strukturelle Probleme mit Liquidität zugedeckt – die erforderliche Behebung der zugrunde liegenden Handlungsbedarfe dadurch aber verzögert. Das trägt auf Dauer nicht zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit dieser Unternehmen bei.
Als Restrukturierungs-Experten haben Sie grundsätzlich einen engen Draht zu Finanzierern wie Banken. Wo schauen diese jetzt genau hin?
Christian Säuberlich: Viele Unternehmen schieben schon jetzt eine enorme Schuldenlast vor sich her – und es ist angesichts der Inflation zumindest mit leicht steigenden Zinsen zu rechnen. Die Finanzierer schauen – neben dem ganz aktuellen Thema Kriegsauswirkungen – vermehrt auch auf ESG-Kriterien, wenn es darum geht, ob ein Unternehmen weiter begleitet werden soll. Unternehmen raten wir vor allem zur Proaktivität. Nicht auf den Fragenkatalog der Hausbank warten, sondern selbst überprüfen, ob Planungen auf Grund der aktuellen Entwicklungen angepasst werden müssen und ob sich daraus Gesprächsbedarf mit den Finanzieren ergibt.
Ob digitale Transformation, technologische Innovationen, ESG – drohen die Zukunftsinvestitionen der letzten Monate jetzt abrupt zu stoppen?
Christian Säuberlich: In der jetzigen Lage verändern sich Dringlichkeiten. Wer nicht langfristig die eigene Existenz sichern kann, dem bringt auch die Innovationsoffensive nichts mehr. Trotz möglicher Pause: Das sollte nicht dazu führen, die Transformationsbemühungen einzustellen, die man im Aufschwung des Jahres 2021 begonnen hat. Dennoch: So manches ‚Nice to have‘ wird sicherlich hinten angestellt. Ganz sicher bin ich mir, dass dies bei ESG nicht der Fall sein wird. Eine klügere, nachhaltigere Ausrichtung hätte Unternehmen schon bisher aufgezeigt, in welchen Abhängigkeiten sie sich befinden – und zu Verhaltensänderungen geführt. Ich bin mir darum sicher, dass ESG nach einer anfänglichen Kurskorrektor noch wichtiger werden und als wirklich relevantes Leitbild der nächsten Dekade dienen wird.