
von Dr. Annika Busse
Artikel aus dem Handelsblatt Journal „GOVERNMENT TECHNOLOGY“ vom 18.04.2023
Ist allein das Erkennen wichtiger Technologietrends verantwortlich für die Zukunftsfähigkeit einer Verwaltungsorganisation? Oder braucht es vor allem geeignete Umsetzungsinstrumente, die mit einer nutzerzentrierten Bedarfsorientierung einhergehen?
Seit 2022 arbeiten Hamburgs Venture Client Unit GovTecHH und der zentral finanzierte Inno- TecHH Fonds der Senatskanzlei Hamburg Hand in Hand, um Innovationsvorhaben und die Nutzung neuer Technologien in der gesamten Hamburger Verwaltung zentral und koordiniert zu fördern, zu finanzieren und zu steuern. Ziel ist es, mit einer hohen Innovationsgeschwindigkeit neue Technologien gemeinsam mit und für den Fachbereich zu erproben und zu pilotieren – entweder durch Eigenentwicklungen oder den Einkauf einer Lösung am Markt.
GovTecHH ist ein Projekt der Freien und Hansestadt Hamburg, in dem für zunächst zwei Jahre eine sogenannte „Venture Client Unit“ nach Vorbild der Privatwirtschaft aufgebaut wird. Venture Clienting bezeichnet hierbei das dedizierte Einkaufen von Produkten oder Dienstleistungen eines Start-ups, um diese zügig in der Hamburger Verwaltung zum Einsatz zu bringen. Nach fast einem Jahr Laufzeit ist es an der Zeit für eine Rückschau:
Was hat sich im ersten Jahr GovTecHH getan?
Mit Start des Projekts erfolgte in einem ersten Schritt die Identifizierung von strategischen Herausforderungen der Behörden und Ämter in der Hansestadt. In dieser Phase wurden durch rund vierzig semi-strukturierte Interviews, einer Vielzahl von internen Informationsveranstaltungen wie etwa „Verwaltung trifft Start-up“ sowie durch die Konsolidierung bestehender Informationsquellen Problemstellungen aus den Fachbereichen ermittelt, die für eine Lösung durch Start-ups potenziell in Frage kommen. Insgesamt wurden so mehrere hundert Bedarfe unterschiedlicher Güte erfasst, die dann anhand zuvor definierter Kriterien bewertet wurden.
Nach Abschluss der Bewertung qualifizierte sich eine zweistellige Zahl an Problemstellungen, die GovTecHH auf dem Weg von der Bedarfsklärung über eine Markterkundung und zum Teil bis hin zur rechtssicheren Vergabe begleitet. Das Team unterstützt in diesen Fällen die jeweiligen Fachbereiche bedarfsorientiert als interner Dienstleister: Neben der strategischen Begleitung des jeweiligen Beschaffungsprozesses, der von den meisten Fachbereichen als größte Hürde wahrgenommen wird, kann dies die operative Durchführung der Markterkundungen oder die Prüfung technischer Machbarkeiten im Rahmen eines Piloten sein.
Ein Beispiel für eine durch GovTecHH begleitete Kooperation aus dem vergangenen Jahr ist die Pilotierung einer KI-gestützten Übersetzungslösung von Texten in Leichte Sprache auf dem Stadtportal hamburg.de. Durch die Einbindung der Lösung des Start-ups SUMM in das Redaktionssystem der Stadt durch die Pressestelle des Senats können Texte nun in wenigen Minuten für eine redaktionelle Überarbeitung übersetzt und anschließend veröffentlicht werden. Im Ergebnis bedeutet dies ein größeres Angebot an barrierefreien Inhalten für Bürgerinnen und Bürger bei gleichzeitiger Kostensenkung je Normseite.
Neben der harten Währung des „Matchmakings“ zwischen der Hamburger Verwaltung und Start-ups konnte GovTecHH auch arbeitskulturell wichtige Impulse setzen. Eine Befragung unserer internen Kund:innen zeigt: Nach einer Zusammenarbeit mit GovTecHH sind Fachbereiche offener für eine Kooperation mit Start-ups – unabhängig vom Erfolg des Initialvorhabens.
Das Venture Clienting Modell funktioniert in der Hamburger Verwaltung also. Klar ist dabei: Es gibt weiterhin viele Herausforderungen auf dem Weg eines effizienten Zusammenführens von Bedarfen aus der Verwaltung und potenziellen Marktangeboten von Startups. Veröffentlichungen wie die Start-up Strategie der Bundesregierung im Juli 2022 zeigen außerdem: Eine verstärkte Beschaffung bei Start-ups ist erklärtes Ziel. Eine Venture Client Unit wie GovTecHH kann hierzu einen entscheidenden Beitrag leisten.
Agile Erprobung durch den InnoTecHH Fonds
Neben den genannten Herausforderungen ist die Finanzierung von Ideen, die u. a. im Rahmen von GovTecHH entstanden sind, ein weiteres wichtiges Thema. Im Januar 2023 startete in Hamburg daher der InnoTecHH Fonds. Ziel dieses Instruments ist es, die Innovationsfähigkeit der Hamburger Verwaltung mittels Erprobung neuer Technologien agil und nutzerorientiert voranzutreiben, um so Arbeitsabläufe in der Verwaltung zu verbessern und Entlastung zu schaffen.
Der Fonds stellt in den Jahren 2023 und 2024 zentrale Finanzierungsmittel für technologische Innovationen zur Verfügung. Der Fokus liegt hierbei auf der Erprobung von Künstlicher Intelligenz (KI). Zusätzlich zur Finanzierung unterstützt der Fonds die Fachbereiche durch eine methodische und prozessuale Begleitung der Pilotierungen in kurzen agilen Entwicklungszyklen (Sprints) von drei bis max. sechs Monaten. Ziel ist es, nach erfolgreicher Pilotierung in einem nächsten kurzen Sprint ein sogenanntes „Minimum Viable Product“ in Betrieb zu bringen.
Die im Rahmen des Fonds zu pilotierenden Innovationsideen können von Mitarbeitenden der Fachbereiche der Hamburger Verwaltung quartalsweise eingereicht werden. Nach Abschluss einer Bewerbungsphase werden die Ideen anhand vordefinierter Kriterien – hierzu zählen u. a. die Neuartigkeit der Lösung, Umsetzbarkeit und Skalierbarkeit – bewertet und priorisiert. Zusätzlich zu projektspezifischen Erkenntnissen soll behördenübergreifend eine Kultur des Lernens und Austausches etabliert und ein Verankern neuer Arbeits- und Denkweisen gefördert werden.
Anwendungsbeispiel KI-Lösung
Aktuell werden bereits erste Pilotierungen in Zusammenarbeit mit diversen Behörden und Landesbetrieben umgesetzt. Ein Beispiel hierfür ist die Identifikation undeklarierter Gefahrgüter im Hamburger Hafen in Zusammenarbeit mit der Behörde für Inneres und Sport sowie der Wasserschutzpolizei (WSP). Hintergrund ist die Dunkelziffer von Containern, die gefährliche Güter enthalten, jedoch entgegen den gesetzlichen Vorschriften nicht als Gefahrgutcontainer deklariert wurden, und somit eine Gefahr für die Sicherheit im Hamburger Hafen und auf allen in Verbindung stehenden Verkehrswegen darstellen.
Das Ziel der zu entwickelnden KI-Lösung ist es, digitale Container-Informationen automatisiert auszuwerten und die Mitarbeitenden der WSP bei dieser aktuell manuellen Aufgabe maßgeblich zu unterstützen und zu entlasten. Die finale Validierung der von der KI-Lösung ermittelten Bewertung eines Container-Eintrags obliegt nach wie vor den Mitarbeitenden der WSP. Durch diese Maßnahmen kann die Sicherheit im Hamburger Hafen erhöht und somit ein wichtiger Beitrag zum Schutz von Bürgerinnen und Bürgern geleistet werden.
Fazit und Ausblick
Die zwei beschriebenen Initiativen GovTecHH und der InnoTecHH Fonds befähigen Hamburger Behörden, Bezirke und Landesbetriebe, neuartige Technologien und GovTech-Lösungen zügig zu erproben, und so agiler auf die sich verändernden Bedürfnisse der Stadt und ihrer Bürger:innen zu reagieren. Durch die ganzheitliche Vorgehensweise von der Bedarfsklärung über den Marktdialog mit potenziellen Lösungspartnern bis hin zur Umsetzung erfahren Fachbereiche bereits frühzeitig bestmögliche methodische und fachliche Unterstützung.
Somit unterstützen beide Projekte Kolleg:innen in den Fachbereichen bei der Innovationsarbeit, für die sonst meist Ressourcen fehlen. Dabei wird explizit ein Raum für Lernkultur geschaffen, indem Mitarbeitende befähigt werden, selbst die neue Technologie im Hinblick auf den Einsatz in der Verwaltung zu bewerten und methodisches Wissen darüber in der Hamburger Verwaltung zu teilen.
Die Zusammenarbeit zwischen den Initiativen und den Behörden verspricht weitere spannende Innovationen, die Hamburg zu einer noch lebenswerteren Stadt machen können.
Neben der harten Währung des Matchmakings konnte GovTecHH auch arbeitskulturell wichtige Impulse setzen.
Dr. Annika Busse,Stellvertretende CIO, Senatskanzlei der Freien und Hansestadt Hamburg
Dieser Artikel ist im aktuellen Handelsblatt Journal „Energiewirtschaft“ erschienen.
Das vollständige Journal können Sie sich hier kostenlos herunterladen:
Zum Journal