
Artikel aus dem Handelsblatt Journal „Energiewirtschaft“ vom 28.08.2023
von Dr. Simone Peter
Deutschland strebt bis spätestens zum Jahr 2045 Klimaneutralität an. Bis dahin sind alle Sektoren auf erneuerbare Energien umzustellen, denn nur sie liefern saubere, sichere und mittlerweile günstige Energie. Bis 2030 sollen 80 Prozent des Stroms und 50 Prozent der Wärme aus Sonne, Wind, Bioenergie, Wasserkraft, Erd- und Umweltwärme stammen. Damit es mit dem Ausbau nach Jahren des Stillstands bei der Energiewende wieder vorangeht, aber auch als Antwort auf die fossile Versorgungskrise infolge des Ukraine-Kriegs, hat die Ampel-Regierung eine Vielzahl an Gesetzen und Verordnungen für den Ausbau der erneuerbaren Energien in den Sektoren Strom und Wärme verabschiedet.
Und auch die EU hat Hand angelegt, um fossile Abhängigkeiten zu mindern. Von Bürokratieabbau, über Flächensicherung bis hin zur Genehmigungsbeschleunigung wurden zahlreiche Vorhaben auf den Weg gebracht. Die gute Nachricht ist: der Ausbau hat in Deutschland wieder an Schwung gewonnen. Der Ökostromanteil überstieg mit mehr als 50 Prozent den gesamten Bruttostrombedarf. Der Juli dieses Jahres liegt mit rund 71 Prozent erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung sogar auf Rekordkurs. Der Photovoltaikzubau boomt. Die Kohleverstromung hat sich im Vergleich zum Juli 2022 halbiert. Und auch die Windenergie kommt langsam wieder voran.
Eine Reform des Strommarktdesigns ist überfällig
Weil die überwiegend dezentral aufgestellten erneuerbaren Energien mit hohen Anteilen fluktuierender Quellen (Wind und Sonne) aber nicht mehr zum bisherigen Energiesystem passen, wird neben dem weiteren Ausbau der Erneuerbaren auch eine Neuaufstellung des Marktdesigns benötigt. Das bisherige System, das auf fossile und atomare Großkraftwerke zugeschnitten war, muss also an viele kleine Erzeuger, Verbraucher und Speicher anpasst werden, die selbst Energie produzieren, verteilen oder flexibel nutzen können. Die von der Bundesregierung eingesetzte Plattform “Klimaneutrales Stromsystem” soll in diesem Jahr Vorschläge erarbeiten, und auch die EU-Kommission bereitet eine Reform auf EU-Ebene vor. Das Strommarktdesign umfasst die Regeln und Mechanismen für die Stromerzeugung, den Stromhandel, den Stromtransport und den Stromverbrauch.
Erneuerbare nutzen statt abschalten
Die Einspeisung der erneuerbaren Energien ins Stromnetz muss dabei künftig so organisiert werden, dass Anlagen aufgrund eines hohen Stromangebots nicht mehr abgeschaltet werden müssen, sondern der wertvolle saubere Strom zum Beispiel durch die Umwandlung in Wärme (z.B. durch Wärmepumpen), Mobilität (E-Autos) oder grünen Wasserstoff (die sog. Sektorenkopplung) genutzt und die Betriebswirtschaftlichkeit der Erneuerbaren gesichert wird. Dazu gehört auch, dass flexibel steuerbare Quellen wie Bioenergie, Wasserkraft, Geothermie, Speicher und Sektorenkopplung finanziell angereizt werden und Verbraucherinnen und Verbraucher Strom selber erzeugen, verteilen und verbrauchen dürfen (sog. “Energy Sharing”). Auch sollen sie Anreize für den flexiblen Stromverbrauch erhalten und von transparenten und fairen Preisen profitieren.
Zudem muss eine Lösung dafür gefunden werden, dass mit erhöhter Einspeisung von Sonnen- und Windstrom ins Netz auch die Zeiten mit sehr niedrigen oder negativen Strompreisen (unter null Cent pro Kilowattstunde) zunehmen, und damit die Rentabilität von Erneuerbaren Anlagen sinkt. Das wirkt sich wiederum negativ auf den weiteren Ausbau aus. Deshalb muss der Ausbau erneuerbarer Energien mit dem Ausbau von flexibel steuerbaren Quellen einhergehen, die dann zum Einsatz kommen, wenn zu viel oder zu wenig Wind und Sonne vorhanden sind.
Die Zeitförderung auf eine Mengenförderung umstellen
Im Jahr 2021 hat der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) gemeinsam mit den Fraunhofer Instituten für Energiewirtschaft und Netzbetrieb (IEE) und Solare Energiesysteme (ISE) untersucht, wie ein Marktdesign aussehen müsste, das den notwendigen Ausbau der erneuerbaren Energien unterstützt und deren betriebswirtschaftliche Grundlage sichert, sowie Flexibilitäten anreizt und den volkswirtschaftlich Nutzen erhöht. Im Gegensatz zu anderen Studien zeigt sie, dass die Energiewende im Stromsektor überwiegend durch Nutzung der regionalen Wertschöpfungspotenziale organisiert werden kann. Die Studie stellt fest, dass der zentrale Hebel neben der Beseitigung von Markthemmnissen durch niedrige bzw. negative Strompreise vor allem verstärkte Anreize für eine Flexibilisierung von Stromangebot und -nachfrage sind, da selbst unter Ausnutzung aller Speicher- und Verbraucherflexibilitäten ein signifikanter Anteil an negativen Strompreisstunden verbleibt, die die Betriebswirtschaftlichkeit der erneuerbaren Energien mindert. Mit der Umstellung der aktuell festgelegten Förderdauer von 20 Jahren auf die Förderung einer bestimmten Energiemenge, unabhängig von der dafür benötigten Zeit, erhalten Produzenten die bestmögliche Planungssicherheit. Dadurch kann nachgelagert zur wichtigen Speicher- und Verbraucherflexibilität die restliche notwendige Flexibilität zur Verhinderung negativer Strompreise aus der Erzeugerflexibilität bereitgestellt werden. Die steuerbaren erneuerbaren Energien (Bioenergie, Wasserkraft, Geothermie) aber auch grüne KWK, Speicher und Sektorenkopplungstechnologien speisen dann ins Netz ein, wenn der Wind nicht weht, die Sonne nicht scheint und der Energiebedarf groß ist. Der Vorteil des Modells liegt nicht nur darin, dass die Finanzierung der Erneuerbaren auf stabile Füße gestellt wird, sondern es überlässt die Feinheiten der Steuerung den Regeln des Marktes und gibt nur den äußeren Rahmen vor – es geht also mit viel wenig Regulierung einher.
Die Gleitende Marktprämie sichert bisher den Marktzugang
Die Vergütung der erneuerbaren Energien am Strommarkt wird zum jetzigen Zeitpunkt im Wesentlichen über die sogenannte „Gleitende Marktprämie“ sichergestellt. Sie ist eine Form der Förderung für erneuerbare Energien, die im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) festgelegt ist, und die Einspeisung von Ökostrom aus Erneuerbaren Anlagen über 20 Jahre lang vergütet. Die Gleitende Marktprämie gilt für alle Anlagen, die an Ausschreibungen teilnehmen müssen oder freiwillig an der Direktvermarktung teilnehmen. Das sind vor allem Wind- und Solaranlagen, aber auch Biomasse- und Wasserkraftanlagen. Sie dient der Marktintegration der erneuerbaren Energien, indem sie Erzeuger dazu anreizt, ihren Strom selbst am Markt zu verkaufen und an die Strompreissignale anzupassen.
Starre Förderkorridore verringern die marktwirtschaftlichen Vorzüge
Im Gegensatz dazu steht ein Vorschlag, der auf EU und nationaler Ebene ebenfalls diskutiert wird und mit umfangreichen, eher marktfernen Regularien einhergeht. Die Rede ist von Differenzverträgen, sogenannten Contracts- for-Difference (CfD), die nach unten vor Marktwertverlusten absichern und nach oben eine Gewinndeckelung bilden. Die Vergütung erneuerbarer Energien würde sich damit in einem festen Preiskorridor bewegen. Das klingt auf den ersten Blick sinnvoll, werden dadurch doch extreme Preisausschläge, wie zum Beispiel im vergangenen Jahr im Zuge der Energiekrise mit starken Strom- und Gaspreisausschlägen, verhindert. Doch grundsätzlich entstehen hohe Preise nicht durch das Marktdesign, sondern durch die Knappheit eines Gutes (in diesem Fall Erdgasimporte aus Russland). Dieses Problem packt man am besten bei der Wurzel an, indem man die Energieversorgung auf regional erzeugte, heimische Energiequellen – die Erneuerbaren – umstellt. Auch beinhalten CfDs höhere Kosten für die Allgemeinheit, wenn der Ausschreibungspreis höher liegt als bei der Gleitenden Marktprämie und Erzeuger zusätzliche Markterlöse einplanen. Der Cap nach oben wird auch zum Problem für flexible Erzeuger. Für sie sind Preissignale entscheidend, damit sie in wenigen Zeitfenster mit hohen Strombedarfen ihre Leistung fokussiert bereitstellen. Diese Preissignale regen dringend erforderliche Investitionen aus dem Markt heraus an und müssen auch refinanziert werden. Das können CfD nicht und hier liegt die Krux in der Ausgestaltung.
Welche Probleme CfD anrichten können, hat die Erlösabschöpfung im Rahmen der Strompreisbremse in den letzten sieben Monaten gezeigt. Die weit unterdurchschnittlichen Einnahmen aus der Abschöpfung fiktiver statt realer Erlöse standen einem immensen bürokratischen Aufwand bei den Versorgern und tiefer Verunsicherung des Marktes entgegen. Fast der gesamte Markt für langfristige Strombezugsverträge ist zum Erliegen gekommen. Gesenkt wurden die Preise am Ende nicht durch die Abschöpfung, sondern durch eine wetterbedingt hohe Produktion von Strom aus Wind- und Solaranlagen im Winter.
Die Debatte um die Reform des Strommarktdesigns der Zukunft ist voll entbrannt. Wichtig ist der sachliche Austausch, an dessen Ende ein System steht, das den Hochlauf der erneuerbaren Energien bis zum vollständig klimaneutralen Energiesystem trägt und befördert. Davon profitieren am Ende alle – Verbraucherinnen und Verbraucher, Wirtschaft, Industrie und das Klima.
Die Reform des Strommarktdesigns ist überfällig.
Dr. Simone Peter, Präsidentin, Bundesverband Erneuerbare Energien e.V. (BEE)
Dieser Artikel ist im aktuellen Handelsblatt Journal „Energiewirtschaft“ erschienen.
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