Die Digitalisierung ist und bleibt eine Herausforderung. Sie ist aber – wenn wir die vorhandenen Potenziale ausschöpfen – zugleich die wohl größte Chance, die Zukunftsaufgaben unserer Gesellschaft im Sinne der Bürgerinnen und Bürger anzugehen und positive Entwicklungen anzustoßen. Wir müssen jetzt die Weichen stellen, um die Lebensqualität heute und für die kommenden Generationen zu erhalten und zu erhöhen.
In Deutschland neigt man allerdings nicht selten dazu, jede Chance erst einmal als Krise zu sehen. Ängste im Hinblick auf Datenschutz, Überwachungsmöglichkeiten und Arbeitsplatzverlust durch Maschinen bremsen Innovationen und Investitionen. Umso dringender ist es, Antworten auf die Fragen zu liefern, wie wir uns digitales Leben, Wohnen und Arbeiten vorstellen.
Wohnen und Arbeiten
Die strikte Trennung von Wohnen und Arbeiten, wie sie jahrzehntelang in der Bauplanung angelegt war, hat keine Zukunft. Wenn in der digitalen Welt die digitale Wertschöpfung im Vordergrund steht, wird das Homeoffice nicht die Ausnahme, sondern der Regelfall sein. Damit können zugleich die Pendlerströme deutlich reduziert werden. Der Stadtverkehr wird ein ganz anderer sein. War früher die autofreundliche Stadt das Ziel, so liegt die Zukunft sicher in einer deutlichen Reduzierung des Individualverkehrs. Vernetzte Verkehrssysteme, vom Fahrrad zum Bus, vom Bus zur Bahn, autonom fahrende Elektroautos und -busse werden die Innenstädte wieder lebenswerter machen. Die Innenstädte werden eine Renaissance erfahren und nicht nur als Verkaufsstandort, sondern insbesondere als Erlebnisraum für Kultur und Gemeinschaft der Bürgerinnen und Bürger. Eine intelligente Verkehrssteuerung auf digitaler Basis wird sicherstellen, dass nicht ein beträchtlicher Teil des Verkehrs darin besteht, einen Parkplatz zu suchen.
Kommunale Verwaltung und Bürgeranfragen
Auch die Kommunalverwaltungen werden sich grundlegend ändern. Nicht die Bürger, sondern die Daten werden laufen. Chatbots werden eine Vielzahl von Bürgeranfragen rund um die Uhr präzise und schnell eigenständig beantworten. In den internen Abläufen wird sichergestellt sein, dass Anträge von Bürgern und Unternehmen allen bearbeitenden Stellen gleichzeitig zur Verfügung stehen und Formulare sich die erforderlichen Daten selbst zusammenstellen. Das wird zu einer schnelleren, besseren und effektiveren Verwaltung führen.
Digitale Angebote sind wesentlich, um Verwaltungsprozesse transparent zu gestalten, um die Bürgerinnen und Bürger aktiv am strategischen Stadtumbau und der Stadtentwicklung der Zukunft zu beteiligen, um Meinungsbilder abzufragen und durch diese integrativen Prozesse einer drohenden Politikverdrossenheit entgegenzuwirken. Je eher eine Kommune gemeinsam den Bürgerinnen und Bürgern die notwendigen Weichen für eine „Smart City“ stellt, umso erfolgreicher wird sie am Ende sein.
Digitalisierung im Alltag
Während der Einzelne die Vorteile der Digitalisierung (Onlinehandel, Echtzeit-Infos zum Verkehrsaufkommen etc.) gerne für sich in Anspruch nimmt, hat die Sorge vor den langfristigen Folgen für die Gesellschaft weiter Konjunktur. Zu den Sorgen im Hinblick auf eine weitere Digitalisierung gehört die Angst vor dem Vereinsamung, wenn man für die meisten Erledigungen das Haus nicht mehr verlassen muss. Gesucht wird vor diesem Hintergrund etwa nach neuen Arbeits-, Lebens- und Wohnformen. Die Anzahl der Co-Labs erhöht sich rasend. Das kleine Einzelbüro ist immer weniger gefragt; große Unternehmen setzen auf Räume für kreative Gemeinschaftsarbeit, Besprechungen oder Ruhezonen, um eigene Ideen zu entwickeln. Zugleich gewinnen Mehrgenerationenhäuser anstelle des Einfamilienhauses immer mehr an Attraktivität.
Orte der Begegnung
Der Bedarf nach Orten der Begegnung bietet viele weitere Chancen der Erneuerung. Ein mögliches Szenario etwa für Bibliotheken lautet, dass sie sich als lokale Zentren des Wissens, der Kommunikation und der Begegnung verstehen. Durch Kooperation mit andern Institutionen können sie sich zu modernen „City-Hubs“ entwickeln. Gemeinsam mit Jugendzentren und Mehrgenerationenhäusern schaffen sie Zugang zu globalem Wissen und sind Plattform für den Austausch und Unterstützung zwischen Jung und Alt. Eine Bibliothek könnte als Bürgeramt, Auslieferungsstelle der Logistik, Berufsorientierung, Volkshochschule, Bildungszentrum, Lernwerkstatt fungieren, eine Plattform für Kreativität, Innovation, Vernetzung und Kommunikation, Wirtschaftsförderung sein.
Digitalisierung als Problemlösung
Auch wenn die Digitalisierung kein Allheilmittel ist, so lassen sich mit ihrer Hilfe viele unserer aktuellen und künftigen Herausforderungen effektiver angehen. Der Klimawandel lässt sich abmildern, wenn eines Tages autonom fahrende Elektroautos die Normalität sind. Der demografische Wandel lässt sich zumindest entdramatisieren, wenn etwa Telemedizin oder Online-Sprechstunden die Anzahl der Arztbesuche verringern. Der Pflegenotstand lässt sich mildern, wenn die Wohnungen älterer Menschen mit digitalen Assistenzen, wie etwa Sturzsensoren im Boden, ausgestattet sind.
Nicht nur Großstädte müssen sich digitalisieren
Bei den aktuellen Debatten rund um die Smart City hat man allerdings viel zu oft das Gefühl, Deutschland sei ein Land bestehend aus unzähligen Großstädten. Das entspricht der Realität nicht annähernd. Gerade ländliche Regionen und kleine und mittlere Städte und Gemeinden müssen zukünftig stärker als bisher im Fokus stehen. Nach wie vor leben 70 Prozent der Menschen in Deutschland nicht in großen Städten und der überwiegende Teil der Wertschöpfung findet abseits der Ballungsräume statt. Flächendeckende medizinische Versorgung, gute Bildungsangebote, bezahlbarer Wohnraum, besserer ÖPNV und natürlich eine leistungsstarke Breitbandinfrastruktur – das sind die Eckpfeiler einer zukunftsorientierten Politik, ohne die weder „Smart Regions“ noch „Smart Cities“ entstehen werden. Nicht nur die Stadt, sondern eben auch das Dorf von morgen wird digital sein. Darin liegt die große Chance, die Gegensätze von Stadt und Land abzubauen, Verkehrs- und Pendlerströme zu reduzieren, weil der digitale Arbeitsplatz standortunabhängiger sein wird. Das entspricht auch den Wünschen vieler Menschen. Nach einer repräsentativen Umfrage des ZDF würden 44 Prozent der Befragten am liebsten auf dem Dorf, 39 Prozent in einer mittelgroßen Stadt und nur 16 Prozent in einer Großstadt leben.
Unterstützung für Kommunen
Auf sich gestellt werden die Kommunen die digitale Transformation nicht bewältigen können. Bei diesem strategischen Umbauprojekt brauchen die Kommunen Unterstützung. Der öff entliche Sektor und die Politik sind gefordert, beim Breitbandausbau, bei der Schaffung gesetzlicher Rahmenbedingungen und der Definition von Standards und Schnittstellen schneller zu handeln. Etablierte Muster des Politikbetriebs müssen auf den Prüfstand. Das Grundgesetz schreibt ausdrücklich gleichwertige Lebensverhältnisse überall in Deutschland vor. Die Realität sieht leider anders aus; in vielen Gebieten Deutschlands sind weiße Flecken ohne Internet, sogar ohne eine Mobilfunkanbindung leider noch immer vorhanden. Eine flächendeckende Versorgung mit einer mobilen Kommunikationsinfrastruktur ist ebenso wie eine leistungsfähige kabelgebundene Versorgung unabdingbar.
Digitale Transformation für mehr Lebensqualität in Stadt und Land
Digitalisierung ist das Thema der laufenden Legislaturperiode. Nicht, weil es das einzige Thema von Relevanz wäre, keineswegs. Vielmehr, weil die Digitalisierung die Schnittstelle für alle wesentlichen Themen ist, um unseren Alltag zu erleichtern und unsere Lebensqualität – in Stadt und Land – zu erhalten.
Autor: Dr. Gerd Landsberg
Hauptgeschäftsführer,
Deutscher Städte- und Gemeindebund e.V.