
Herr Dr. Wieland, wenn Sie den Lebenszyklus in den vier Schritten Bedarfserfassung, Planung, Bau und Betrieb betrachten, an welchen Übergängen sind die Schnittstellenverluste am größten?
An jeder Stelle kann es Probleme geben. Bei der Bedarfserfassung sollte der Bauherr sich vorher bereits intensiv mit Markt und Standort beschäftigt haben.
Er muss dem Nutzer die richtigen Fragen stellen, genau zuhören und dessen Unternehmensprozesse sowie seine langfristige Strategie genauso verstehen wie die Konsequenzen, die daraus für die benötigten Flächen entstehen. Hat man das nicht richtiggemacht, besteht die Gefahr, dass die Planung am Bedarf vorbeigeht. Das wirkt sich in punkto Zeit und Kosten nachteilig auf alle folgenden Prozessschritte aus.
Bei der zweiten Schnittstelle – Planung und Bau gibt es besonders viele Möglichkeiten des Scheiterns: beispielsweise wenn ein hochkomplexer Architektenentwurf als Ergebnis eines Wettbewerbs umgesetzt werden soll und die besonderen Schwierigkeiten erst im Laufe des Bauprozesses aufgedeckt werden. Oder wenn das Bauunternehmen nicht früh genug in die Planung eingebunden wurde und dann ein Projekt umsetzen muss, das ihm nicht ausreichend vermittelt wurde. Ebenfalls ein häufiges Problem: Der Auftraggeber entwickelt während der Bauphase immer neue Wünsche und verändert die Planung. Dann explodieren die Baukosten und der Zeitplan ist nicht zu halten. Beispiele dafür aus der näheren Vergangenheit sind bekannt.
Auch zwischen Bau und Betrieb kann es Überraschungen geben, wenn bei der Planung Gebäudespezifika oder Zusatzwünsche entwickelt und die daraus resultierenden Betriebskosten nicht mitgedacht wurden.
Alles in allem gibt es immer dann Zeit- oder Kostenüberschreitungen, wenn nicht frühzeitig interdisziplinär gedacht wird.
Für welchen Teilbereich im Lebenszyklus würden Sie in der Digitalisierung der Branche das größte Potential sehen?
Ein hohes Potenzial besteht in den beiden Prozessschritten Planen und Bauen, die durch BIM bereits zusammengeführt werden und somit die Schnittstellenverluste reduzieren helfen.
Auch der Betrieb einer Immobilie wird in vielen Bereichen immer mehr durch digitale Gebäudetechnik unterstützt: Beispielhaft seien hier die Bereiche Sicherheit oder Energie- und Klimamanagement genannt. Digitale Pförtner- oder Orientierungssysteme sind ebenfalls auf dem Vormarsch.
Braucht die Immobilienwirtschaft einen Kulturwandel im Bereich „Kooperation zwischen den Gewerken“?
Ja, aber der Kulturwandel ist im Gange. Nutzerorientierung ist inzwischen ein großes Thema. Darüber hinaus werden interdisziplinäre Teams gebildet, die den Planungs- und Bauprozess ganzheitlich begleiten. Und die Digitalisierung erleichtert es den Gewerken, enger zusammenzuarbeiten.
Die Marktentwicklung tut ihr Übriges: Im gegenwärtigen Bauboom ist es schwierig, ein Bauunternehmen für einen Auftrag zu gewinnen. Der Auftraggeber ist gezwungen, sich früher und umfassender mit einem potenziellen Auftragnehmer abzustimmen, damit dieser seine Ressourcen planen kann. Der Bauunternehmer ist somit häufiger bei der Projektplanung dabei, bringt die bautechnische Sicht in den Prozess ein und kann seine Position durch die frühzeitige Einbeziehung von Subunternehmern absichern.
Das heißt in der Quintessenz: Zur Vermeidung von Schnittstellenverlusten sind eine ganzheitliche Prozessbetrachtung, interdisziplinäre Teams schon in der frühen Planungsphase und die Nutzung von digitalen Systemen zur Zusammenführung der Aufgaben unabdingbar. Vorteilhaft ist auch, wenn der Projektentwickler sowohl Planungs- als auch Bau- und Betreibererfahrung hat.