Vertrauen in unser Insolvenzrecht

Dr. Marco Buschmann

Artikel aus dem Handelsblatt Journal „Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz“ vom 11.05.2023

von Dr. Marco Buschmann

Im letzten Jahr an dieser Stelle schrieb ich, das deutsche Restrukturierungs- und Insolvenzrecht sei für die Herausforderungen gut gerüstet, die sich in Zeiten multipler Dauerkrisen stellen. Die zwischenzeitlichen Entwicklungen haben diese Einschätzung bestätigt. Es ist keine unbeherrschbare Insolvenzwelle über uns hereingebrochen, und die unmittelbaren Auswirkungen des Krieges auf unsere Wirtschaft haben wir durch unser Krisenmanagement gut auffangen können. Heute wissen wir deshalb auch, dass es richtig war, den im letzten Jahr vorgetragenen Forderungen nach einer breitflächigen Aussetzung der Insolvenzantragspflichten nicht nachzukommen.

Wettbewerbsverzerrungen durch die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht?

Es mag sein, dass entsprechende Aussetzungsregelungen zu Beginn der Corona-Pandemie ihren Zweck erfüllt und Schlimmeres verhindert haben. Sie haben sich insoweit als nützliche Flankierung der massiven staatlichen Unterstützungsleistungen erwiesen. Sie haben aber auch ihren Preis gehabt, dessen Höhe sich erst nach und nach abzeichnet. Denn die historischen Niedrigstände bei den Insolvenzzahlen in der Pandemie zeigen, dass im Windschatten des damaligen Schutzschirms auch Insolvenzen verschleppt worden sind – eine Verschleppung zum Schaden der unmittelbar und mittelbar Beteiligten. Das aber kann für eine marktwirtschaftliche Ordnung über längere Zeit nicht gut sein – schon gar nicht in Zeiten struktureller Transformationsprozesse. Es ist auf Dauer niemandem geholfen, wenn die verfahrensförmige Krisen- und Insolvenzbewältigung zur Ausnahme und die staatlich unterstützte Fortführung nicht überlebensfähiger Unternehmen zur Regel wird. Statt zu wettbewerbsfähigen Strukturen würde das zu Verkrustungen führen und zur Unfähigkeit, sich an neue Rahmenbedingungen anzupassen. Wir müssen dem Insolvenzrecht deshalb gerade in solchen Zeiten die Möglichkeit geben zu zeigen, wofür es da ist und was es leisten kann.

Vertrauen in restrukturierung- und insolvenzrechtliche Instrumente

Es war deshalb richtig, auf die Krisentreiber des letzten Jahres – Krieg, Inflation, Lieferengpässe, Kapazitätsprobleme am Transportmarkt, sich abschwächende Konjunktur – besonnen und umsichtig zu reagieren und sich darauf zu beschränken, den Unternehmen durch eine vorübergehende Verkürzung der insolvenz- und restrukturierungsrechtlichen Planungshorizonte mehr Planungssicherheit zu geben. Diese Ruhe und Besonnenheit sollten wir uns bewahren, wenn jetzt die letzten Fallzahlen auf eine Mehrung von Insolvenzfällen hinweisen. Auch diese Zahlen bewegen sich noch unterhalb des Vorkrisenniveaus. Selbst wenn dieses erreicht oder überstiegen würde, was im Zuge von Nachholeffekten infolge der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht während der Corona-Pandemie nicht ausgeschlossen scheint, sollten wir Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der restrukturierungs- und insolvenzrechtlichen Instrumente und die im Umgang mit diesen Instrumenten geübte Praxis haben. Unabhängig davon wird die Bundesregierung die Entwicklungen auch weiterhin kontinuierlich beobachten, evaluieren und – wenn erforderlich – schnell reagieren.

Harmonisierung des Insolvenzrechts nicht zu jedem Preis

Ruhe und Besonnenheit sind auch im Umgang mit dem Vorschlag der Europäischen Kommission zur weiteren Vereinheitlichung des Insolvenzrechts nötig. In der Fach- und Verbandsöffentlichkeit sorgt der Vorschlag für einige Aufregung und Unruhe. Er lässt sich in mehreren Teilen nicht mit den Grundsätzen vereinbaren, die unser Recht tragen und bislang auch seine Funktionsfähigkeit gesichert haben. Eine weiträumige Suspendierung der Gläubigerautonomie, ein verabsolutierter Eigenverwaltungsgrundsatz, die systematische Verdrängung der Insolvenzverwalter und die Überfrachtung der Gerichte mit Aufgaben, die von der Verwalterschaft verlässlich erledigt werden – all das will vom deutschen Standpunkt aus nicht so recht einleuchten. Zumal wir hierzulande für viele dieser Fragen nach langen Diskussionen ausgewogene und weithin akzeptierte Lösungen gefunden haben. Die gute Nachricht ist: Bei den Verhandlungen in den Ratsarbeitsgruppen, die jetzt angelaufen sind, zeigt sich die Kommission offen und gesprächsbereit. Wir haben das gemeinsame Ziel, das Insolvenzrecht weiter zu harmonisieren – aber nicht um der Harmonisierung selbst willen. Wir werden bei diesen Verhandlungen in bewährter Weise den Vorschlägen jenen Schliff geben, den sie brauchen, um sich gut in den deutschen Rechtsrahmen einzufügen.

Wir müssen dem Insolvenzrecht die Möglichkeit geben zu zeigen, wofür es da ist und was es leisten kann.

Dr. Marco Buschmann, MdB, Bundesminister der Justiz

Dieser Artikel ist im aktuellen Handelsblatt Journal „Energiewirtschaft“ erschienen.

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