
Artikel aus dem Handelsblatt Journal „Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz“ vom 11.05.2023
von Dagmar Rehm
Die Rolle des Aufsichtsrats in Phasen der Restrukturierung oder Transformation ist, wie im Aktiengesetz sowie dem DCGK 2022 beschrieben und geregelt, eine deutlich andere als die der Geschäftsführung oder des Vorstands; sie liegt in der sorgfältigen Überwachung und der begleitenden Beratung, nicht jedoch in der aktiven Gestaltung und Umsetzung.
Nun sind Aufsichtsratsmitglieder nicht in das tägliche Geschehen in einem Unternehmen eingebunden. Sie erhalten ihre Informationen über die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens durch den Vorstand in einem regelmäßigen Turnus. Diese Information sind kondensiert und natürlich auch gefiltert.
Dies, sowie der zeitliche Abstand der Berichterstattung, kann beim Aufsichtsrat zu Unsicherheiten führen, die zusammen mit Haftungsthemen des Aufsichtsrats durch ein klares Vorgehen gelöst werden können.
Aus meiner Erfahrung sind dabei die wesentlichen Bausteine im Einfluss des Aufsichtsrats:
Bei Restrukturierungs- oder Transformationsmaßnahmen, die für das Unternehmen von zentraler wirtschaftlicher oder strategischer Bedeutung sind, muss der Vorstand dem Aufsichtsrat einen detaillierten Plan vorlegen. Dieser muss die einzelnen Maßnahmen, Verantwortlichkeiten, Termine und Kosten/Einsparungen/Erträge enthalten. Meistens bedarf es hier als zustimmungspflichtiges Geschäft der Zustimmung des Aufsichtsrats. Falls nicht, sollte dies dennoch erfolgen, um eine erforderliche Verbindlichkeit sicherzustellen.
Regelmäßig ist in einer Phase der harten Restrukturierung zusätzlich eine in kurzen Abständen aktualisierte Liquiditätsvorschau zur Feststellung der Durchfinanzierung erforderlich, ggf. mit Szenarien für verschiedene Annahmen/Szenarien mit Prüfung der jeweiligen Finanzierungs-Covenants.
Das beiderseitige Commitment kann durch die Aufnahme einzelner Ziele mit ihren Wertbeiträgen in den STIP oder bei länger laufenden Maßnahmen auch den LTIP der Vorstandmitglieder aufgenommen werden. Dies verstärkt auch den Governance-Ansatz seitens des Aufsichtsrats.
So ist sichergestellt, dass die Restrukturierungs- und Transformationsmaßnahmen gegenüber dem operativen Geschäft kontinuierlich im Fokus bleiben.
2. Bereitstellen ausreichender Kapazitäten und Kompetenzen
Eine größere Restrukturierung oder Transformation kann ohne Bereitstellung der erforderlichen personellen und fachlichen Kapazitäten nicht parallel zum operativen Tagesgeschäft erfolgreich durchgeführt werden.
In den meisten Fällen werden die ohnehin schon stark in Anspruch genommenen bekannten Leistungsträger zusätzlich zu ihrem vollen Tisch mit den (Teil-)Projektarbeiten betraut. Ein zentrales Projekt des Unternehmens kann aber nicht mit 10% hier oder 15% dort konsequent verfolgt und ins Ziel gebracht werden.
Hinzu kommt, dass ein solches Programm auch ein Momentum hat, das aufrechterhalten werden muss. Dies wird umso schwierig, je längerfristig die Maßnahmen angelegt sind.
Unternehmen sollten realistisch beurteilen, welche zeitlich befristeten Spezialkapazitäten sie besser von außen der Organisation an die Seite stellen. Hierbei kann es sowohl um Fachspezialisten als auch Unterstützung im Bereich PMO bis hin zur verlängerten Werkbank gehen.
Natürlich habe ich oft das Argument der Kosten gehört, aber die Kosten einer verzögerten Umsetzung bis hin zum Abbruch sind deutlich höher anzusetzen. Nicht zu erwähnen die Ernüchterung im Unternehmen, wenn nach langer Vorbereitung und vielversprechendem Start die Dinge „im Sande“ verlaufen. Letztlich schadet sich dann ein Vorstand oder eine Geschäftsführung selbst in der Glaubwürdigkeit und erhöht die Beharrungstendenzen.
Und das Vorhaben wieder aufzugreifen zu einem späteren Zeitpunkt ist unglaublich viel mühsamer.
Einen besonderen Fall sehe ich im Falle einer tiefgreifenden Restrukturierung und/oder Transformation. Hierbei sind sehr viele nicht populäre oder erklärungsbedürftige Themen in Angriff zu nehmen, die eine starke Konzentration erfordern. Für viele Mitarbeiter sind dies unsichere Zeiten, die eine erhöhte Kommunikation benötigen.
Das Unternehmen ist in dieser Zeit stark mit der Innensicht beschäftigt. Während „draußen“ der Markt und die Marktteilnehmer sich weiterentwickeln.
Im schlimmsten Fall ist die Restrukturierung oder Transformation gelungen – und der Markt hat sich weiter- und wegbewegt.
Um den Vorstand den Rücken freizuhalten für die strategische und operative Weiterentwicklung, empfehle ich aus der Erfahrung die Einsetzung eines erfahrenen CRO oder CTO (Chief Transformation Officer), der aufgrund der Unpopularität vieler Maßnahmen durchaus von außen kommen sollte. Seine/Ihre Incentivierung kann entsprechend gestaltet werden.
Daneben ist in solchen Szenarien ggf. eine externe Verifizierung der Liquiditätsvorausschau sinnvoll und es gehört zu den Überwachungsaufgaben des Aufsichtsrats, ob der Vorstand die gesetzlichen Pflichten bei Liquiditätsengpässen kennt bzw. sich entsprechend beraten lässt.
3. Zeitnahe Kommunikation
In Zeiten wesentlicher Restrukturierungen oder Transformationen halte ich eine quartärliche Berichterstattung im Rahmen der üblichen Aufsichtsratssitzungen für nicht ausreichend.
Fehlentwicklungen, Abmeldungen und Verzögerungen werden zu spät transportiert, eine Diskussion mit dem Vorstand zu Adjustierungen etc. erfolgt nicht zeitund problemnah.
In einem konkreten Fall in meiner Aufsichtsratstätigkeit haben wir in der heißen Phase zweiwöchentliche Updates mit dem Vorstand durchgeführt, die erst den gesamten Aufsichtsrat involvierten, später einen eigens gegründeten Ausschuss. Erst als wir „aus dem Gröbsten“ heraus waren, haben wir die Zyklen wieder weiter gestaltet. Nicht zuletzt tangiert dieses Vorgehen auch die Aufsichtspflicht des Aufsichtsrats, der in für das Unternehmen kritischen Phasen engmaschig arbeiten sollte.
4. Transparenz
Jede (größere) Restrukturierung oder Transformation ist durch den oben genannten Plan unterlegt, gegen den berichtet wird.
Hier kommt dem Project Management Office (PMO) eine zentrale koordinierende, Standard setzende und kritische Rolle zu. Keinesfalls sollten Reports der jeweils (Teil-) Projektverantwortlichen ohne Gegencheck entgegengenommen und verarbeitet werden.
Es ist durchaus zu empfehlen, insbesondere in der Anfangsphase dazu externe professionelle Unterstützung ins Haus zu holen.
Die eigenen Mitarbeiter werden über die Zeit methodisch geschult und können dieses Wissen zukünftig selbst anwenden. Ein Insourcing zu einem späteren Zeitpunkt ist üblich.
Alle vier Bausteine sind im Grunde logische Selbstverständlichkeiten. Dennoch hapert es in der Realität oft genau dort. Der Aufsichtsrat ist wie gesagt nicht verantwortlich für die operative Umsetzung; sehr wohl jedoch für deren Überwachung in seiner Funktion als Kontrollorgan.
Eine größere Restrukturierung oder Transformation kann ohne Bereitstellung der erforderlichen personellen und fachlichen Kapazitäten nicht parallel zum operativen Tagesgeschäft erfolgreich durchgeführt werden.
Dagmar Rehm, Aufsichtsrat, König & Bauer AG
Dieser Artikel ist im aktuellen Handelsblatt Journal „Energiewirtschaft“ erschienen.
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