Restrukturierung ist mehr als Kosteneinsparung

Thomas Dippold

Artikel aus dem Handelsblatt Journal „Restrukturierung“ vom 11.05.2022

von Thomas Dippold

SGL Carbon ist nicht meine erste Restrukturierung, aber sie hat wieder gezeigt, dass es nicht ausreicht, Kosten einzusparen und Stellen abzubauen. Um die Restrukturierung eines Unternehmens langfristig erfolgreich zu machen, bedarf es eines Umdenkens im Unternehmen – einer ganzheitlichen Transformation.

Die SGL Carbon ist ein technologiebasiertes und weltweit tätiges Unternehmen bei der Entwicklung und Herstellung von hochwertigen, kohlenstoffbasierten Materialien und Produkten aus Spezialgraphit, Carbonfasern und Verbundwerkstoffen. SGL-Materialien und -Lösungen kommen in vielen zukunftsbestimmenden Industriebranchen zum Einsatz: z.B. der Automobilindustrie, der Halbleitertechnik, Solar- und Windenergie, LED sowie bei der Herstellung von Lithium-Ionen- Batterien und Brennstoffzellen. Im Jahr 2021 erzielte die SGL Carbon einen Umsatz von rund 1 Milliarde Euro an 31 Standorten in Europa, Nordamerika und Asien.

Vom Zukunftsmarkt zur Schieflage

Viele Märkte, in denen die SGL Carbon tätig ist, sind Zukunftsmärkte mit steigender Nachfrage. Warum kommt ein Unternehmen, das in diesen Branchen tätig ist, in eine Schieflage?

Als ich im Oktober 2020 zur SGL Carbon kam, steckten wir noch mitten in den Auswirkungen des ersten Corona- Lockdowns. Wie bei vielen anderen Unternehmen der Branche brachen Umsatz und Ergebnis ein. Die Corona- Pandemie war jedoch nicht der Hauptgrund für die Schieflage des Unternehmens, eher ein Beschleuniger. Die Ursachen für die kritische Situation sind vielfältiger und haben sich im Laufe von Jahren manifestiert.

Mein Vorstandskollege, Dr. Torsten Derr, trat die Position des Vorstandsvorsitzenden knapp fünf Monate vor mir an. Ein neues Vorstandsteam, das völlig unvoreingenommen und objektiv jeden Stein im Unternehmen umdrehen konnte. Und das haben wir auch getan.

Was haben wir vorgefunden?

Grundsätzlich ist SGL Carbon einer der Technologieführer in der Branche. Ein innovatives Unternehmen mit zum Teil hochspezialisierten und auf die Kundenbedürfnisse maßgeschneiderten Produkten und Lösungen. Aber genau darin bestand auch eines der Probleme. SGL war eher eine Forschungseinrichtung mit angehängter Produktion. Die operativen Geschäftsbereiche hatten keine Umsatz- und Ergebnisverantwortung für ihre Bereiche. Es fehlte an Kostendisziplin. Wenn Budgets überschritten oder Profitabilitätsziele nicht erreicht wurden, gab es kein Korrektiv.

Hinzu kam eine hohe Komplexität der Organisation mit vielen weltweiten Standorten und zum Teil viel zu komplizierten und dadurch ineffektiven Prozessen und Abläufen. Es gab 20 nicht operative Zentralfunktionen, eher vergleichbar mit einem Großkonzern als einem mittelständischen Unternehmen. Die über Jahre gewachsene Unternehmenskultur war geprägt vom technologischen Perfektionismus und hat dadurch an Profitabilität eingebüßt.

Kurzfristige Sicherung und langfristige Transformation

Wie bei fast jeder Restrukturierung spielte die Zeit eine wesentliche Rolle. Gerade für mich als CFO war und ist eine der obersten Aufgaben die Sicherung der finanziellen Stabilität. Daher haben wir, anfänglich gemeinsam mit einer spezialisierten Beratungsgesellschaft, ein Programm aufgesetzt, das sowohl Kosteneinsparungen als auch Effizienzverbesserungen umfasst. Das ganze Programm haben wir in 750 Teilprojekte aufgeteilt. Für jede Initiative gibt es einen Meilensteinplan und einen Verantwortlichen, der regelmäßig in einem Lenkungsausschuss darlegen muss, ob er zu seinem Einspar- und/ oder Effizienzziel steht, und wie gegebenenfalls Abweichungen kompensiert werden sollen. So haben wir einen Großteil der Belegschaft in den Transformationsprozess aktiv eingebunden und hierdurch die Akzeptanz erhöht. Eines der Ziele der Transformation ist es, jährlich 100 Mio. Euro einzusparen. Bereits Mitte 2021 hatten wir 60 % des Kosteneinsparzieles erreicht, Ende 2021 das Ziel bereits um 20 % übertroffen.

Leider ist die Restrukturierung auch mit einer Personalreduzierung von rund 10 % verbunden. Wir haben den Abbau in enger Abstimmung mit den Arbeitnehmervertreter: innen so sozialverträglich wie möglich gestaltet. Dabei haben wir Stellen in allen Hierarchieebenen abgebaut.

Die zwei ursprünglichen, von der Kundenstruktur eher heterogenen operativen Segmente, haben wir aufgesplittet. Seitdem bestehen vier umsatz- und ergebnisverantwortliche Geschäftsbereiche, die deutlich fokussierter auf die Anforderungen der Kunden und ihrer Märkte reagieren können. Innerhalb dieser Geschäftsbereiche haben wir uns die Profitabilität der Produktgruppen angesehen und Produktionskapazitäten und Ressourcen auf diejenigen mit der höchsten Profitabilität und den besten Zukunftsaussichten allokiert. Klare Strategie ist: Marge vor Umsatz. Dies gilt auch für die Standorte. Jeder Standort muss profitabel sein.

Auch die 20 Zentralfunktionen haben wir verschlankt und der Größe des Unternehmens angepasst. Heute gibt es noch neun so genannte Corporate Functions in unserer Firmenzentrale in Wiesbaden.

Parallel zu den operativen und organisatorischen Initiativen haben wir unsere Bilanzstruktur gestärkt, liquide Mittel durch den Verkauf nicht-betriebsnotwendiger Vermögenswerte aufgebaut und unsere Nettofinanzverschuldung reduziert. Im Geschäftsjahr 2021 ist es uns gelungen, die Nettofinanzverschuldung um ein Drittel zu senken und unser Eigenkapital von 17,5 % auf 27 % zu erhöhen.

Besonders wichtig für die langfristige Transformation des Unternehmens war die Einführung von vier Leitlinien des Handelns:

1. Geschäft geht vor, also Fokus auf Profitabilität,
2. Einfachheit wagen
3. Versprechungen halten und
4. schnell handeln.

Sie fördern ein Umdenken im Unternehmen und haben die Akzeptanz des Transformationsprogrammes bei den Kolleginnen und Kollegen deutlich erhöht.

Transformation ist wie eine Berggipfelbesteigung

Vor knapp zwei Jahren haben wir unser Transformationsprogramm begonnen. Die meisten der anfänglich definierten Restrukturierungsinitiativen haben wir umgesetzt, unser Kosteneinsparziel erreicht bzw. sogar übertroffen, die Strukturen des Unternehmens angepasst sowie Prozesse und Abläufe deutlich effizienter gestaltet. Die SGL Carbon steht heute auf stabileren finanziellen Beinen und wir sind deutlich besser für die kommenden Herausforderungen gewappnet. Ohne den Einsatz und das Engagement der Belegschaft, ein gesundes Fundament der Gesellschaft mit hervorragenden Produkten und Lösungen etabliert in zukunftsorientierten Märkten wäre eine solche Restrukturierung nicht möglich gewesen.

Aber eine Transformation ist keine kurze Wanderung, sondern eher eine etappenweise Bergbesteigung, für die man ein gutes und erfahrenes Team benötigt. Gemeinsam mit Aufsichtsrat, Vorstand und Belegschaft sind wir den beschwerlichen Weg bis zur Mittelstation gegangen, aber noch nicht auf dem Gipfel angekommen. Jetzt gilt es, nicht zurück in alte Muster zu fallen und die neue Unternehmenskultur basierend auf unseren vier Leitlinien weiter zu stärken.

Eine Transformation ist keine kurze Wanderung, sondern eher eine etappenweise Bergbesteigung, für die man ein gutes und erfahrenes Team benötigt.

Thomas Dippold, Mitglied des Vorstandes und CFO, SGL Carbon

Dieser Artikel ist im aktuellen Handelsblatt Journal „Restrukturierung“ erschienen.

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