Artikel aus dem Handelsblatt Journal „Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz“ vom 11.05.2023
von Christian Bräke, Prof. Dr. Jürgen A. Franke und Heinrich Stellmach
Es läuft noch erstaunlich gut in Deutschland. Aber die Zukunftsaussichten trüben sich ein. Das zeigt auch die steigende Anzahl von Sanierungsfällen und Insolvenzen. Aber unabhängig von diesen Indikatoren und Prognosen: Es ist Krisenzeit in Deutschland.
Die multiplen Krisen – ausgehend von der Pandemie über den Klimawandel bis zur Energie- und Schuldenkrise – führen zu einer neuen Komplexität und Dynamik in Märkten, die den Fortbestand von Unternehmen substanziell gefährden können.
Die lange Phase von Stabilität und Wachstum geht zu Ende. Die Zeit von Instabilität, Unsicherheit und Kontrollverlust hat begonnen. In dieser Konstellation rückt der Begriff der Resilienz ins Zentrum der Diskussion.
Resilienz als Zukunftsaufgabe
Resilienz wird häufig mit Widerstandsfähigkeit und Krisenfestigkeit gleichgesetzt. Resilienz bedeutet jedoch nicht nur Widerstandskraft, Robustheit und Stabilität gegenüber Krisen. Vielmehr ist damit die Fähigkeit gemeint, sich immer wieder neu und erfolgreich auf Krisen einzustellen, während der Krisen handlungsfähig zu bleiben und eine schnelle Erholung nach dieser Zeit einleiten zu können. Resilienz in diesem Kontext ist als fortlaufender Prozess zu verstehen.
Resilienz im Mittelstand
Nur wenige der aktuellen Krisen waren bestenfalls auf dem Radar von „Risk Management Divisions“ internationaler Konzerne. Im Mittelstand, mit der typischen Einheit von Eigentum und Leitung, übernehmen Unternehmer: innen idealerweise selbst das Risikomanagement, um die Existenz des eigenen Unternehmens langfristige zu sichern. Angesichts der großen Bedeutung des Mittelstandes in Deutschland stellt sich die Frage, wie mittelständische Unternehmen die zunehmenden krisenbedingten Risiken und Herausforderungen immer wieder „meistern“ und somit gut durch und aus den Krisen kommen können.
Dieser Fragestellung widmet sich eine aktuelle Studie, die von der Hochschule Osnabrück in Kooperation mit der Sparkasse Osnabrück und der Sozietät Stellmach & Bröckers durchgeführt wird. Im qualitativen Teil der Studie wurden mehr als 20 Interviews mit Expert:innen und Unternehmer:innen durchgeführt.
Status und Perspektiven
Mittelständische Unternehmen sind ausnahmslos von den verschiedenen Krisen und den davon ausgehenden Konsequenzen betroffen. Allerdings ist der Grad der Betroffenheit je nach Branchenzugehörigkeit und des jeweiligen Geschäftsmodells aus Sicht der Experten sehr unterschiedlich.
Unabhängig davon, wie stark Unternehmen von externen Krisen betroffen sind, legen diese Schocks „… die strategischen und operativen Defizite in Unternehmen schnell und schonungslos offen.“
Wesentliche Defizite und die daraus abzuleitenden Erfolgsfaktoren und Handlungsfelder zum Aufbau von Resilienz werden nachfolgend unter Berücksichtigung von Best-Practice-Beispielen erörtert.
Strategisch orientieren
Eine wesentliche Schwachstelle im Umgang mit Krisen besteht in der mangelnden strategischen Orientierung. „Es fehlt im Mittelstand oft die Zeit, aber auch die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit strategischen Zusammenhängen und Perspektiven in den von disruptiven Veränderungen geprägten Märkten …“, so ein Innovationsspezialist. Die treibenden Faktoren und Erfolgspotenziale werden somit nicht oder zu spät erkannt.
Anders das Unternehmen OVE. Der von Stephan Peters und Fritz Thormählen im Jahr 1993 gegründete Energiedienstleister bietet seinen Kunden effiziente Lösungen zur Versorgung mit Strom und Wärme.
Im Energiemarkt ist Resilienz steigerndes Handeln enorm wichtig. OVE analysiert intensiv die Marktentwicklungen und nutzt günstige Einstandspreise zur langfristigen Absicherung und als Wettbewerbsvorteil. „Wir verfolgen kontinuierlich die schwankenden Energiemärkte. Noch vor der Ukraine-Krise haben wir für unser Unternehmen sehr günstige Konditionen gesichert. Davon profitieren unsere Kunden und wir …“, sagt Stephan Peters.
Geschäftsmodelle zukunftsfähig machen
Darüber hinaus sind die Experten davon überzeugt, dass die Resilienz von Geschäftsmodellen nicht die nötige Beachtung im Mittelstand findet. „Wir reden immer häufiger mit unseren Kunden über ihr Geschäftsmodell und gehen dabei oft in Details. Allerdings ist lediglich ein Viertel unserer Gesprächspartner wirklich fit in diesem Thema.“
Nachhaltig erfolgreiche, hochresiliente Unternehmen überprüfen jedoch kontinuierlich ihr Geschäftsmodell – und das krisenunabhängig. Dabei wollen sie potenzielle Risiken und Schwachstellen erkennen und beseitigen
Ein Beispiel hierfür ist die WELLERGRUPPE, eine Automobilhandelsgruppe, die 1979 von Burkhard Weller gegründet wurde und bis heute geführt wird. In der unter enormem Transformationsdruck stehenden Branche nutzt das Unternehmen gezielt Krisen als Chance.
Burkhard Weller: „Unsere Kunden erwarten schnelle und unkomplizierte Lösungen. Hierzu investieren wir auch in diesen schwierigen Zeiten signifikant in moderne Systeme und haben u.a. die hierfür erforderlichen Digitalisierungsexperten eingestellt.“
Aktuell geht die WELLERGRUPPE den nächsten Schritt bei der Weiterentwicklung seines Geschäftsmodells in Richtung „Mobilitätsanbieter“: „In unseren Autohäusern vermarkten wir zukünftig alles, was sich elektrisch bewegt … auch elektrisch angetriebene Roller, Scooter und Motorräder“, so der Unternehmer.
Führen mit Empathie und Klarheit
Resilienz im Mittelstand wird stark von der Rolle der Unternehmensführung beeinflusst, die einen scharfen Blick für das Wesentliche haben muss.
Führung, die Empathie zeigt sowie Ruhe, Sicherheit und Zuversicht ausstrahlt, ist ein kritischer Erfolgsfaktor, um eine Belegschaft erfolgreich durch und aus den Krisen zu navigieren. Dabei ist es wichtig, gemeinsam und zeitnah Herausforderungen, Risiken und Chancen aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und somit Verständnis, Vertrauen und langfristige Perspektiven zu schaffen.
Wie erfolgskritisch Führungskompetenz ist, zeigt einmal mehr die WELLERGRUPPE indem sie bewusst die Transparenz von Zielen, Aufgaben und Ergebnisgrößen während der Corona Pandemie deutlich verstärkte. Burkhard Weller: „Unser Credo lautet „MACHEN“. Wir haben unsere Mitarbeitenden stark eingebunden und unsere Chancen und Erwartungen, aber auch die Probleme und Risiken transparent gemacht. Somit konnten wir die internen Veränderungen in der Corona-Krise umsetzen. Dafür hätten wir in normalen Zeiten, wenn überhaupt, mind. 3 Jahre benötigt.“
Krisenzeiten als Chance nutzen
Angesichts der Komplexität der heutigen und künftigen Krisen sind mittelständische Unternehmen gefordert, ihre Lernfähigkeiten nicht nur zur Weiterentwicklung ihrer Resilienz, sondern auch in der Kombination mit dem Streben nach Effizienz als komplementäre Größe zu verstehen.
Insgesamt muss Resilienz als kontinuierlicher Prozess bzw. Teil der Führungs- und Unternehmenskultur und nicht als einmaliger Kraftakt zur Existenz- und Liquiditätssicherung verstanden werden.
Wollen Unternehmen dauerhaft ihre Widerstands- und Zukunftsfähigkeit steigern, müssen sie die aufgezeigten Erfolgsfaktoren pro-aktiv angehen und beherrschen – von der frühzeitigen Antizipation markt- und kundenorientierter Entwicklungen bis hin zur Stärkung ihrer strategischen und operativen Excellenz.
Nachhaltig erfolgreiche, hochresiliente Unternehmen überprüfen kontinuierlich ihr Geschäftsmodell – und das krisenunabhängig.
Christian Bräke, Bereichsleiter Firmenkunden,
Prof. Dr. Jürgen A. Franke, Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften BWL & Management, Hochschule OsnabrückSparkasse Osnabrück
Heinrich Stellmach, Rechtsanwalt, Stellmach & Bröckers Rechtsanwälte PartGmb
Dieser Artikel ist im aktuellen Handelsblatt Journal „Energiewirtschaft“ erschienen.
Das vollständige Journal können Sie sich hier kostenlos herunterladen:
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