Probleme und Alternativen des Carve-out im Automotive Sektor

Probleme und Alternativen des Carve-out im Automotive Sektor

von KPMG: Peter Wiegand, Partner, Global Head of Automotive Restructuring,
Michael Clauß, Senior Manager, Automotive Restructuring

Die Automobilindustrie, sowohl OEMs als auch Zulieferer, sind derzeit von zahlreichen Herausforderungen betroffen – unter anderem von technologischen Veränderungen durch den Fokus auf die E-Mobilität, Überkapazitäten, strengeren Umweltauflagen, der angestrebten Dekarbonisierung usw.

Hinzu kommen die Auswirkungen von Covid-19, wie z.B. Lieferengpässen bei wichtigen Vorprodukten wie Chips, sei es aufgrund eines gleichzeitigen Anstiegs der weltweiten Nachfrage nach der Pandemie oder eines vorübergehenden Ausfalls der entsprechenden Lieferanten oder der Lieferketten, auch auf Grund weiterer regionaler Probleme.

Diese in groben Ansätzen umrissenen Herausforderungen zeigen wesentliche Treiber für die Durchführung von Carve-outs von Unternehmen in der Automobilindustrie auf: Fokus auf das angestrebte Kerngeschäft und die den damit verbundenen Zukunftsthemen. Damit einher geht die Notwendigkeit, diese Veränderungen finanziell tragen zu können und mit entsprechenden Managementkapazitäten zu begleiten.

Im Grundsatz ist die Geschäftsentscheidung für einen Carve-Out eine Fundamentale, unabhängig davon ob nun ein oder mehrere Geschäftsbereich(-e) / Unternehmen aus der bestehenden Struktur herausgelöst werden soll(-en). Zusätzlich gewinnt das Thema an Bedeutung, wenn die Unternehmensbereiche letztlich veräußert werden sollen, um (zusätzliche) finanzielle Spielräume für die Transformation der künftigen Kernaktivitäten zu schaffen.

Es ergeben sich mit den mit einem Carve-out verbundenen Einflussfaktoren zahlreiche Implikationen und Herausforderungen.

Zeitdruck

Zum Tagegeschäft der Unternehmensleitung kommen aus Carve-out-Aktivitäten zahlreiche neue Punkte hinzu, welche die Kapazität des Managements zusätzlich beanspruchen, z.B. Fragen der Unternehmensführung, aber auch der notwendige Dialog mit Arbeitnehmervertretern i.V.m. dem Wirtschaftsplan. In Ergänzung dazu sind häufig weitere Mitarbeitergruppen und Führungsebenen involviert, welche die o.g. Transformationen leisten sollen.

Passendes Timing

Zum Zeitdruck kommt in der Regel die Frage nach dem idealen Zeitraum (sog. Window of Opportunity) hinzu. Zu frühe Aktivitäten werden u.U. am Markt bekannt und entfalten ggf. Wirkung auf das Tagesgeschäft oder erzeugen ungewollte Aufmerksamkeit im Markt. Werden die Aktionen für einen Carve-out zu spät begonnen, kann dies die Attraktivität der angestrebten Transaktion verringern.

Auswirkung für das verbleibende Geschäft

Insbesondere in der Automobilindustrie wird das intensive Geflecht von Geschäftsbeziehungen zwischen den Akteuren beeinflusst. Aus Sicht eines Abnehmers, z.B. eines OEMs, sind die Punkte der Versorgungssicherheit von fundamentaler Bedeutung, u.a., ist die Einhaltung von Lieferverpflichtungen Just-in-time oder auch eine Vorratshaltung in Richtung der Abnehmer und für das Ersatzteilgeschäft in der Zukunft zu sichern. Ebenso bedeutsam sind die Zertifizierungen des Carve-out-Objektes. Es muss transparent gemacht werden, inwieweit die bestehenden Zertifizierungen/Freigaben davon beeinflusst werden oder ggf. sogar erneuert werden müssen, insbesondere wenn im Rahmen des Carve-out auch Verlagerungen geplant sind.

Finanzielle Stabilität des Carve-out Objektes

Es ist zu klären, ob der Finanzierungsumfang des Carve-out Objektes ausreicht und ebenso die Stabilität der verbleibenden Gesellschaft ausreichend gesichert ist. Dies wird in der Regel ebenfalls zahlreiche Auswirkungen nach sich ziehen, z.B. auf Vorfinanzierung von bestehenden oder neuen Geschäften. Sollte es zu einer Insolvenz in der zeitlichen Nähe des Carve-outs oder nach dem Übergang an einen anderen Eigner kommen, besteht das Risiko, dass die gesamte Transaktion scheitert, durchaus auch im Nachhinein mit einem längeren Zeithorizont.

Veränderungen im Stakeholderkreis

Neben den bereits aufgeführten Punkten beeinflusst ein Carve-out auch den Kreis und die Ziele der betroffenen Personen- und Unternehmenskreise. Aus Tochter,- Schwesterunternehmen können Wettbewerber mit entsprechenden Auswirkungen entstehen.

Zwischenfazit – Unsere Erfahrung zeigt, dass demnach jeder Carve-out-Fall sehr individuell zu betrachten ist – zu den bereits genannten Implikationen können zahlreiche weitere auftreten.

Wurden durch das Management des Unternehmens und meist deren Berater im konkreten Fall die Implikationen zusammengetragen und analysiert, kommt es in den meisten Fällen zur Diskussion der möglichen Alternativen.

Im Wesentlichen werden folgende Alternativen, zum Teil parallel, diskutiert und analysiert:

  1. Sanierung des Unternehmensteiles in der bestehenden Unternehmensstruktur, bis die Kapitalmarktfähigkeit hergestellt wird oder eine ausreichende Verkaufsfähigkeit erreicht wird. Im Rahmen dieser Arbeiten kann der dann später verfolgte Carve-out mit vorbereitet werden.
  2. Auf- und Ausbau der Zusammenarbeit mit einem geeigneten Partner für das jeweilige Geschäft. Der Unternehmensteil/Geschäftsbereich verbleibt zumindest partiell in der bestehenden Unternehmensstruktur
  3. Liquidation des betroffenen Geschäftsbereiches und aller damit einhergehenden rechtlichen Verpflichtungen. Dies ist ein sehr weitreichender Schritt. Er bildet aber zugleich oftmals die Untergrenze im Rahmen des Vergleichs der Alternativen und stellt im Gegensatz zu den Alternativen die volle eigene Handlungsfähigkeit sicher.

Eine grundsätzliche Aussage zur Reaktion von Stakeholdern zu den Alternativen ist nicht per se möglich, da die Kenntnis der Zielsetzung der Stakeholder und die jeweilige individuelle Situation mitberücksichtigt werden müssen.

Zusammenfassend zeigt sich, dass sehr oft ein Verkauf von Unternehmensteilen in einer frühen Phase von Transformationen ins Spiel gebracht wird. Jedoch auch, dass die Auswirkungen eines geplanten Carve-outs und dessen Umsetzung im Vergleich zu den Alternativen mit betrachtet werden sollte. Die gilt insbesondere für Industrien, die wie die Automobilindustrie sehr starke verflochtene Lieferbeziehungen aufweist. Erst diese Gegenüberstellung ermöglicht es eine fundierte Einschätzung zur Vorteilhaftigkeit eines Carve-outs zu treffen.