Mitbestimmung in der Krise

Thomas Schlomski

Warum die Zusammenarbeit der Betriebsparteien in der Krise einen Paradigmenwechsel braucht

Artikel aus dem Handelsblatt Journal „Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz“ vom 11.05.2023

von Thomas Schlomski

Die Doppeldeutigkeit des Titels springt sofort ins Auge. Die multidimensionalen Krisen unserer Zeit fordern Unternehmen, Betriebsräte und Gewerkschaften gleichermaßen heraus, ihre Rolle neu zu definieren. Die klassischen Instrumente – Beschäftigungssicherung gegen Zugeständnisse – reichen längst nicht mehr aus. Wir müssen technologisch wieder auf die Überholspur.

Krise ist ein produktiver Zustand

Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen – das war schon der Ansatz von Max Frisch im letzten Jahrhundert. Das klingt im Text einfacher, als es in der Realität ist. „Den Beigeschmack der Katastrophe nehmen“ gelingt auch nicht durch Aussitzen oder Aufschieben, wie wir es derzeit in der Automobilindustrie und bei ihren Zulieferern schmerzlich erfahren müssen. Es bedarf umfassender und nachhaltiger Veränderungen – einer Transformation.

Transformation ist selten einfach und schmerzfrei. Widerstände und Konflikte können entstehen, wenn Mitarbeitende, Kund:innen oder Partner:innen von Veränderungen betroffen sind oder sich verunsichert fühlen. Eine erfolgreiche Transformation erfordert zudem eine gute Kommunikation, Partizipation und Kooperation aller Beteiligten.

Transformation heißt Neuerfindung

Eine Neuerfindung erfordert eine neue Strategie, neue Geschäftsmodelle, neue Organisationsstrukturen und eine neue Unternehmenskultur.

Erfolgreiche Transformationen setzen nicht nur auf die strategische Weitsicht des Top-Managements und seiner Berater:innen, sondern integrieren die Impulse der Mitarbeitenden sowie der Mitbestimmungsgremien. So wird die Transformation zu einem Projekt, das von einer breiten Basis im Unternehmen getragen wird. Der dafür notwendige Paradigmenwechsel könnte aufeinander aufbauend wie folgt aussehen:

  1. Frühzeitiger konstruktiver Austausch zwischen dem Top-Management und den Betriebsräten über die Transformationsmöglichkeiten. Auch dann, wenn es „nur“ Ideen und noch keine fertigen Konzepte sind. Die Basis der erfolgreichen Transformation.
  2. Gemeinsames Verständnis der Betriebsparteien über die Zukunft, den Weg dorthin und den dafür notwendigen Qualifizierungsbedarf.
  3. Öffnung von Lösungskorridoren auch jenseits der klassischen Rollenverteilung der Betriebsparteien.
  4. Die Geschwindigkeit des Handelns und vor allem der konkreten Umsetzung (!) hält mit den externen Erfordernissen Schritt.
  5. Positive und transparente Kommunikation der Veränderungen im Rahmen des Transformationsprozesses nach innen und ggfs. auch nach außen.

In der Transformation müssen sowohl das Management als auch die Betriebsräte und Gewerkschaften mutig sein. Sie müssen raus aus der Komfortzone und dem alten Denken; auch dorthin, wo ihnen der Wind um die Ohren pfeift, wo es manchmal für beide Seiten ungemütlich wird.

Insgesamt führt der Paradigmenwechsel zu einem offenen und pragmatischen Dialog zwischen den Betriebsparteien – quasi zu einem Transformationsdialog. Dieser mutige Dialog „auf Augenhöhe“ ist das Gerüst für eine erfolgreiche Umsetzung. Eine Umsetzung, die sich durch Schnelligkeit und Flexibilität auszeichnen muss, ohne dabei das Ziel aus den Augen zu verlieren.

Warum brauchen wir jetzt den Paradigmenwechsel?

Beispiel Automobilzulieferindustrie: Die Welt um uns herum ist schneller geworden – schneller, als wir es erwartet haben! Ohne alten Ballast hat man außerhalb Deutschlands bereits Antworten auf Fragen gefunden, die wir uns noch gar nicht gestellt haben. Mitarbeitende machen sich Gedanken. Die Babyboomer fragen sich, ob es für sie noch bis zur Rente reicht. Die Jüngeren gehen einfach oder bewerben sich gar nicht erst.

Jeder hat das Recht auf einen Arbeitsplatz, nur nicht auf den aktuellen!

Die im Unternehmen vorhandenen Kompetenzen sind die Grundlage für die Entwicklung von Lösungskorridoren. Dies ist zunächst vergleichbar mit einer Reise ohne konkretes Ziel, aber jeder kennt zumindest die Richtung. Aus Lösungskorridoren entwickeln sich Chancen; Chancen, die sukzessive mit neuen Geschäftsmodellen unterlegt werden können. Neue Geschäftsmodelle machen Lust auf Zukunft, erzeugen Motivation und sind die Basis für die notwendige Veränderungs- und Qualifizierungsbereitschaft der Mitarbeitenden. Eine strategische Personalplanung kann konkrete Perspektiven aufzeigen, weil man weiß, wie lange das „Alte“ noch läuft und wann das „Neue“ an den Start geht.

Soweit die Theorie. Und die Praxis? Eine Kostprobe: Ein Automobilzulieferer definiert seine Kompetenzen im Rahmen des Transformationsdialogs wie folgt: „Komplexe Ideen für technische Produkte von ersten Prototypen in eine stabile Serienfertigung überführen“. Ein Start-up hat die Ideen und erste Prototypen für einen Elektrolyseur – die Basis für grünen Wasserstoff. Gemeinsam beschließen sie, in die Serienproduktion zu gehen. Technologisch zurück auf der Überholspur. So geht Transformation!

Transformation ist selten einfach und schmerzfrei.

Thomas Schlomski, Geschäftsführer der Kemper & Schlomski GmbH, und Dozent an der HTW Dresden

 

Dieser Artikel ist im aktuellen Handelsblatt Journal „Energiewirtschaft“ erschienen.

Das vollständige Journal können Sie sich hier kostenlos herunterladen:

Zum Journal