Mehrdimensionale Krise – gibt es hier überhaupt eine „Orientierung“?

Dr. Burkard Göpfert

Artikel aus dem Handelsblatt Journal „Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz“ vom 11.05.2023

von Dr. Burkard Göpfert

Warum diese Überschrift? So einfach die Analyse – denn an Krisen und Krisenursachen mangelt es derzeit beileibe nicht – so schwierig die Frage.

Zunächst kann man fragen, ob all die Krisen wirklich „mit dem Einmarsch in die Ukraine“ quasi „aus heiterem (!) Himmel“ kamen. Denn der „geliehene“ Friede – Verteidigungskosten nach den USA verlagert oder vernachlässigt, Energiekosten mit geschlossenen Augen künstlich niedrig gehalten, Supply Chain Risiken mit ebenso verbundenen Augen vor den Krisenherden der Welt und vor Menschrechtsfragen verdeckt und – last, but not least – ein seit 40 Jahren bekanntes Demographie- und Zuzugsproblem ausgesessen – erscheint im Nachhinein wie gesamtgesellschaftliche Naivität.

Der Krieg – und der Krieg ist als Wirtschafts-, Verteilungsgrundsätze- und Wohlstandskrieg längst global – macht diese Schwächen nun alle auf einmal sichtbar. Die Krisenursache liegt viel weiter zurück und könnte in der Hybris der Sieger des „kalten Krieges“ liegen.

Orientierung in Krisen

Wie dem auch sei, Krisen sind auch und gerade dazu da, dass der Steuermann / die Steuerfrau, besser: das Team auf der Brücke, sich beweisen kann. Denn mit den verbundenen Augen der Mannschaft alleine an den singenden Felsen vorbeizusegeln, hat schon damals nicht geklappt. Orientierung heißt hier, einige Grundtatsachen nicht nur „bei Fahrt durch den Nebel“ zu sichten, sondern klar zu erkennen:

1) Die Geschichte kennt kein „Zurück“ und der Traum vom „Ewigen Frieden“ ist vielleicht etwas für Philosophen.

(2) Unsere Gesellschaftsform ist im Wettbewerb nicht mit Diktaturen, sondern mit Weltregionen, die sich schneller richtig aufstellen.

(3) An der Supermacht USA und dem nordamerikanischen Raum wird auch in den nächsten Jahrzehnten technologisch, militärisch, gemessen an der Zahl der Verbraucher und an der Geschwindigkeit der Entwicklungen kein Weg vorbeiführen. Kein Wunder, dass sich deutsche Unternehmen gerade dabei überbieten, Standorte in den USA zu errichten.

(4) Energie, Rohstoffe und Güter werden auf Dauer nicht mehr „billig“ sein.

(5) Die „sozialen“ Kosten dieser Güter – Stichwort Menschenrechte – werden massiv steigen und gerade in einer von Sozialen Medien geprägten Welt vielleicht sogar entscheidend werden.

(6) Jegliche Form von „Besserwisserei“ wird uns als Post-Kolonialismus angekreidet werden. Bescheidenheit, Konzentration auf das Wesentliche, Top-Produkte und Forschungsfreiheit werden zentrale Elemente werden – Zöpfe wie ein übertriebenes Datenschutzrecht oder undurchschaubare Mitbestimmungsprozesse müssen auf das Wesentliche reduziert werden. Europa kann sich nicht – wie derzeit – als Streik-Standort gefallen.

(7) Öffentliche Mittel werden praktisch nur noch in das Soziale (Erhalt des Inneren Friedens) und das Militärische (Sicherung des Äußeren Friedens) gehen; das ist im Übrigen schon seit Alters her der Staatszweck. Alles andere muss sich im Wettbewerb beweisen können. Die Subventionitis der EU und ihrer Mitglieder ist dabei eher gefährlich, denn sie verzerrt Marktchancen, ähnlich wie das übrigens in anderen Ländern die Korruption tut.

(8) Einwanderung alleine wird uns nicht helfen. Wir müssen auch eine ganz andere Form der Willkommenskultur entwickeln. Hat sich schon einmal jemand gefragt, wie unsere von „deutschen Tugenden“ (und wenn es auch nur die deutsche Sprache als Betriebssprache ist) geprägte Industriekultur auf Talente aus dem Ausland wirkt? Eine zentrale Rolle werden Inklusion und Integration spielen (was eben nicht mit „Multikulti“ oder Gendersternen zu erledigen ist).

Damit stehen wir vor einem gesamtgesellschaftlichen Aufbruch. Denn der Krieg in der Ukraine ist ein Systemwettbewerb, den wir von Innen heraus gewinnen müssen.

Der Krieg in der Ukraine ist nicht die Ursache der mehrdimensionalen Krise, aber er legt die existierenden Schwächen der Wirtschaft offen.

Dr. Burkard Göpfert LL.M., Partner, KLIEMT.Arbeitsrecht Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB

Dieser Artikel ist im aktuellen Handelsblatt Journal „Energiewirtschaft“ erschienen.

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