
Daniel Friedemann Fritz, Rechtsanwalt, Partner bei Dentons Europe LLP
Die Statistiken für das vergangene Jahr 2021 bieten nur ernüchternde Ergebnisse. Obwohl sich das am 1. Januar 2021 in Kraft getretene Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen („StaRUG“) in der Theorie, sprich der bisherigen rechtswissenschaftlichen Literatur hoher Beliebtheit erfreut, scheint es auf den ersten Blick in der Sanierungspraxis noch nicht ganz angekommen zu sein. So wurden bis zum heutigen Tag etwa 10 Kommentare und hunderte Aufsätze zum StaRUG veröffentlicht. Es wurden ganze Podcasts und Diskussionsrunden nur zu diesem Thema ins Leben gerufen. Demgegenüber wurden im gesamten Jahr 2021 an den bundesweit 22 Restrukturierungsgerichten gerade einmal 24 Restrukturierungsvorhaben angezeigt. Die Anzahl der angezeigten Restrukturierungsvorhaben bleibt damit erheblich hinter der Anzahl der Aufsätze zum StaRUG zurück. Ist das StaRUG also gescheitert?
Eine Krise – gleich ob Klimakrise, Finanzkrise oder eben Unternehmenskrise – bedarf in aller Regel einer Vielzahl von Maßnahmen, die erst in ihrem einheitlichen Zusammenwirken erlauben, die Krise zu überwinden. Die eine, goldene Lösung wird es wohl nur in den aller seltensten Fällen geben. So ist auch das StaRUG kein Allerheilmittel für Unternehmenskrisen. Der präventive Restrukturierungsrahmen war vielmehr als zusätzliches Instrument im Werkzeugkasten der Sanierungsoptionen gedacht, welches eine zuvor bestehende Lücke schließen sollte. Denn es fehlte in der Tat an einem Mechanismus, das dem zwar in der Krise befindlichen, aber noch nicht insolventen Schuldner ermöglichte, die Krise bereits im vorinsolvenzlichen Stadium wirksam zu bekämpfen. Nicht selten verhinderten einzelne Gläubiger eine mit dem Rest der Gläubigergesamtheit einvernehmliche Restrukturierungslösung (sog. „Akkordstörer“). Dem Schuldner blieb daher oft nichts anderes übrig, als weiterhin den Weg zum Insolvenzgericht zu gehen und dabei auch oft seinem Unternehmen bei seinem Untergang zuzusehen. Gerade hier soll das StaRUG mit seinen Instrumenten eingreifen, indem es einer bestimmten Mehrheit von Gläubigern ermöglicht, einzelne Gläubiger zu überstimmen und gegen deren Willen sachgerechte Restrukturierungslösungen durchzusetzen. Doch welchen Nutzen bringt ein Instrument im Werkzeugkasten der Sanierungsoptionen, wenn es scheinbar nicht genutzt wird?
Die Zahlen der vorgenannten Statistiken sind indes mit Vorsicht zu genießen. Aus ihnen gehen die wohl zahlreichen Fälle, in denen das StaRUG einzelnen Gläubigern „drohend“ entgegengehalten und daraufhin doch noch eine einvernehmliche Lösung gefunden wurde, nicht hervor. Gerade hierin liegt kein Scheitern des StaRUG, sondern eher ein von der Statistik nicht erfasster Erfolg des StaRUG. Im Übrigen benötigt jedes neu gesetzte Recht in aller Regel eine etwas längere Zeit, bis es sich in einer neu auszurichtenden Praxis entfalten kann. Das anschaulichste Beispiel im Insolvenzrecht hierzu dürfte etwa die Einführung des Insolvenzplanverfahrens (§§ 217 ff. InsO) in die Insolvenzordnung im Jahre 1999 sein. Auch hier bedurfte es zunächst einiger Zeit, bis sich die Praxis diesem „Fremdkörper“ annahm. Heute ist das Insolvenzplanverfahren als Sanierungsoption innerhalb eines Insolvenzverfahrens nicht mehr hinwegzudenken.
Im Ergebnis ist also zu erwarten, dass das StaRUG – wenn auch im Verborgenen – weitaus häufiger zur Anwendung kommen wird, als es die Statistik vermuten lässt. Das letzte Wort zum StaRUG ist daher noch lange nicht gesprochen. Und dass es als Drohkulisse bestens geeignet ist, wird immer öfter berichtet.