Gewerbeimmobilien und die Baubranche – Probleme vor und nach der Insolvenz

Artikel aus dem Handelsblatt Journal „Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz“ vom 11.05.2023

von Dr. Elske Fehl-Weileder und Prof. Dr. Michael Grote

Über Gewerbeimmobilien braut sich ein perfekter Sturm zusammen. Bereits seit etwa zwei Jahren gibt es im chinesischen Immobiliensektor erhebliche Schieflagen. Am prominentesten ist der Zahlungsausfall bei Evergrande, dem mit über 300 Milliarden US-Dollar verschuldeten zweitgrößten chinesischen Immobilienentwickler. Andere Entwickler dort kämpfen mit ähnlichen Problemen, ausgelöst durch ein zu großes Angebot. Aber diesmal sind die Probleme kein regional begrenztes Phänomen, sondern tauchen in verschiedenen Konstellationen über den Globus verteilt als “furchtbares Fünfeck” auf:

Steigende Zinsen sorgen für Wertverfall von Immobilien

Die westliche Welt kämpft mit dem abrupten Zinsanstieg, mit dem die Zentralbanken die – aufgrund der Folgen des russischen Einmarsches in die Ukraine – sehr schnell ansteigende Inflation bekämpfen. Dies hat  sofortige Auswirkungen auf den Wert von Immobilien, da zukünftige Erträge stärker diskontiert werden als zuvor, und die Schuldenfinanzierung deutlich teurer wird: Folgerichtig haben Vonovia und andere  Immobilienaktien in den letzten zwölf Monaten durchschnittlich nahezu 50% an Wert verloren. In diesem Zeitraum ist der DAX um über 10 Prozent gestiegen. In den USA mehren sich die Berichte über Kreditausfälle bei Büroimmobilien.

Nachfrage nach Gewerbeimmobilien geht deutlich zurück

Die Lockdowns im Rahmen der Corona-Bekämpfung haben zwei wesentliche Pfeiler der Gewerbeimmobilien stark angegriffen, nämlich Handels- und Büroimmobilien. Der Handel leidet unter der sprunghaften Verlagerung zum digitalen Einkauf – ein langanhaltender Trend, der eine deutliche Beschleunigung erfahren hat. Einkaufszentren werden im Vergleich zu 2019 mit Preisabschlägen von bis zu 50% gehandelt. Und das berühmte “homeoffice” lässt die Leerstände in den Büros hochschnellen. Beide Bereiche werden sich vermutlich weiter erholen, aber ein Zurück zu den alten Tagen wird es nicht mehr geben: Jüngere Generationen lassen sich keine 5-Tage Woche im Büro mehr vorschreiben (wenn denn überhaupt noch eine 5-Tage Woche infrage kommt). Selbst der ewige Wachstumsmarkt Logistik zeigt erste Schwächen, Amazon entlässt Personal.

Sehr stark gestiegene Bau- und Sanierungskosten

Hinzu kommen die Baukosten, welche letztes Jahr einer der wesentlichen Treiber der Inflation waren. Zusammen mit der allgemeinen Inflation, hohen Energiepreisen am Bau und Knappheiten von Mensch und Material hat dies zu einer Unsicherheit geführt, die vielerorts Neubauvorhaben sehr stark reduziert haben. Dieser Kostenanstieg betrifft auch die Möglichkeit, ältere Gewerbeimmobilien umzuwidmen oder energetisch und anderweitig zu sanieren. Häufig ist dies kaum noch finanzierbar.

Markt für Gewerbeimmobilien im Schockzustand

Ohnehin sind Immobilien weniger liquide als andere Asset-Klassen. Im Moment scheuen sich potentielle Verkäufer davor, mögliche Verluste aufzudecken und zu realisieren und halten sich daher zurück. Auf der anderen Seite reflektieren aus Sicht vieler Käufer die Preise noch nicht die neuen Realitäten. Sprichwörtlich wollen die Verkäufer die Preise von gestern, und die Käufer die von morgen. Somit ergeben sich zurzeit wenig Möglichkeiten zur Bereinigung und Umstrukturierung von Portfolien.

Eingeschränkte Kreditverfügbarkeit

Der Bankensektor hat aufgrund des sprunghaften Zinsanstiegs seine ganz eigenen Probleme, wie in den letzten Wochen und Monaten zu beobachten war. In diesem Umfeld allgemeiner Unsicherheit werden Banken vorsichtiger bei der Kreditvergabe; höhere Zinsen und mehr Eigenkapital werden gefordert. Aufgrund der skizzierten Entwicklungen sind Anschlusskredite keine Selbstverständlichkeit mehr, und schon gar nicht zu Konditionen, die zu der ursprünglichen Kalkulation passen. Dies gilt umso mehr bei fallenden Immobilienpreisen. Ein Lichtblick für Deutschland ergibt sich aus den im internationalen Vergleich eher langfristigen Kreditfinanzierungen.

Das furchtbare Fünfeck

Diese Konstellation ist ein furchtbares Fünfeck, weil sich die einzelnen Punkte gegenseitig verstärken können: Der Rückgang der Immobilienbewertung sorgt für geringere Kreditmöglichkeiten, was zu verstärkten  (Not-)Verkäufen führt, die dann die Preise weiter drücken. Die Probleme bei den (Gewerbe-)Immobilien zeigen Auswirkungen auch im weiteren Wirtschaftsgeschehen – naturgemäß zuerst in der Baubranche, und dort ebenfalls in der Restrukturierung bzw. im Insolvenzgeschehen.

Sanierung und Insolvenz im Bau

So fiel in der Baubranche im Januar 2023 der reale, kalenderbereinigte Auftragseingang um gut 20% im Vergleich zum Vorjahresmonat. Dies ist die gleiche Größenordnung wie zuletzt am Höhepunkt der Finanzkrise im Januar 2009. Damit einher geht im Januar 2023 ein signifikanter Anstieg der Gesamtinsolvenzen um knapp 30% ebenfalls gegenüber dem Vorjahresmonat – der Löwenanteil des Jahres 2022 geht dabei auf die Baubranche zurück. Neben dem Anstieg der Insolvenzzahlen sind die Auswirkungen des furchtbaren Fünfecks auch in der Restrukturierung selber zu spüren: Die Finanzierung einer Sanierung wird durch die steigenden Zinsen erschwert, frisches Geld ist nicht mehr so einfach zu bekommen wie noch vor einigen Jahren. Ist eine Betriebsimmobilie als mögliche Sicherheit vorhanden, wird diese von den Kreditgebern als weniger werthaltig betrachtet, sodass sich die darauf aufzunehmende Darlehenssumme reduziert.

Und nicht nur werden Sanierungen erschwert – auch wenn der „worst case“ Insolvenz bereits eingetreten ist, macht sich die veränderte Marktlage bemerkbar. Käufer, die ein Unternehmen aus der Insolvenz erwerben und den Geschäftsbetrieb weiterführen wollen, haben ihrerseits aus den genannten Gründen zunehmend Probleme, eine Finanzierung für den Erwerb der Betriebsimmobilie zu finden – woran der Verkauf schlimmstenfalls sogar scheitern kann und der Betrieb des insolventen Unternehmens vollständig eingestellt werden muss. Oder es wird nur ein geringer Preis für die Immobilie bezahlt, was zu einer geringeren Insolvenzmasse und damit zu niedrigeren Quotenzahlungen an die Gläubiger führt: Dies erhöht den Ausfall für die Gläubiger des insolventen Unternehmens, die höhere Forderungen abschreiben müssen.

Immobilienkrise als Treiber für Bankenkrise?

Die Schwierigkeiten im Gewerbeimmobilien-Sektor haben also durchaus Auswirkungen auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Ob sie allerdings auch eine veritable Bankenkrise auslösen können, wie teilweise befürchtet wird, scheint zweifelhaft. Zwar haben die Beispiele von Silicon Valley Bank und Credit Suisse gezeigt, wie schnell auch große Geldhäuser ins Wanken geraten können, wenn die Kunden nervös werden und es zu einem „bank run“ kommt, aber diese Fälle hatten andere Hintergründe als die Immobilienkrise. Im europäischen Vergleich ist auf dem deutschen Gewerbeimmobilienmarkt noch keine Schwemme von Verkaufsobjekten auf dem Markt zu beobachten, was auch an den längeren Zinsbindungsfristen liegen mag. So kommt es nicht zu dem Effekt, dass durch das schnell steigende Angebot die Preise noch weiter fallen und in der Folge das Angebot noch größer wird. Der perfekte Sturm dürfte also die Türme des Frankfurter Bankenviertels zwar leicht in Bewegung bringen, aber nicht umpusten.

Die Schwierigkeiten im Gewerbeimmobilien-Sektor haben durchaus Auswirkungen auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung.

Dr. Elske Fehl-Weileder, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Insolvenz- und Sanierungsrecht und Associated Partner bei Schultze und Braun
Prof. Dr. Michael H. Grote, Professor für Unternehmensfinanzierung und Leiter des Frankfurt Institute for Private Equity and M&A an der Frankfurt School of Finance & Management

Dieser Artikel ist im aktuellen Handelsblatt Journal „Energiewirtschaft“ erschienen.

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