Genügt das deutsche Restrukturierungsrecht für die Bewältigung der Pandemiefolgen?

von Prof. Dr. Stephan Madaus

Spätestens die neugewählte Bundesregierung wird im Herbst die pandemiebedingten Wirtschaftshilfen auslaufen lassen. Die Rentabilität der Unternehmen wird sich dann wieder allein durch ihren Erfolg im Markt bemessen. Soweit der Verschuldungsgrad von Unternehmen durch staatliche Hilfen in Form von Krediten, aber auch durch staatlich begünstigte Stundungen, insbesondere von Miet- und Steuerzahlungen, gestiegen ist, wird sich erweisen müssen, ob Unternehmen dieser neuen Kapitalstruktur gewachsen sind. Nicht selten wird es sich als notwendig erweisen, hier Anpassungen vorzunehmen. Die jüngsten Reformen des deutschen Insolvenz- und Restrukturierungsrechts bieten hierzu verbesserte und auch neue Handlungsoptionen: von der Sanierungsmoderation und dem gerichtlich bestätigten Sanierungsvergleich über die StaRUG-Restrukturierungshilfen bis hin zu planbaren Eigenverwaltungslösungen in der strategischen Insolvenz. Deutschland scheint also gut gerüstet, um die Pandemiefolgen aufzufangen. Ein genauerer Blick offenbart allerdings, dass dieses Bild trügen könnte. Zugleich ließe sich eine taugliche Lösung schnell implementieren.

Praxistauglichkeit des StaRUG
Zweifel an der Tauglichkeit des neuen deutschen Restrukturierungsrechts beruhen auf dessen nur zögerlichen Inanspruchnahme durch die Praxis. Während das zeitgleich in Kraft getretene neue Recht der Restschuldbefreiung nahezu ohne Zeitverzug zu einem messbaren Anstieg an Privatinsolvenzverfahren führte, wird das StaRUG kaum genutzt. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Sie liegen weniger in der oft beklagten Komplexität der Regelungen; die wenigen ersten Entscheidungen zum StaRUG zeigen, dass die Restrukturierungsgerichte diese bewältigen. Schwerer wiegen die Verstümmelungen und Auslassungen, die das StaRUG erlitten hat. Gerade Unternehmen im Einzelhandel oder im Hotel- und Gaststättenbereich, die besonders stark von den Pandemielasten betroffen sind, werden kaum Restrukturierungslösungen finden, die nicht auch eine Anpassung der Kosten aus laufenden Dauerschuldverhältnissen wie Miet-, Pacht- oder Leasingverträgen beinhalten. Das StaRUG kann hier bei Widerstand nicht helfen, ist doch das Vertragsbeendigungsinstrument im Bundestag aus dem Gesetz gestrichen worden. Dem StaRUG bleibt so nur die Hilfe bei der Restrukturierung von Altverbindlichkeiten. Diese dürfen dann aber wiederum nur aus dem Inland kommen und deutschem Recht unterliegen, da eine Wirkungserstreckung deutscher StaRUG-Pläne oder Stabilisierungsanordnungen ins Ausland derzeit keine sichere Rechtsgrundlage findet.

Der Blick ins europäische Ausland
Die Handlungsoptionen für Restrukturierungen erweitern sich schlagartig, wenn man die neuen gerichtlichen Hilfen anderer europäischer Länder auch deutschen Unternehmen in der Krise zur Verfügung stellt. So bietet insbesondere das niederländische Recht die Möglichkeit, zum Zwecke der gerechten Verteilung der Lasten einer Restrukturierung nicht nur Altverbindlichkeiten in einem Plan zu restrukturieren, sondern gemäß des Plankonzepts auch Lasten aus fortlaufenden Verträgen durch richterliche Gestaltung anzupassen. Die Nutzung solcher Handlungsoptionen auch durch deutsche Unternehmen sollte im EU-Binnenmarkt eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Die rechtlichen Grundlagen dafür sind tatsächlich leider nur für öffentliche Restrukturierungsverfahren geklärt, sofern und sobald diese im Anhang der Europäischen Insolvenzverordnung aufgenommen sind. Für die automatische Anerkennung  niederländischer Pläne und Entscheidungen in Deutschland bedarf es dann eines COMI in den Niederlanden. Für andere Restrukturierungssachen existiert aktuell keine rechtssichere Lösung. Die – inhaltlich wenig passende – Anwendung der EuGVVO hängt von einer Entscheidung des EuGH zur Reichweite der Bereichsausnahme für insolvenznahe Entscheidungen ab und auch die neuen Harmonisierungsprojekte der EU-Kommission werden diese Regelungslücke nicht schließen, zielen sie doch allein auf das Insolvenzrecht. Interessant ist insofern auch die Entwicklung in Großbritannien. Die englischen Gerichte etablieren die Anpassung von Lasten aus fortlaufenden Verträgen gerade dort, wo sie hingehört: im Restrukturierungsplan selbst. Wie ich es schon dem Rechtsausschuss empfohlen habe, sollte nicht das Gericht, sondern die Gläubiger über die Lastenverteilung einheitlich im Plan bestimmen. Im Fall einer obstruierenden Gläubigergruppe würden die etablierten Obstruktionsverbote auch für die Gruppe der Vermieter oder Leasinggeber gelten. Die englischen Gerichte verfeinern diese Anforderungen gerade für den neuen Restrukturierungsplan. Er wird so für Unternehmen aus ganz Europa interessant. Leider ist seit dem Brexit auch die grenzüberschreitende Wirkung englischer Pläne unklar. Das Lugano Übereinkommen wird nicht helfen, sodass eine automatische Anerkennung in Deutschland ausscheidet. Es bleibt nur die Anerkennung über deutsches Prozessrecht.

Welche Anpassungen im StaRUG und der InsO sind nötig?
An dieser Stelle laufen beide Rechtsentwicklungen zusammen. Eine rechtssichere Anerkennung niederländischer wie englischer Restrukturierungspläne sowie begleitender Gerichtsentscheidungen wird jenseits der EuInsVO wohl durch das nationale Recht entschieden werden und damit durch den deutschen Gesetzgeber zu regeln sein. Das deutsche Recht kennt bisher nur die Anerkennung ausländischer Insolvenzverfahren inklusive ihrer Pläne in §§ 343, 353 InsO sowie die allgemeine Urteilsanerkennung in § 328 ZPO. Eine passgenaue Regelung für neue Verfahrensformen, die jenseits einer kollektiven Insolvenz wie auch eines Zwei-Parteien-Zivilprozesses funktionieren, fehlt. Sie ließe sich schnell und unkompliziert im StaRUG, ja sogar in der InsO ergänzen. Inhaltlich könnten die Anerkennungsregeln schlicht den Modellregeln des neuen UNCITRAL Modellgesetzes für insolvenznahe Entscheidungen folgen, an deren Entstehen Mitarbeiter des BMJV maßgeblich beteiligt waren. Die Anerkennung wäre nicht mehr allein vom COMI des Schuldners in der Restrukturierungsrechtsordnung abhängig; auch andere Zuständigkeitstatbestände, insbesondere  Gerichtsstandsvereinbarungen, könnten eine Anerkennung erlauben. Zugleich wären als Anerkennungshindernis nicht mehr allein Fragen der internationalen Zuständigkeit und des Ordre Public, sondern passgenauer die angemessene Berücksichtigung der Interessen inländischer Gläubiger im ausländischen Verfahren zu prüfen.

Die Umsetzung des Modellgesetzes für Restrukturierungen bewahrt deutsche Krisenunternehmen vor den Nachteilen der Verstümmelungen des StaRUG. Sie profitieren vom Wettbewerb der Rechtsordnungen um das effizienteste Restrukturierungsrecht, ohne dass zugleich Mindeststandards des Gläubigerschutzes aufgegeben werden. Letztere können dezidiert formuliert werden, ohne die Zuständigkeitsfrage mit ihnen zu überfrachten bzw. sie auf einen Ordre-Public-Einwand zu reduzieren. Zugleich wird – idealerweise schnell – Rechtssicherheit in einem Bereich geschaffen, der für die Bewältigung der Pandemiefolgen enorm wichtig ist. ■

Prof. Dr. Stephan MadausProf. Dr. Stephan Madaus,
Lehrstuhlinhaber an der Martin-Luther-Universität
Halle-Wittenberg

 

Dieser Artikel ist im aktuellen Handelsblatt Journal „Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz“ erschienen.

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