Der Ruf nach Zukunftstarifverträgen

Ein Blick auf die Tarifrunden der IG Metall zeigt, dass Forderungen nach Zukunftstarifverträgen mit an oberster Stelle stehen. Wurde ein Zukunftstarifvertrag in einem Betrieb „durchgesetzt“, wird dieser Erfolg öffentlich angepriesen.

von Dr. Burkard Göpfert

Zukunftstarifverträge sind dabei in der Regel Haustarifverträge mit speziellen Regelungen, die nicht im Flächentarifvertrag enthalten sind und von dem sie auch abweichen können.

Zukunftstarifverträge zur Standort- und Beschäftigungssicherung
Zukunftstarifverträge sollen vor allem dem Erhalt von Standorten im Unternehmen sowie zur Sicherung der Beschäftigung der Mitarbeiter dienen. Während die Standortsicherung dabei auf die Festschreibung eines Arbeitsplatzes zumindest in einem geographischen Raum, in der Regel mit einer Mindestbeschäftigtenzahl im Jahresdurchschnitt abzielt, schließt die oft parallele Beschäftigungssicherung betriebsbedingte Kündigungen entweder aus oder stellt sie unter einen Zustimmungsvorbehalt (mit Eskalations-Regelung). Typische Regelungen zur Standortsicherung sind Festschreibungen eines Standortes bzw. zumindest eines bestimmten Mindestumkreises. Sowohl Standortsicherungen als auch Beschäftigungssicherungen enthalten Regelungen für den Fall der Nichterfüllung der Vorgaben.

Rechtshintergrund: Pforzheim (2004)
Im Rahmen der Standort- und Beschäftigungsgarantie gibt es unterschiedliche Regelungsmodelle, um den jeweiligen Anforderungen gerecht zu werden. Für Sanierungen hat die IG Metall beispielsweise schon 2004 im sog. „Pforzheimer Abkommen“ eine umfangreichere tarifliche Öffnungsklausel vereinbart. Durch diese sollen Unternehmen nicht nur in Sanierungsfällen bestehende Tariferhöhungen beziehungsweise T-Zug kürzen und Arbeitszeiten verändern können, um Sanierungsbeiträge des Gesellschafters und des Managements sowie wichtige Investitionen zu ermöglichen oder auf Fachkräftemangel reagieren zu können, sondern bereits wenn sich in einem Unternehmen die ersten Anzeichen einer Krise zeigen.

Zuvor müssen jedoch alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, die ein Tarifvertrag zur Verfügung stellt. Solche ergänzenden oder abweichenden Regelungen soll es nur geben, wenn dadurch Arbeitsplätze gesichert oder neue geschaffen werden. Der jeweilige Flächentarifvertrag bleibt damit der Standard, die Abweichung hiervon die Ausnahme. In diesem Zusammenhang wurden seitens der IG Metall klare Prinzipien für Verhandlungen bei derartigen Abweichungen formuliert. Dies schränkt eine flexible Reaktion auf wirtschaftliche Schwierigkeiten durchaus ein.

Weitere Möglichkeiten der Sanierung
Zukunftstarifverträge sind dabei nicht die einzigen Mittel zur Umsetzung von Sanierungen. Auch „eine Ebene unterhalb tariflicher Regelungen“ bestehen Bedarf und Möglichkeiten, Zukunftsvereinbarungen praxisnah umzusetzen. Neben betrieblichen Bündnissen für Arbeit (§ 77 BetrVG) sind hier vor allem Vorschläge des Betriebsrates nach § 92a BetrVG zu berücksichtigen. Bei diesen Regelungsmöglichkeiten gilt es allerdings, eine Vielzahl an Besonderheiten zu beachten. Dies beginnt bei der Frage, ob ein Arbeitgeber tarifgebunden ist, welche Regelungen günstiger sind (Stichwort Günstigkeitsprinzip) sowie ob ein Tarifvorrang (§ 87 Abs. 1 BetrVG) oder ein Tarifvorbehalt (§ 77 Abs. 3 BetrVG) einschlägig sind. Kommt man allerdings zu dem Ergebnis, dass eine Regelung nicht unter den Tarifvorrang oder den Tarifvorbehalt fällt, bieten Betriebsvereinbarungen und Regelungsabreden flexiblere Gestaltungsmöglichkeiten. Solche Vereinbarungen über die Zukunft beschränken nicht die zulässigen Änderungen am Standort, sondern gestalten gemeinsam die Grundlagen einer künftigen Entwicklung. Durch Zukunftsvereinbarungen werden Kernaussagen zur Positionierung des Unternehmens in Zukunftsthemen getroffen, es wird ein Bezug zum Standort hergestellt und Chancen und Risiken für die Beschäftigung werden herausgearbeitet. Aus diesem Prozess ergibt sich ein Standort-Leitbild. Anders als im Rahmen einer Pforzheimer Regelung können durch Zukunftsvereinbarungen auch nur generelle Vorgaben vereinbart werden. Diese können auf einen längeren Zeitraum ausgelegt werden, während sich eine Pforzheimer Regelung meist nur auf die kommenden drei bis vier Jahre bezieht.

Daneben besteht die Möglichkeit betrieblicher Vorschläge zum Standort- und Beschäftigungsschutz (§ 92a BetrVG). Der Prozess nach § 92a BetrVG untergliedert sich dabei in drei Phasen. Beginnend mit der Aufforderung zur Beratung über einen Vorschlag durch den Betriebsrat, die den Arbeitgeber verpflichtet (Phase I), über eine inhaltliche Beratung über den Vorschlag (Phase II) zu einer Stellungnahme des Arbeitgebers, beispielsweise in Form einer begründeten Ablehnung, einer Absichtserklärung oder Form eines Abschlusses konkreter Regelungsabreden oder freiwilliger Betriebsvereinbarung (Phase III).

Aktuelle Fragen
Die IG Metall versteht unter Zukunftsvereinbarung jedoch oft nur die banale Absenkung von Arbeitszeit, was Strukturprobleme noch nie gelöst hat. Es bleibt abzuwarten, ob die IG Metall tatsächlich Investitionen in Standorte, zukunftsfähige Produkte und Qualifizierungen für Beschäftigte aushandeln wird. Zur Gestaltung der Transformation in den Betrieben haben sich die Tarifparteien auf einen verbindlichen Prozess hin zu Zukunftstarifverträgen verständigt. Die Betriebsparteien müssen über die Herausforderungen der Zukunftsvereinbarungen bieten häufig eine größere Flexibilität und werden den Interessen im Unternehmen gerechter. Transformation im Betrieb beraten, wenn eine Partei das wünscht. Entsprechend des Tarifabschlusses der IG Metall in Bayern müssen Tarifvertragsparteien künftig Gespräche über Zukunftstarifverträge führen, wenn die Betriebsräte dies nach dem Scheitern eines Versuches zur Schaffung eines betrieblichen Zukunftskonzeptes wünschen. Hier wurde bereits angekündigt, dass die IG Metall das Bestehen einer entsprechenden Kooperationsbereitschaft des Arbeitgebers im Falle möglicher Anträge auf Abweichungen vom Tarifvertrag berücksichtigt. Verweigert sich demnach ein Betrieb einem solchen kooperativen Ansatz, muss er mit Vorbehalten der IG Metall rechnen, wenn er vom Tarifvertrag abweichen will. Mit dem Abschluss in der Metall-Industrie wird sich das Spielfeld aber noch einmal verändern: Reduzieren sich die Diskussionen um die Zukunft wirklich nur auf banale Arbeitsplatzabsenkungen? Wird ‚Pforzheim’ jetzt durch neue Strukturen ersetzt oder nur ergänzt? Welche Anforderungen werden künftig an einen verlässlichen Standort- und Beschäftigungsschutz gestellt und wie wird das sanktioniert? Nachdem sich die Ideen der erstreikbaren Sozialtarifverträge und des IG Metall Sonderbonuses weitgehend ‚totgefahren’ haben, kommt jetzt ganz sicher die Forderung nach einem Zukunftstarifvertrag, möglicherweise weit in die mittelständischen Strukturen hinein.

Fazit
Somit steht fest, dass Zukunftsvereinbarungen in den kommenden Jahren immer mehr an Popularität gewinnen werden und bisherige Regelungsmodelle – wie Pforzheimer Abkommen – ablösen werden. Zukunftstarifverträge stellen jedenfalls nur eine Möglichkeit der Sanierung dar. Hierbei handelt es sich darüber hinaus nur um Abweichungen vom Flächentarifvertrag, welcher der Standard bleibt. Zukunftsvereinbarungen, wie sie beschrieben wurden, bieten dabei häufig eine größere Flexibilität und werden den Interessen im Unternehmen gerechter. Es bietet sich also durch aus an, die Initiative zum Abschluss von Zukunftsvereinbarungen zu ergreifen, bevor der Wunsch nach tariflichen Lösungen zu groß wird. ■

Dr. Burkard Göpfert LL.M.Dr. Burkard Göpfert,
LL.M., Partner, KLIEMT. Arbeitsrecht

Dieser Artikel ist im aktuellen Handelsblatt Journal „Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz“ erschienen.

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