Das Insolvenzrecht in einer Zeit der Krisen

Dr. Marco Buschmann

Artikel aus dem Handelsblatt Journal „Restrukturierung“ vom 11.05.2022

von Dr. Marco Buschmann

Es gibt Beobachter der Zeitläufte, die uns sagen, dass wir angesichts der multiplen Krisen, denen wir uns gegenübersehen, unsere Vorstellung von Normalität endlich aufgeben sollen – um intellektuellen und politischen Raum für die vielen radikalen Transformationen zu schaffen, die dann empfohlen werden. Ich denke, wir tun gut daran, die Normalität der Freiheit, wenn eine Pandemielage es erlaubt, wieder in ihr Recht zu setzen. Und ich denke auch, wir tun gut daran, das Ideal einer Normalität des Friedens in Europa hochzuhalten, auch in und nach diesem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Putins. Was aber richtig ist: Wir müssen – und haben begonnen, es zu tun – Schlüsse ziehen aus unhaltbaren Lagen, die dieser Krieg bei uns politisch, militärisch und wirtschaftlich offengelegt hat. Und wir werden abfedern müssen, was er an volkswirtschaftlichen Schäden verursachen wird.

Auswirkungen von Krieg und Sanktionen auf das Marktgeschehen

Denn Knappheit und Preisanstiege bei Energie, Kraftund Rohstoffen, Lieferkettenstörungen, Kapazitätsengpässe am Transportmarkt, die dadurch weiter angetriebene Inflation und eine sich abschwächende Konjunktur werden uns alle mehr oder weniger betreffen. Ob und wie sich diese Entwicklungen auf das Insolvenz- und Restrukturierungsgeschehen auswirken werden, ist offen. Anders als vor zwei Jahren hört man heute auch nur sehr vereinzelt Forderungen nach insolvenzrechtlichen Maßnahmen wie einer Aussetzung der Insolvenzantragspflicht. Verständlich, denn zum einen waren die staatlichen Hilfsprogramme und pandemiebedingten Aussetzungsregelungen in ihrem Zusammenwirken in gewissem Sinn „übererfolgreich“. Die ergriffenen Maßnahmen haben nicht nur den Anstieg der Unternehmensinsolvenzen abgemildert, sondern diese auf ein historisch niedriges Niveau gedrückt. Es scheint mittlerweile Konsens zu sein, dass derart überschießende Wirkungen auf das Markt- und Wettbewerbsgeschehen durchaus mit Nachteilen verbunden sind. Zum anderen werden wohl die negativen Auswirkungen von Krieg und Sanktionen komplexer und inhomogener sein als die der Pandemie. Die weitere Entwicklung wird die Bundesregierung kontinuierlich beobachten und evaluieren, um schnell und angemessen reagieren zu können.

Harmonisierung des insolvenzrechtlichen Sachrechts

Dazu werden uns in dieser Legislaturperiode Vorhaben der Europäischen Kommission beschäftigen, die konkrete Schritte zur weiteren Harmonisierung des insolvenzrechtlichen Sachrechts angekündigt hat. Wir werden hier mit bewährter Umsicht agieren. Rechtsvereinheitlichung ist auch im Insolvenzrecht ein erstrebenswertes Ziel. Aber wir haben es bei zentralen Regelungen des Insolvenzrechts mit sehr unterschiedlichen Wertentscheidungen zu tun, die den nationalen Insolvenzrechten jeweils zugrunde liegen. Ein auf die marktgerechte Insolvenzbewältigung ausgerichtetes System wie das deutsche beantwortet grundlegende Fragen wie die nach der Verteilungsrangfolge anders als Systeme, denen es zuerst um den Erhalt von Unternehmen geht und die den Beteiligten zu diesem Zwecke auch gegen deren Willen Beiträge abverlangen. Gerade weil das deutsche Insolvenzrecht gut aufgestellt ist und seine Leistungsfähigkeit auch im internationalen Vergleich anerkannt ist, werden wir hier sehr genau hinsehen.

Erfahrungswert Restrukturierungsrichtlinie

Auf der anderen Seite lehrt die Erfahrung mit der Restrukturierungsrichtlinie, dass sich die mit Harmonisierungsvorhaben verbundenen Risiken und Nachteile im Rahmen von Verhandlungen auch einhegen lassen. Den damaligen Vorschlag der Kommission hatten nicht wenige in Deutschland als „Frontalangriff auf das deutsche Insolvenzrecht“ gewertet. Und doch ist es im Rahmen der weiteren Verhandlungen im Rat gelungen, auf Anpassungen hinzuwirken, die eine organische Einbettung der Neuregelungen ermöglicht haben. Und als Ergebnis der späteren Umsetzungsarbeiten lässt sich inzwischen feststellen, dass das deutsche Insolvenzrecht systemgerecht fortentwickelt und leistungsfähiger gemacht werden konnte. Es lohnt sich, konstruktiv mitzuwirken, um jene Harmonisierungserfolge möglich zu machen, die bei Wahrung der im Kern bewährten Grundsätze unseres Rechts realisierbar und wünschenswert sind.

Unabhängig von einer möglichen weiteren Harmonisierung ist das deutsche Sanierungs- und Insolvenzrecht – auch mit Blick auf den zehnjährigen Geburtstag des „Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen“ gerade Anfang März – aus meiner Sicht für die ohne Zweifel anstehenden Herausforderungen gut gerüstet.

Das deutsche Sanierungs- und Insolvenzrecht ist für die anstehenden Herausforderungen gut gerüstet.

Dr. Marco Buschmann, Bundesminister der Justiz

Foto: Steffen Kugler

Dieser Artikel ist im aktuellen Handelsblatt Journal „Restrukturierung“ erschienen.

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