Carve-Out als Sanierungsalternative?

Michael Leppek

Artikel aus dem Handelsblatt Journal „Restrukturierung“ vom 11.05.2022

von Michael Leppek

Zunächst läuten bei Betriebsräten und Gewerkschaftern die Alarmglocken, wenn von einem „Carve-Out“ die Rede ist. Sofort sind die Sorgen da, dass durch Abspaltung oder Verkauf eines Unternehmensteils Arbeitsplätze abgebaut und Beschäftigungsbedingungen verschlechtert werden könnten. Auch stellen sich Fragen nach der Weitergeltung von Betriebsvereinbarungen, der Mitbestimmung, der Tarifbindung oder der Absicherung z.B. von Betriebsrentenansprüchen.

Umfassende Informationen und größtmögliche Transparenz
Steht in einem Unternehmen eine Sanierung an, benötigen Beschäftigte und Betriebsräte bereits in dieser frühen Phase umfassende Informationen. Es geht darum, das „Warum“ hinter den Unternehmensplänen zu verstehen. Nur wenn hier bereits am Anfang Offenheit und Transparenz gegeben sind, werden sich Betriebsräte und Gewerkschaft unvoreingenommen auf einen Dialog über diese schwierigen Themen einlassen. Auch die Beschäftigten müssen verstehen, warum aus Sicht des Unternehmens eine Sanierung erforderlich und womöglich ein Carve-Out der bessere Weg ist. Hier sind frühzeitige Mitarbeiterversammlungen, Betriebsversammlungen und der Dialog der Führungskräfte mit den Mitarbeitenden geboten.

Alternativen müssen ernsthaft geprüft und beraten werden
Nicht nur, weil das Betriebsverfassungsgesetz es will, braucht es eine Diskussion und Beratung der geplanten Maßnahmen mit den Gremien der Mitbestimmung. Hier gilt es, frühzeitig die Information und Beratung in den Gremien (Aufsichtsrat, Wirtschaftsausschuss, Konzern-/Gesamt-Betriebsrat) zu führen. Dabei ist es oft hilfreich, diese Themen in Workshops zu diskutieren, um ein gemeinsames Verständnis über die Notwendigkeit zu erhalten. Gelingt dies nicht, wird der Prozess ins Stocken geraten, sich deutlich verlängern oder kann sogar komplett scheitern.

Ist ein Carve-Out wirklich die bessere Alternative?
Grundsätzlich muss davon ausgegangen werden, dass ein Carve-Out unternehmensseitig vor allem dann in Betracht gezogen wird, wenn ein Unternehmen bzw. ein Unternehmensteil in strukturelle oder wirtschaftliche Schieflage gerät oder geraten könnte. Betriebsräte und Gewerkschaften kennen über die Mitbestimmung die wirtschaftliche Lage des Unternehmens und seiner Geschäftsbereiche. Daher besteht bei einem geplanten Carve-Out immer die Angst, dass hier ein unrentables oder nicht zukunftsfähiges Geschäft abgestoßen werden soll – mit in der Zukunft negativen Folgen für die Betroffenen. Dafür gibt es genügend Beispiele:

  • Osram gliedert sein traditionelles Lampengeschäft aus und verkauft es an die chinesische Firma MLS. Am Ende schließt MLS u. a. den Standort in Augsburg mit 850 Betroffenen.
  • Siemens gliedert sein Handygeschäft aus und verkauft es an das taiwanesische Unternehmen BenQ. Nach knapp einem Jahr meldet BenQ Mobile Insolvenz an und über 3.000 Beschäftigte verlieren ihre Arbeit.

Natürlich gibt es auch positive Beispiel wie die Ausgliederung der Spezialchemiefirma Lanxess aus dem BayerKonzern. Allerdings bleiben die Negativbeispiele hängen und zeigen, dass ein Carve-Out nicht automatisch positiv für die Beschäftigten ist.

Ernsthafte Prüfung von Alternativen
Gerade, wenn ein Unternehmen oder ein Geschäftsbereich eines Unternehmens in einer wirtschaftlich oder strukturell schwierigen Situation ist, sollte umso mehr Kraft und Zeit in die Prüfung von Alternativen gesteckt werden. Denn zumindest aus Beschäftigten- und Mitbestimmungssicht stellt sich nicht die Frage, ob ein CarveOut besser als eine Sanierung ist.

Meist findet der Carve-Out ja genau deswegen statt, weil es einen Sanierungsbedarf im Unternehmen oder in Teilbereichen gibt. Also stellt sich aus dieser Perspektive eher die Frage, ob die Sanierung im „alten“ oder im „neuen“ Unternehmen stattfindet. Damit denken Betriebsräte und Beschäftigte über den Zeitpunkt des Carve-Outs hinaus – während das Unternehmen vielleicht eher über mögliche Verkaufserlöse zur Stärkung des verbleibenden Geschäftes nachdenkt.

Genau deswegen müssen alle Alternativen wie z. B. eine Sanierung des Geschäftsbereiches im bestehenden Unternehmen und evtl. „Solidarbeiträge“ der wirtschaftlich erfolgreichen Geschäftsbereiche auf den Tisch. Auch sollte untersucht werden, wie der für den Carve-Out vorgesehene Bereich durch Investitionen zukunftstfest gemacht werden könnte. Und oftmals wird diskutiert, ob der entsprechende Geschäftsbereich durch Einsparungen und ggf. Beiträge der Beschäftigten bis hin zu einem Arbeitsplatzabbau nicht in Eigenregie wieder fit gemacht werden kann. Dies bedarf natürlich entsprechender Vereinbarungen mit der Mitbestimmung und vor allem Zusagen gegenüber den Beschäftigten.

Ergänzungs- oder Zukunftstarifverträge statt Carve-Out?
Bisher wurden Ergänzungstarifverträge in der Regel immer dann verhandelt, wenn ein Betrieb oder Unternehmen bereits in der Krise war und wegen Personal- und Tarifkürzungen auf Betriebsräte und Gewerkschaften zukommt. Hierzu hat sich z.B. die IG Metall verbindliche Regeln gegeben. So wird solchen Verhandlungen eine wirtschaftliche Begutachtung der Lage des Unternehmens vorgeschaltet und es entscheiden die Mitglieder der IG Metall, ob und wenn ja was verhandelt und abgeschlossen wird.

In der Metall- und Elektroindustrie ist 2021 von den Tarifparteien das Instrument der Zukunftstarifverträge entwickelt worden. In Zukunftstarifverträgen handeln IG Metall und Unternehmen Investitionen in den Standort, in zukunftsfähige Produkte und in die Arbeit der Zukunft aus. Jetzt können Betriebsräte per Initiativrecht bereits vor einer Krise eingreifen und den Arbeitgeber zu Verhandlungen über die Zukunft auffordern.

Mit beiden Instrumenten kann also ein Geschäftsbereich oder ein Unternehmen mit Unterstützung der Belegschaft saniert werden, neuerdings auch ohne, dass bereits eine wirtschaftliche Schieflage gegeben sein muss. Damit manifestiert sich die Position der IG Metall, statt Ausgliederung und Verkauf erst einmal Lösungen im bestehenden Unternehmen zu finden. Das erfordert natürlich eine gute Mitbestimmungskultur und eine vorausschauende Planung auf Unternehmensseite – und letztendlich den festen Willen, gemeinschaftlich in die Zukunft gehen zu wollen.

Carve-Out ist niCht gleich Carve-Out
Sollte ein Carve-Out von den Sozialpartnern als die beste Alternative gesehen werden, stellt sich die Frage, welche Form man wählen will. Denn aus Beschäftigtenund Mitbestimmungssicht spielt es eine große Rolle, ob es ein vollständiger Verkauf oder ein Equity Carve-Out werden wird. Während das Unternehmen bei der kompletten Veräußerung aus der Verantwortung für Geschäft und Beschäftigte frei wird, bleibt bei einem Equity Carve-Out – meist in Verbindung mit einem Börsengang (IPO) – das veräußernde Unternehmen i. d. R. Mehrheitseigentümer am veräußerten Unternehmensteil und damit zumindest für einen gewissen Zweitraum weiterhin in der Verantwortung.

Aus Sicht der Mitbestimmung ist ein Carve-Out, bei dem das veräußernde Unternehmen zumindest Miteigentümer bleibt, sicherlich das präferierte Modell. Über die Miteigentümerschaft bleibt das „alte“ Unternehmen in Mitverantwortung und Mithaftung. Auch kann es die Geschicke des neuen Unternehmens mitbestimmen und getroffene Vereinbarungen zum Schutz der Beschäftigten gegenüber dem Erwerber einfordern. Egal, welche Form des Carve-Outs gewählt wird, es braucht belastbare Vereinbarungen zur Zukunftsperspektive des veräußerten Geschäftes und seiner Beschäftigten.

Hierzu zählen u. a. folgende Zusagen:

  • Standort- und Beschäftigungssicherung
  • Festschreibung von Investitionen
  • Struktur der Mitbestimmung
  • Sicherung der Tarifbindung
  • Fortgeltung bestehender Vereinbarungen und Zusagen
  • Fortführung der Ausbildung
  • Absicherung von Altersteilzeit und Betriebsrentenansprüchen

Fazit
Betriebsräte und Gewerkschaften sind keine Freunde von Ausgliederung und Verkauf. Stattdessen sollte möglichst frühzeitig gemeinsam eine Zukunftsperspektive beschrieben und umgesetzt werden. Sollte dennoch eine Restrukturierung notwendig sein, sollte diese zuallererst im Unternehmen versucht werden. Dabei müssen alle Alternativen auf den Tisch. Sollte am Ende ein CarveOut als die beste Lösung eingestuft werden, sollte eine Lösung gefunden werden, bei der das Unternehmen für seinen zu veräußernden Geschäftsbereich möglichst lang in Mitverantwortung genommen wird. Belastbare Zusagen sind dabei unverzichtbar.

Mit Zukunftstarifverträgen kann ein Unternehmen mit Unterstützung der Belegschaft saniert werden, ohne dass bereits eine wirtschaftliche Schieflage gegeben ist.

Michael Leppek, ehem. 1. Bevollmächtigter, IG Metall Augsburg

Dieser Artikel ist im aktuellen Handelsblatt Journal „Restrukturierung“ erschienen.

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