
Dorothée Fritsch, Head of Business Development & Strategy, FTI-Andersch
Die Konjunkturprognosen erreichten Ende 2022 ihren vorläufigen Tiefpunkt. Zu Jahresbeginn 2023 wurden sie, vor allem infolge der Stabilisierung der Energiepreise, zunächst nach oben – und kurz darauf wieder leicht nach unten korrigiert. Die Bewertung konjunktureller Effekte erscheint aktuell weniger greifbar als in früheren Jahren, zumal sich relevante Einflussgrößen erst im weiteren Jahresverlauf materialisieren bzw. auch darüber hinaus weiter zunehmen könnten. Zu den wesentlichsten Einflüssen zählen die in Teilen ungelöste Energiefrage, weitere Leitzinsanstiege und eine Verfestigung der Inflation.
Was bedeutet dies für deutsche Unternehmen – und wie können bzw. sollten sie sich vorbereiten?
Und welche Branchen sind hiervon aktuell besonders betroffen?
Energie: Nachhaltig gestiegenes Preisniveau
Gegenüber dem langjährigen Niveau der Jahre 2010-20 hat sich der erwartete Durchschnittspreis der Jahre 2021-27 im Bereich Strom verfünffacht, im Bereich Gas verdreifacht. Zwar können regionale Kostennachteile partiell über Effizienzvorteile ausgeglichen werden, dennoch stellt der nachhaltige Preisanstieg in Europa vor allem für produzierende Unternehmen einen Nachteil im globalen Wettbewerb dar – so lag beispielsweise der europäische Gaspreis im Februar 2023 beim 7-fachen Niveau des Durchschnittspreises in den USA.
Mittelfristig erschwert wird die Lage durch mögliche Energie-Versorgungslücken: Diese erscheinen im kommenden Winter noch nicht ausgeschlossen. Wesentliche Gründe liegen im vollständigen Entfall russischen Erdgases, dem chinesischen Nachfrageanstieg bei LNG- und Erdgasimporten sowie der Möglichkeit eines kälteren Winters. Um eine Gasmangellage zu vermeiden, müssten alle Sektoren nach Prognos-Schätzung ihren Verbrauch um >15% reduzieren. Dieses Ziel wird aktuell verfehlt.
Mittelfristig bedarf es belastbarer Versorgungskonzepte, zumal auch die deutschen EE-Ausbauziele aktuell kaum erreichbar erscheinen. LNG-Importe können den Wegfall russischen Erdgases voraussichtlich nicht vollständig kompensieren, eine Umstellung auf andere Energieträger ist häufig nicht sinnvoll oder möglich. Die Verknappung auf Angebotsseite wird zusätzlich verschärft durch einen Nachfrageanstieg im Strombereich (u.a. E-Autos, Wärmepumpen, Dekarbonisierung der Industrie).
Die Folge: Eine unsichere Versorgungslage und nachhaltig gestiegene Preise.
Investitionen in Immobilien zunehmend unattraktiv?
Die Bauwirtschaft sieht sich einerseits mit Baukostensteigerungen, andererseits mit den Folgen der gestiegenen Bauzinsen konfrontiert: Sie haben die Neubau-Aktivitäten stark gebremst, gewerbliche sowie private Bauinvestoren stellen geplante Vorhaben zurück bzw. stoßen keine neuen Vorhaben an – wie unter anderem der Blick auf die rückläufige Anzahl neuer Baugenehmigungen verdeutlicht. Aufgrund erwarteter weiterer Zinsanstiege bei anhaltend hohem Baukostenniveau ist kurzfristig nicht mit einer Markterholung zu rechnen.
Die Eintrübung trifft zudem den Markt für Bestandsimmobilien. Die Preise für Gewerbeimmobilien entwickeln sich bereits seit 2020 schwach – und zunehmend rückläufig. Seit Q3/2022 zeigt sich nun auch bei Wohnimmobilien ein negativer Trend, bedingt durch die rückläufige Anzahl an Transaktionen. Nach Jones Lang LaSalle-Angaben war das Transaktionsvolumen im 2. HJ 2022 ggü. dem Vorjahreszeitraum um 61% rückläufig (-74% in Q4/22 ggü. Q4/21).
Die insgesamt hohe Abhängigkeit von Fremdkapital führt zu erhöhter Sensitivität gegenüber Zinssteigerungen. Erwartete weitere Zinserhöhungen der FED (auf bis zu 6% Ende 2023 möglich) und EZB (bis zu 4% im Sommer) beeinflussen Immobilienpreise und Transaktionen absehbar weiter negativ.
Konsum bleibt unter Druck
Mit einem Beitrag von rd. 50% spielt der private Konsum für das BIP eine größere Rolle als die Exportwirtschaft. Trotz zunehmendem Positivtrend seit Jahresbeginn lag das Konsumklima in Q1/2023 weiterhin im deutlich negativen Bereich und weit unter den historischen Werten. Experten erwarten, dass der private Konsum einen unterdurchschnittlichen Beitrag zur deutschen Wirtschaftsleistung 2023 beitragen wird.
Insbesondere die Anschaffungsneigung verzeichnete laut ifo Institut zu Jahresbeginn keine wesentliche Erholung. Besonders Hersteller/Händler langlebiger Konsumgüter (u.a. Möbel, Elektro) sind davon negativ betroffen. Ein wesentlicher Grund liegt in den gesunkenen freien verfügbaren Einkommen infolge der sich verfestigenden Inflation.
Die Folge: Volle Lager belasten die Liquidität – Abverkäufe unter hohen Abschriften führen zu sinkenden Margen. Aufgrund einer sich weiter verfestigenden Inflation wird auch für die kommenden Monate nur eine allmähliche Erholung erwartet.
Wie können bzw. sollten Unternehmen darauf reagieren?
Eine Grundvoraussetzung für die zielgerichtete Maßnahmenergreifung ist die Herstellung hinreichender Transparenz. Um die Folgen der Preisentwicklungen bewerten und abfangen zu können, ist unter anderem die Kenntnis der konkreten Anteile der Produkte an der Wertschöpfung des Unternehmens sowie die jeweilige Rohmaterial- und Energieintensivität essenziell (DB-Betrachtung). Auf dieser Basis lassen sich weiterführende Schritte wie der aktive Umgang mit Preiserhöhungen ergreifen, dazu zählen u.a. Preisnachverhandlungen, Gleitklauseln und Hedging. Einen wesentlichen Beitrag können zudem Bedarfsreduktionen leisten, die etwa durch Optimierung der Energieeffizienz, Rekonfiguration der Wertschöpfung/des Produktangebots oder über Modifikation der Produktspezifikationen erzielt werden. Die temporären bzw. dauerhaften Auswirkungen dieser Maßnahmen müssen zugleich Bestandteil der operativen Produktionsplanung werden, ggf. abgebildet über verschiedene Szenarien, um eine bestmögliche Realisierung der Effekte durch aktive Steuerung zu ermöglichen.
Speziell die Working Capital-Optimierung gewinnt angesichts voller Lager an Bedeutung, sowohl mit kurzfristiger Wirkung (z.B. „Fire sales“, Reduzierung der Forderungslaufzeiten, Factoring) als auch mittelfristiger Wirkung. Zwar war der 2022 vielerorts zu beobachtende hohe Bestandsaufbau häufig COVID-19-Sondereffekten geschuldet, dennoch kann der Druck zum zeitnahen Abverkauf auch geschäftsmodellinhärent sein, etwa im Bereich von Gütern mit hohem Modegrad und/oder Saisonware. Speziell hier kann eine (partielle) Sortiments-Umgestaltung zur Verlängerung der Abverkaufszeiträume sinnvoll sein.
Zudem sollte eine Überprüfung möglicher Vorteile einer stärkeren Fixkosten-Flexibilisierung und Digitalisierung, u.a. zur Prozess- und/oder Preisoptimierung, erfolgen. Neben direkten Effekten auf die Preisgestaltung (etwa durch Etablierung eines Dynamic Pricings) kann eine stärkere Digitalisierung von (Teil-)Prozessen etwa im Bereich Lager- und Retourenmanagement zur Verkürzung der Transitzeiträume – und damit zur Optimierung des Working Capitals – beitragen.
Neben der Ableitung operativer Maßnahmen sind auch die Implikationen der volatilen Konjunkturlage für die Erstellung und Kommunikation der Geschäftsplanung 2023/24 zu berücksichtigen. Konkret ergeben sich daraus folgende Handlungsmaximen:
- Vorausschauend agieren
- Nebeneffekten vorbeugen
- Datengrundlage optimieren
- Annahmen hinterfragen
- (Externe) Expertise einbeziehen
- Verständnis fördern
(vgl. Schaubild)
Über die Autorin
Dorothée Fritsch ist seit über 14 Jahren in der Restrukturierungsberatung aktiv. Sie leitet den Bereich Markets & Strategy von FTI-Andersch und ist Expertin für Markt- und Wettbewerbsanalysen sowie strategische Fragestellungen.