Vom Wollen ins Machen kommen

Vom Wollen ins Machen kommen

Artikel aus dem Handelsblatt Journal „ENERGIEWIRTSCHAFT“ vom 18.01.2022

Was die Energiewende in Deutschland jetzt braucht

von Dr. Markus Krebber

Selten herrschte so große Einigkeit: Deutschland will mit aller Macht und Entschiedenheit die Energiewende vorantreiben. Dazu hat die neue Bundesregierung überaus ambitionierte Ziel definiert. Das ist gut. Ebenso hat sie beschrieben, wie auf dem Weg dahin zahlreiche Blockaden gelöste werden sollen. Das ist die Voraussetzung, um tatsächlich erfolgreich zu sein. Die großen Vorhaben wie der Ausbau der Stromnetze, der Solarparks und Windkraftanlagen ist nur hinzubekommen, wenn das Allgemeinwohl gestärkt wird und auch gegenüber Individualinteressen mehr Gewicht erhält. Das braucht Überzeugungskraft und eine gesellschaftliche Kraftanstrengung. Im Koalitionsvertrag ist das richtigerweise so angelegt. Und es entspricht dem breiten Willen der Bevölkerung, den Klimaschutz beherzt anzugehen. Auf den 1,5-Grad-Pfad zu kommen, ist keine Absichtserklärung – es ist der Arbeitsauftrag an die Politik. Und die hat verstanden, dass die 2020er Jahre die Schlüsseldekade auf dem Weg zur Klimaneutralität sind. Die Dekade, in der aus Anspruch Wirklichkeit werden muss.

Wir werden jedes Projekt realisieren, das machbar ist.

Bauen, bauen, bauen!
Um den grünen Strombedarf in Deutschland 2030 decken zu können, muss die Jahresproduktion aus Erneuerbaren Energien von aktuell rund 240 Terawattstunden auf 550 Terawattstunden gesteigert werden – je nach Szenario sogar mehr. Das heißt ganz praktisch: bauen, bauen, bauen! Die finanziellen Voraussetzungen hierfür waren kaum jemals besser: Die Kosten für Windkraftund Solaranlagen sind enorm gesunken. Investoren stehen bereit, auch große Projekte zu realisieren. Geld ist also vorhanden. Ich bin zuversichtlich, dass der Ausbau der Erneuerbaren Energien mit den angekündigten Maßnahmen den erhofften Schub bekommt. Wir von RWE jedenfalls werden jedes Projekt realisieren, das machbar ist. Bis 2030 wollen wir bis zu 15 Milliarden Euro in Deutschland investieren. Den größten Teil davon in Erneuerbare Energien, aber auch in Gaskraftwerke, die später auf Wasserstoff umgerüstet werden.

Mit dem Umstieg auf immer mehr volatilen Windund Sonnenstrom wächst der Bedarf an Speichern und gesicherter Leistung erheblich. Batterien sind ein Teil der Lösung, aber eben nur ein Teil, weil sie die Stromversorgung lediglich für kurze Phasen stabil halten können. Für längere Zeiträume sind Backup-Kapazitäten – sprich: Gaskraftwerke – nötig, die immer dann abrufbar sind, wenn anderweitig kein Strom verfügbar ist. Studien zeigen, dass durch den zeitgleichen Kohle- und Kernenergieausstieg Anlagen mit einer zusätzlichen Kapazität von insgesamt 20 bis 40 Gigawatt benötigt werden – viele schon bis 2030. Das sollte nicht missverstanden werden als Plädoyer für eine Verlängerung des fossilen Zeitalters. Im Gegenteil: Diese modernen Anlagen müssen über einen klaren Dekarbonisierungspfad verfügen und später grünen Strom produzieren, zum Beispiel durch den Betrieb mit CO2 freiem Wasserstoff, sobald dieser in ausreichenden Mengen zu Verfügung steht. Auch das steht richtigerweise im Koalitionsvertrag.

Auch hier gilt: Je schneller der Ausbau der Erneuerbaren Energien gelingt, umso seltener werden die Backup-Kapazitäten benötigt: Bereitschaft statt Betrieb. Das bedeutet zugleich, dass diese Bereitschaft vergütet werden muss. Großbritannien macht es seit Jahren erfolgreich vor, wie so etwas effizient gehandhabt werden kann. Ein neues Marktdesign ist deshalb ebenso notwendig wie Klarheit bei den Rahmenbedingungen, damit Gaskraftwerke gebaut und mittelfristig auf einen klimaneutralen Betrieb umgestellt werden können. Beides hat sich die Bundesregierung vorgenommen. Auf schnelle Lieferung ist zu hoffen.

RWE jedenfalls ist bereit, in Gaskraftwerke zu investieren, die absehbar der grünen Versorgungssicherheit dienen. Geplant ist zunächst eine Größenordnung von rund 2 Gigawatt Leistung. Vor allem unsere  Kohlekraftwerksstandorte bieten aufgrund ihrer hervorragenden vorhandenen Infrastruktur hierfür gute Voraussetzungen.

Wasserstoff – der Schlüssel für die Dekarbonisierung der Industrie
Wasserstoff ist nicht nur die Lösung für Gaskraftwerke. Vor allem ist er der Schlüssel für die Dekarbonisierung der Industrie. Sektoren wie Chemie, Stahl, Flug- und Schwerlastverkehr sind nur mit H2 auf Klimaneutralität umzustellen. Energiewirtschaft und Industrie stehen dafür in den Startlöchern. Sie können aber erst starten, wenn die notwendigen Rahmenbedingungen definiert sind – für die Produktion von grünem Wasserstoff; für die Finanzierung der Netzinfrastruktur; für Anschubförderung, die die Umstellung auf wasserstoffbasierte Produktionsprozesse ermöglicht, aber auch ganz generell für die Nutzung und für Möglichkeiten zum Import. Politik und Wirtschaft haben also richtig viel zu tun. Die gute Nachricht ist: Der Wille, diese ambitionierten Vorhaben voller Energie anzugehen, ist auf allen Seiten spürbar. Die Politik will die Rahmenbedingungen deutlich verbessern und die Unternehmen stehen bereit, um zu investieren. Beides zusammen ist der Schlüssel zum Erfolg.

Mit dem Umstieg auf immer mehr volatilen Wind- und Sonnenstrom wächst der Bedarf an Speichern und gesicherter Leistung erheblich.

Dr. Markus Krebber
CEO
RWE AG

Dieser Artikel ist im aktuellen Handelsblatt Journal „ENERGIEWIRTSCHAFT“ erschienen.

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