Versorgungssicherheit: Erneuerbare in die Verantwortung nehmen

Versorgungssicherheit und Erneuerbare Energien

Ein Gastbeitrag von Dr. Urban Keussen, Vorsitzender der Geschäftsführung, TenneT TSO GmbH

Eine Erzeugungslandschaft im Umbruch, fehlende Transportkapazitäten und die ausstehende Integration der erneuerbaren Energien – die Energiewende befindet sich mitten in einer Umbruchphase, die auch Auswirkungen auf die Gewährleistung der Versorgungssicherheit hat.

Dranbleiben und Gas geben

Zum Beispiel die abnehmende flexible Kraftwerkskapazität: Mehr erneuerbare Energien drücken die Großhandelspreise – 2014 lagen sie im Jahresdurchschnitt für eine Megawattstunde Strom zwölf Prozent niedriger als im Vorjahr. Dazu kommen Preisschwankungen über fast den ganzen Tag. Konventionelle Kraftwerke kommen in der Regel nur noch morgens und abends zum Zug, wenn weniger regenerative Energien verfügbar sind und höhere Preise entstehen können. Unter den konventionellen Kraftwerken haben Stein- und Braunkohle noch die Nase vorne; sie decken heute noch den größten Teil der Grundlast, weil beide die geringsten Erzeugungskosten haben. Gas-Kraftwerke können dagegen nur in wenigen Stunden mit einer positiven Spanne betrieben werden. Folge: Immer mehr Gas-Kraftwerke an für die Netzstabilität relevanten Standorten – also in Süddeutschland – werden still gelegt. Die flexiblen Kraftwerkskapazitäten, auf die wir bei geringer Erneuerbaren-Einspeisung zurückgreifen müssen, nehmen also ab. Und mit der von der Bundesregierung geplanten schrittweisen Reduzierung von Braunkohle-Erzeugung wird diese Entwicklung noch Fahrt aufnehmen. Nebenbei bemerkt: Ob die Überführung von Braunkohle-Kraftwerken in die Kapazitätsreserve tatsächlich Sinn macht, ist fraglich. Schließlich muss eine solche Reserve schnell abrufbar sein und diese Kraftwerke zeichnen sich eben nicht durch eine schnelle Reaktionszeit aus.

Weniger gesicherte, flexible Kraftwerkskapazität und mehr dezentrale, volatile erneuerbare Energien – was die Einen als Siegeszug der Erneuerbaren feiern, treibt den Übertragungsnetzbetreibern den Schweiß auf die Stirn. Denn dadurch steigt die Belastung für Stromnetze und Versorgungssicherheit. Besonders in Zeiten hoher Wind- und Solareinspeisung kommt es zu Transportengpässen. Als Übertragungsnetzbetreiber steuern wir mit Eingriffen in die konventionelle Erzeugung und der Abregelung von Windenergie dagegen an – Notmaßnahmen, die die Verbraucher teuer zu stehen kommen. Allein in diesem Jahr werden wir voraussichtlich deutlich über 1.000 mal eingreifen und eine Million Megawattstunden Windenergie abregeln müssen, um das Netz stabil zu halten. Dabei dauern die Eingriffe in die konventionelle Erzeugung immer länger, umfassen immer mehr einzelne Maßnahmen. Und auch die Megawattstunden Winderzeugung, die wir abregeln müssen, werden sich 2015 im Vergleich zum Vorjahr verdreifachen. Anders gesagt: Es wird immer aufwändiger, die Versorgungssicherheit aufrecht zu erhalten – und teuer für die Verbraucher, die letztlich die Kosten für diese Maßnahmen tragen.

Entspannung wird erst der Netzausbau bringen. Besonders wichtig sind dabei die Nord-Süd-Verbindungen wie die Gleichstromverbindung SuedLink, die Windstrom aus Norddeutschland in den Süden bringen kann. Hier bedeutet der neue Vorrang für Erdverkabelung, dass SuedLink neu geplant werden muss. Dass sich hierdurch die Fertigstellung der Verbindung verzögert, ist klar. Es geht jetzt darum, diesen Zeitverzug so gering wie möglich zu halten. Sicher ist, dass wir die dadurch entstehende prekäre Situation für die Netzstabilität durch zusätzliche Eingriffe und Abregelungen auffangen werden müssen. Auch im Wechselstromnetz müssen mehr Transportkapazitäten in Nord-Süd-Richtung geschaffen werden, um die Verbrauchszentren in den Regionen zu versorgen, in Niedersachsen genauso wie in Hessen und Bayern. Es ist daher zu kurz gedacht, nur den Ausbau der Erneuerbaren zu unterstützen und den Netzausbau hinten an zu stellen. Ohne entsprechende Transportkapazitäten wird der grüne Strom nicht zu den Verbrauchern gelangen können, sondern wirkungslos versickern. Energiewende kann eben nicht nur regional gesehen werden.

Deswegen sind auch die Verbindungen zu den europäischen Nachbarländern von großer Bedeutung für die Versorgungssicherheit hierzulande: Neue Verbindungen von Niederbayern nach Österreich machen die Speicherung des bayerischen Solarstroms in den Pumpspeicherkraftwerken in den österreichischen Alpen möglich. Die Seeverbindung von Schleswig-Holstein nach Norwegen öffnet den Zugang zu den dortigen Wasserkraftspeichern und die Leitung von Niedersachsen nach Dänemark verbindet die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen in Dänemark und Schleswig-Holstein mit den Lastzentren im Großraum Hamburg und in Niedersachsen.

Erneuerbare in die Verantwortung nehmen

Zwar wächst die Rolle der Erneuerbaren bei der Erzeugung – ihre Verantwortung für die Versorgungssicherheit hält damit aber noch nicht Schritt. Heute werden Systemdienstleistungen zur Stabilisierung der Stromversorgung immer noch vor allem von konventionellen Kraftwerken bereitgestellt. Hier müssen die erneuerbaren Energien schnell eine stärkere Verantwortung übernehmen. Zum Beispiel bei der Regelleistung, die zu jedem Zeitpunkt ein Gleichgewicht zwischen Stromerzeugung und Verbrauch sicherstellt: Hier liegt der Anteil der Erneuerbaren nur bei bis zu 20 Prozent. In der Regel handelt es sich um Wasserkraftspeicher vor allem aus dem benachbarten Ausland und Biogasanlagen. TenneT hat bereits über 1.000 Biogasanlagen für zugelassen, deutschlandweit können heute rund 2.500 solcher Anlagen Regelleistung liefern. Die Regelleistungsmärkte müssen weiterentwickelt und für neue Anbieter geöffnet werden. Als Übertragungsnetzbetreiber arbeiten wir an neuen Konzepten. Ergebnisse sind unter anderem die Zulassung der ersten großen Power-to-Gas-Anlage sowie eines Verbunds privat genutzter Solarstromspeicher für den Regelleistungsmarkt. Außerdem werden aktuell für Windanlagen einheitliche Kriterien erarbeitet, damit auch sie negative Regelleistung anbieten können. Daneben laufen auch Untersuchungen zur Einbeziehung von Solaranlagen.

Ein weiter Weg

Es bleibt also noch viel zu tun, bis die Versorgung mit Strom auch in Zukunft zu jeder Minute und in ausreichendem Maße sichergestellt und die Systemstabilität gewährleistet werden kann. Wir müssen jetzt alle miteinander dranbleiben und dürfen nicht auf die Bremse treten. Wir müssen Gas geben – beim Stromnetzausbau und bei der Integration der Erneuerbaren.

keussen Dr. Urban Keussen diskutiert am am 20. Januar 2015, bei der 23. Handelsblatt Jahrestagung Energiewirtschaft 2016, gemeinsam mit dem Wirtschaftsminister und weiteren Energieexperten zum Thema: „Energiewende – Stand der Dinge und Ausblick bis 2020 sowie Vision für das Energiesystem der Zukunft 2030“.

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