
Artikel aus dem Handelsblatt Journal „Energiewirtschaft“ vom 28.08.2023
von Dr. Franziska Brantner
Was uns das vergangene Jahr deutlich gemacht hat: Wer in der Energieversorgung nur auf eine und auf die auf den ersten Blick billigste Option setzt, handelt verantwortungslos. Das gilt aber nicht nur für Erdgas und Erdöl, sondern auch für die erneuerbaren Energien und die Dekarbonisierung unserer Wirtschaft. Auf beiden Feldern ist es Aufgabe der Politik, die Zukunftsindustrien hier voranzubringen, neue Lösungswege zu eröffnen, die Handlungsfähigkeit zu erweitern und auf neue Entwicklungen vorbereitet zu sein. Wir müssen den Unternehmen einen klaren Rahmen und darin ein breites Spektrum von Optionen an die Hand geben, damit sie ihre Innovationskraft entfalten und rentable und klimaneutrale Geschäftsmodelle entwickeln können. Eine der derzeit am meisten diskutierten Optionen mit dem stärksten Potenzial ist, Wasserstoff als nachhaltigen Energieträger zu etablieren. Die Wasserstoffstrategie der Bundesregierung ist deshalb sehr konkret darauf ausgerichtet, genau hier rentable Geschäftsmodelle zu ermöglichen.
Wir müssen und wir wollen klimaneutral werden, wir müssen fossile Energieträger ersetzen. Wir wollen dies mit größtmöglicher Wirkung so schnell und kostengünstig wie möglich machen. Alle Prozesse, die derzeit mit fossilen Energien laufen und Treibhausgase emittieren, müssen umgestellt werden. Idealerweise direkt elektrifiziert, weil dies mit den geringsten Umwandlungsverlusten einhergeht und damit die energetisch effizienteste Variante ist. Aber es gibt auch industrielle Prozesse, die sich nicht elektrifizieren lassen. Auch für einige Schwerlasttransporte, Schiff- und Flugverkehr und für Stromspeicher brauchen wir Alternativen zur Elektrifizierung. Wasserstoff, emissionsfrei hergestellt idealerweise aus erneuerbaren Energien in Deutschland, Europa oder in Regionen, die weltweit dafür besonders gut geeignet sind, wird dafür zentral sein. Er ist ein unerlässlicher Teil des Instrumentenkastens der Dekarbonisierung.
Zahlreiche Regierungen investieren mit Förderprogrammen und staatlich lancierten und flankierten Investitionsprojekten in die Wasserstoffwirtschaft. Deutschland hat dabei schon jetzt international eine herausgehobene Rolle. Die hier entwickelten Technologien sind weltweit gefragt, die Auftragsbücher für Elektrolyseure sind voll, wir sind neben USA und Japan führend bei Wasserstoffpatenten. Wichtig für den Markthochlauf, die Finanzierer und die Entwicklung der erfolgreichen Technologie ist insbesondere der Nachfragemarkt. Das vorhandene Knowhow, die industrielle Struktur in Deutschland und das klare Bekenntnis zur Transformation der Industrien sind massive Treiber der Entwicklung eines Marktes.
Mit unseren Instrumenten wird die Lücke zwischen Produzenten und Abnehmern geschlossen – ein Markt entsteht.
Um diese technologieoffene Sogwirkung des Marktes zu unterstützen und Investoren die größtmögliche Freiheit und Flexibilität zu lassen, haben wir im BMWK schon vor Jahren eine überwiegend nachfrageorientierte Förderpolitik angestoßen. Die starke Beteiligung an IPCEI Programmen, die Klimaschutzverträge und das internationale Auktionsmodell H2Global sind dafür zentrale Beispiele. Mit der Förderung von „Wichtigen Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse“ („Important Projects for Common European Interest – ICPEI“) fördern wir zahlreiche unternehmerische Projekte entlang der Wasserstoff-Wertschöpfungskette. Mit den Klimaschutzverträgen fokussieren wir uns auf die Dekarbonisierung der emissionsintensiven Industrie wie etwa Stahl und gleichen dort anfängliche Mehrkosten für die Umstellung auf moderne Technologien aus. Über das Doppelauktionsmodell H2Global überbrücken wir die aktuelle Preisdifferenz zwischen grünen Wasserstoffderivaten und den fossilen Alternativen und machen langfristige Abnahmeverträge und damit Investitionen möglich.
Durch die frühe Umstellung unserer Industrien auf dekarbonisierte Prozesse werden sie mittel- und langfristig wettbewerbsfähig bleiben, durch die Stärkung der Nachfrage nach entsprechenden Technologien unterstützen wir die Entwicklung derselben vor allem auch in Deutschland. Und es gibt bereits zahlreiche erfolgreiche Projekte. Zum Beispiel erreichtet die Deutsche ReGas am Industriehafen Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern eine Wasserstoffproduktionsanlage für grünen Wasserstoff mit einer Leistung von 500 Megawatt. Ab 2026 werden dort ca. 24.000 Tonnen grüner Wasserstoff pro Jahr produziert. Die TotalEnergies Raffinerie in Leuna, Sachsen-Anhalt, wird ab 2025 mit grünem Wasserstoff aus einem Elektrolyseur von VNG und Uniper in Bad Lauchstädt beliefert werden. Dies ermöglicht bis 2030 eine Reduzierung der jährlichen CO2-Emissionen um bis zu 80.000 Tonnen. Zudem arbeitet Thyssenkrupp in Duisburg daran das größte europäische Stahlhüttenwerk mit Wasserstoff klimaneutral zu machen und bis zu 3,5 Millionen Tonnen CO2 jährlich einzusparen. Und das sind nur einige von vielen Projekten, die derzeit in Deutschland mit großem Einsatz vorangetrieben werden.
Entscheidungen unter Unsicherheit erfordern Unterstützung – und Mut
Gleichzeitig sind viele wichtige Informationen im Wasserstoffmarkt, die idealerweise die Grundlage für Entscheidungen zur Regulatorik und für die Investoren wären, noch nicht ausreichend vorhanden. Technologien zur Produktion, zum Transport und zum Einsatz von Wasserstoff sind zwar bekannt, aber die Entwicklung ist extrem dynamisch. Kaum eine Technologie ist wirklich skaliert in jene Größenordnung, die für einen echten Markthochlauf gebraucht wird. Es gibt Demonstrationsanlagen und erste Investitionen in Projekte, die das Zusammenspiel der Anlagenteile in größerem Maßstab erproben sollen. Wichtige Erfahrungen bzgl. der Integration in bestehende Systeme und dem Zusammenspiel der einzelnen Elemente der komplexen Wertschöpfungsketten werden gemacht. Die Vorreiter von heute werden dabei die Technologieführer von morgen sein. Doch schon jetzt ist klar, dass kaum einer dieser Vorläufer ohne kostspielige Anpassungen der jetzt entwickelten Systeme in einen wirtschaftlichen Betrieb übergehen kann. Noch effizientere Technologien können und werden vorgestellt und auch von Wettbewerbern umgesetzt werden. Und dennoch brauchen wir die Vorreiter, die Technologieführer. Diejenigen, die die skalierten Lösungen schon heute entwickeln.
Aber wie soll das möglich sein? Große Investitionsentscheidungen unter großer Unsicherheit sind für den einzelnen Manager oder die einzelne Managerin – insbesondere in einem börsennotierten Unternehmen – schwierig. Staatliches Handeln kann hier Risiken minimieren und Investitionsentscheidungen ermöglichen. Auch auf staatlicher Seite erfordern diese Entscheidungen unter Unsicherheit Mut und Risikobereitschaft. Gleichzeitig birgt ein Nicht-Handeln und Abwarten auf vermeintlich bessere Informationen und einfachere Entscheidungen ein mindestens genauso großes Risiko, den Einstieg in einen so dynamischen Markt zu verpassen. Insbesondere beim Wasserstoffmarkthochlauf müssen wir daher mit den wirtschaftlichen, finanziellen und politischen Risiken unserer Entscheidungen umgehen können.
Strategische Koordination und Leuchtturmketten für eine verbesserte Flankierung und Förderung
Eine weitere Herausforderung der Politik liegt in der richtigen Reihenfolge der Maßnahmen. Während sich ein Markt und die dazugehörigen Wertschöpfungsketten idealerweise nach Bedürfnissen, nach Nachfrage und Angebot mit oft folgender Regulatorik entwickelt, können wir uns das bei grünem Wasserstoff nicht leisten nur darauf zu hoffen und zu warten. Angebot und Nachfrage, Infrastruktur und Regulatorik müssen gleichzeitig entwickelt werden und starten, um direkt ineinanderzugreifen. Damit das die Maßnahmen des BMWKs schaffen können, haben wir eine Koordinierung aufgebaut für alle unsere Aktivitäten, die den Wasserstoffmarkthochlauf unterstützen. Abteilungsübergreifend und interdisziplinär werden hier viel früher und breiter als üblich alle betroffenen Arbeitseinheiten zusammengebracht, um schnellere Abstimmungen zu ermöglichen und eine effiziente Nutzung der begrenzten Ressourcen sicher zu stellen. Die Flankierung und Koordination des Ministeriums wird dabei an den entstehenden Wertschöpfungsketten ausgerichtet. Die Umsetzung konkreter Gesetzesvorhaben, die Produktionsförderung, bilaterale Kooperation zum Ausbau Erneuerbarer Energien, der Hafenaus- und -umbau, die Infrastrukturentwicklung und die Forschungsförderung z.B. für Speicher – dies alles und viel mehr wird mit großem Engagement vorangetrieben. Die Vernetzung jedes einzelnen Leuchtturmprojektes in integrierte Ketten von Leuchttürmen ist eine neue Arbeitslogik. Die Leuchtturmketten werden so flankiert, dass alles ineinandergreift und die Konzepte schneller umgesetzt werden können.
Es macht uns Mut, die vielen Aktivitäten im Wasserstoffbereich und auch den Appetit auf die Chancen in diesem Markt zu sehen – nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern Europas und darüber hinaus. Grüner Wasserstoff ist eine Chance für den Klimaschutz, die Sicherheit unserer Energieversorgung und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft, die wir nutzen müssen und wollen.
Die Wasserstoffstrategie der Bundesregierung ist sehr konkret darauf ausgerichtet, rentable Geschäftsmodelle zu ermöglichen.
Dr. Franziska Brantner, Parlamentarische Staatsekretärin im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz
Dieser Artikel ist im aktuellen Handelsblatt Journal „Energiewirtschaft“ erschienen.
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