Start-Ups: Die Kraft der Großen und Agilität der Kleinen | #HBEnergie-Experteninterview mit Dr. Bastian Halecker

Start-Ups: Die Kraft der Großen und Agilität der Kleinen | #HBEnergie-Experteninterview mit Dr. Bastian Halecker

Die Kraft der Großen und die Agilität der Kleinen verbinden

Das Handelsblatt Journal im Gespräch mit Dr. Bastian Halecker, Gründer und Organisator, Start-up Tour Berlin und CEO Nestim GmbH.

Herr Dr. Halecker, Sie haben im vergangenen Jahr Start-up Tour Berlin gegründet. Wie kam es zu dieser Idee? Hat Sie Ihre Forschung zu Geschäftsmodell- Innovationen dahin geführt?

So ist es. Im Rahmen meines Dissertationsprojektes an der Universität Potsdam zum Thema Geschäftsmodellinnovation in etablierten Unternehmen ist in der Zusammenarbeit mit den Partnerunternehmen (etablierte Unternehmen aus reifen Industrien u.a. Energieversorger) die Einsicht entstanden, dass sich besonders diese Unternehmen extrem schwer damit tun, ihr bestehendes Geschäftsmodell kritisch zu hinterfragen und grundsätzlich zu erneuern.
Im Rahmen der Forschung habe ich verschiedene Innovations-Round Tables gemeinsam mit Startups und etablierten Unternehmen durchgeführt, um u.a. neue digitale und disruptive Geschäftsmodelle zu diskutieren. Dieses Zusammentreffen war für beide Seiten überaus befruchtend und es haben sich im Nachgang verschiedene Initiativen daraus ergeben. Damit war klar, dass in einem solchen Matchmaking ein großer Mehrwert gerade im aktuellen dynamischen Umfeld besteht. Das war der Ausgangspunkt für die Gründung von Start-up Tour Berlin und wurde in diesem Jahr um das Unternehmen Nestim ergänzt, welches sich auf die Erweiterung des Matchmaking-Gedankens fokussiert.

Wie können die Start-ups den großen Unternehmen denn bei der Digitalisierung helfen? Sind die Geschäftsmodelle nicht zu unterschiedlich, um sich gegenseitig zu inspirieren?

Für die großen Unternehmen ist das Wort Start-up zu einer Art Axiom geworden, welches für Neuerung bzw. Veränderung steht. Start-ups können jedoch keine Retter für etablierte Unternehemen in schwierigen Zeiten sein. Sie zwingen aber die etablierten Unternehmen aus ihrer Komfortsituation, in dem sie Bestehendes hinterfragen und schnell die neuen digitalen Technologien erkennen und für sich nutzen. Damit attackieren sie dann die bestehenden Geschäftsmodelle der Old Economy. Die Geschäftsmodelle sind dabei nicht immer gänzlich verschieden. Die Geschäftsmodelle der Start-ups basieren im Gegensatz zu den Geschäftsmodellen der Etablierten auf einer Philosophie, die auf Prototyping und Lean Start-up basiert mit 100%iger Fokussierung auf den Kunden. Die Geschäftsmodelle entstehen meist auf der grünen Wiese oder werden einfach kopiert. Zudem ist die Organisation mit einer Teamgröße von wenigen Leuten sehr agil und kann sich schnell anpassen. Ein weiter Unterschied besteht in der Fokussierung. Hierbei geht es darum, das Geschäftsmodell auf eine Kernfunktion auszurichten, die (im ersten Schritt) möglichst ein einzelnes Problem einer spezifischen Kundengruppe löst.

Und was haben die Großen von den Kleinen? Welche Vorteile sehen die Start-Ups, wenn sie sich mit den großen Unternehmen austauschen und oder sogar mit ihnen kooperieren?

Ein Hauptanliegen bei unser Matchmaking- Arbeit ist, dass beide Seiten einen Vorteil von einer Zusammenarbeit haben. Demnach kann ein Start-up von den Marktzugängen, Vertriebswegen und der Marke des Etablierten profitieren. Zudem steht in der Regel eine große Erfahrung im Bereich Skalierung und Internationalisierung gepaart mit einem soliden Finanzpolster zur Verfügung. Das etablierte Unternehmen greift im Gegenzug auf die innovativen Ideen und Vorgehensweisen des Start-ups zu und profitiert von der Agilität und Experimentierfreudigkeit der Gründer. Die Kooperation zwischen Groß und Klein hat dabei nicht immer gleich etwas mit Beteiligungen oder Übernahmen zu tun. Viel mehr gilt es, in kleinen Schritten eine sinnvolle Schnittmenge zu identifizieren und für beide Seiten zu nutzen, sodass am Ende neue gemeinsame Geschäftsmodelle oder gänzlich neue Ecosysteme geschaffen werden.

Wie wird Deutschland in zehn Jahren aussehen? Werden durch die Digitalisierung noch mehr Startups in allen Bereichen entstehen? Oder werden die etablierten Unternehmen bei der Digitalisierung so aufholen, dass Start-ups überflüssig werden?

Wir sollten als erstes verstehen und uns klar machen, dass die Digitalisierung bereits Business as usual ist und es nur noch darum geht, wie ich als Unternehmen besser werden kann mit den neuen zur Verfügung stehenden Technologien und wie ich vor allem anders werden kann. Hier müssen wir in Deutschland besonders bei der Vorgehensweise umdenken. In den letzten Monaten haben sich viele Unternehmen damit beschäftigt, die Frage zu beantworten, was die Digitalisierung ist und was sie für das jeweilige Unternehmen bedeutet. Es wurden neue Einheiten aus den Boden gestampft, die nun das Unternehmen „digital“ machen sollen. Diese reiben sich dann mit den bestehenden Organisationseinheiten und es werden in typischer „Corporate“- Manier Projekte initiiert, die viel Papier produzieren, aber keine wirkliche (digitale) Neuerung hervorbringen. Hier funktionieren Start-ups einfach anders, da sie mit den benannten Vorgehensweisen, den neuen Technologien und der Fokussierung auf den Kunden die Dinge einfach anders machen und dabei viel schneller sind. Wir haben aber in Deutschland immer noch zu wenig Gründergeist und vor allem die entsprechende Infrastruktur dazu. Gründungshochburgen wie Berlin oder auch München haben in den letzten Jahren gezeigt, dass viele neue disruptive Dinge entstehen können. Wir haben in Deutschland aber noch so viele andere Regionen, die viele Hidden Champions beheimaten und unendlich viel Potenziale besitzen. Ich bin überzeugt, dass die Entwicklung in einer ähnlichen Dynamik weitergeht wie bisher und wir uns aktuell nur schwer ausmalen können wie Deutschland in 10 Jahren aussieht. Aber egal wie, weder etablierte Unternehmen noch Startups werden überflüssig. Es gilt jedoch mehr denn je, die Kraft der Großen mit der Agilität der Kleinen zu verbinden.

Wie könnte eine Zusammenarbeit von Start-up und etabliertem Unternehmen im Bereich der Energiewirtschaft konkret gestaltet werden? Welche Berührungspunkte setzen hier neue Energien frei?

Im Bereich der Energiewirtschaft gibt es vor allem viel Potenzial bei der Interaktion und demnach bei der Digitalisierung der Kundenschnittstelle. Ein EVU kann hier von Start-ups lernen, wie z.B. neue digitale Geschäftsmodelle funktionieren, die eine neue Form der Customer Experience schaffen, indem die gesamte Customer Journey durchdacht und mit digitalen Komponenten verbessert wird. Zudem sind Datenlösungen hochspannend für die Energieversorger, da sie meist auf einem riesigen Berg an Daten sitzen, der viele zusätzliche Services schaffen und neuen Kundennutzen stiften kann. Hier sehen wir besonders Start-ups auf dem Vormarsch, die diese Daten mit Hilfe künstlicher Intelligenz komplett neu analysieren und in App-basierte Kundenlösungen überführen. Auch Portale und Plattformen, wie sie Start-ups bereits heute anbieten, um z.B. regionale Erzeuger mit regionalen Verbrauchern zu vermitteln, sind Wege, die besonders für Stadtwerke interessant sein können. Grundsätzlich sollten sich EVUs nicht nur damit beschäftigen, wie energienahe Dienstleistungen aussehen können, sondern wie man ganze Bereiche neudenken und disruptieren kann. Hier wissen wir von einigen EVUs, dass sie bereits viele gute Ideen in der Schublade haben, es jedoch nur an der schnellen und Start-up-typischen Realisierung (in Form von schnellem und iterativem Prototyping) hapert.

Über den Autor:

Bastian Halecker

„Start-ups können keine Retter für etablierte Unternehemen in schwierigen Zeiten sein. Sie zwingen aber die etablierten Unternehmen aus ihrer Komfortsituation“

– Dr. Bastian Halecker, Gründer und Organisator, Start Up Tour Berlin


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