KI fürs Klima – Wie Künstliche Intelligenz die Energiewende unterstützt

Artikel aus dem Handelsblatt Journal „ENERGIEWIRTSCHAFT“ vom 31.08.2022

von Astrid Nieße

Unsere Energiesysteme befinden sich im Wandel: Große Atom- und Kohlekraftwerke weichen einer Vielzahl erneuerbarer Energieproduzenten, wie Windkraft- oder Photovoltaikanlagen. Mit dem Ausbau regenerativer Quellen gehen Herausforderungen einher: Die bisher in erster Linie zentral gesteuerten Systeme weichen verteilten Strukturen, die eine zunehmend dezentrale Steuerung erfordern. Zugleich beeinflusst das Wetter maßgeblich die Energiegewinnung aus Wind und Sonnenstrahlung – dies erfordert eine höhere Flexibilität in den Energiesystemen. In Kombination mit anderen Technologien kann Künstliche Intelligenz (KI) zu einer effizienten und klimafreundlichen Energieversorgung beitragen.

Die komplexer werdende Koordination von Energieerzeugung und -verbrauch kann nur durch eine vollständige Digitalisierung der Energiesysteme gemeistert werden. Insbesondere der Einsatz von KI bietet die Chance, vielen der sich stetig verändernden Anforderungen gerecht zu werden. Der Forschungsbereich Energie des Oldenburger Informatikinstituts OFFIS widmet sich der Digitalisierung der Energiesysteme und betreibt unter anderem Forschung zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Mithilfe von Verfahren des maschinellen Lernens können zum Beispiel Wetterdaten ausgewertet und somit Vorhersagen zur Einspeisung von wetterabhängigen Verbrauchern getroffen werden. Diese Vorhersagen können wiederum genutzt werden, um die Erzeugung und den Verbrauch anderer Anlagen darauf abzustimmen, Abregelungen zu vermeiden und so die Nutzung von grünem Strom zu maximieren. Weitere Praxisbeispiele, wie KI-basierte Prognosen einem sicheren und effizienten Management der Stromnetze dienen, zeigt die Plattform Lernende Systeme in ihrem Whitepaper „Mit Künstlicher Intelligenz zu nachhaltigen Geschäftsmodellen“ sowie dem Praxisbericht „Mit KI den nachhaltigen Wandel gestalten“.

Neue Anforderungen für den Betrieb der Stromnetze

Dezentrale Stromerzeuger sind nicht mehr wie Großkraftwerke an Hoch- und Höchstspannungsnetze angeschlossen. Sie befinden sich auf niedrigeren Spannungsebenen in den Verteilungsnetzen. Die Verteilnetze werden nun in einer Weise genutzt werden, für die sie nicht ausgelegt wurden. Auf den unteren Netzebenen gibt es wenig Messtechnik und Sensorik zur Überwachung der Betriebszustände. In der ursprünglichen Betriebsweise reichte eine rein rechnerische Auslegung des Betriebs aus, da der Strom aus den Großkraftwerken nur von oben nach unten an die Verbraucher verteilt wurde und es keine Einspeisung gab. Die zunehmende Zahl von Elektrofahrzeugen kann zu weiteren Problemen in den Netzen führen, da zu der unvorhersehbaren Einspeisung unerwartet hohe Verbräuche hinzukommen. Um weiterhin einen sicheren Betrieb zu gewährleisten, müssen also die Zustände der Verteilnetze transparent gemacht werden, damit drohende Überlastungen von Netzelementen rechtzeitig erkannt und Gegenmaßnahmen ergriffen werden können. Der flächendeckende Ausbau von Sensorik in den Verteilnetzen gilt jedoch als unwirtschaftlich. KI-Systeme können auch hier Abhilfe schaffen. Die KI-Methode des Deep Learnings, die künstliche neuronale Netze nutzt, ermöglicht es, Netzzustände auch mit eingeschränktem Wissen zuverlässiger und genauer zu prognostizieren als bisher. Um Netzengpässe zu vermeiden, müssen die zahlreichen flexiblen Klein- und Kleinstanlagen auf Verteilnetzebene intelligent koordiniert werden. So müssen beispielsweise nach Feierabend nicht alle Elektroautos in einer Straße gleichzeitig mit voller Leistung aufgeladen werden. Meist reicht es, wenn die Fahrzeuge bis zum Morgen fahrbereit sind.

Außerdem gilt es bei Kleinstanlagen, wie beispielsweise der Wärmepumpe eines Eigenheimbesitzers, auch den Datenschutz zu beachten. Die preisgegebenen Daten sollen keine Rückschlüsse auf sensible Informationen ermöglichen, etwa Urlaubszeiten, zu denen das unbewachte Haus zum attraktiven Ziel für Einbrecher wird. Zudem erschwert die Verteilung der Informationen selbst die zentrale Optimierung und Steuerung.

Die komplexer werdende Koordination von Energieerzeugung und -verbrauch kann nur durch eine vollständige Digitalisierung der Energiesysteme gemeistert werden.

Eine Lösung für diese neuen Probleme sind verteilte selbst-organisierte Systeme: Dabei wird jede relevante Einheit im Stromnetz mit KI-Software ausgestattet. Als sogenannter „Agent“ kann dann beispielsweise die Wärmepumpe vor Ort alle benötigten Daten erfassen, auf lokaler Ebene selbstständig Entscheidungen treffen und mit anderen intelligenten Geräten interagieren, um größere Probleme zu lösen.

Verteilte Künstliche Intelligenz zur Stabilisierung der Systeme

Ein Beispiel für solch ein System ist der von OFFIS in enger Zusammenarbeit mit dem Unternehmen be.storaged entwickelte Batteriespeicherschwarm. Batteriespeichersysteme werden an verschiedenen Standorten für unterschiedliche Zwecke eingesetzt. Dazu zählt die Spitzenlastkappung bei industriellen Verbrauchern oder die Optimierung des Eigenverbrauchs in Kombination mit Photovoltaik- oder Windanlagen. Diese einzelnen Einsatzarten schöpfen jedoch allein nicht das Potenzial der Batteriespeichersysteme aus. Im Sinne einer Mehrzwecknutzung wurde jeder Speicher mit einem digitalen Agenten ausgestattet. Dieser kennt den Zustand und die Eigenschaften seines Batteriespeichers und kann auf Basis historischer Daten und mittels maschinellen Lernens Prognosen über die Erzeugung oder den Verbrauch der Kundenanlagen vor Ort erstellen. Darauf aufbauend bestimmt der Agent, wann und in welchem Umfang der Batteriespeicher für seinen primären Anwendungsfall benötigt wird und welcher Spielraum verbleibt, den Speicher darüber hinaus zu anderen Tageszeiten für weitere Einsatzzwecke zu nutzen. Kann ein Agent aufgrund einer Prognoseabweichung seine Verpflichtung aus der Sekundärvermarktung nicht einhalten, ohne seinen primären Einsatzzweck zu gefährden, können die Agenten selbst-organisiert die Verpflichtung untereinander aufteilen. Die Nutzung des Agentensystems hat in diesem Beispiel mehrere Vorteile. Die Agenten verarbeiten Daten lokal und übermitteln nur die nötigsten Informationen. Das unterstützt den Datenschutz, begrenzt den Kommunikationsaufwand und trägt zur Skalierbarkeit bei.

Darüber hinaus ist ein solches System sehr robust: Die Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems wird nicht beeinträchtigt, wenn einzelne Agenten ausfallen. Besonders die Fähigkeit selbst-organisierender Systeme auf unerwartete Änderungen, wie beispielsweise Prognoseabweichungen, flexibel zu reagieren und die Probleme möglichst lokal zu lösen, macht sie zu einem wertvollen Bestandteil unserer zukünftigen digitalisierten Energiesysteme, die zu einem stabilen Netzbetrieb bei fortgeschrittener Energiewende beitragen können. Natürlich bringt der Einsatz von KI im Energiesystem neben den Vorteilen für eine nachhaltige Entwicklung auch neue Herausforderungen mit sich. Wenn Entscheidungen von KI-Systemen getroffen werden, müssen diese für die Menschen nachvollziehbar sein – besonders wenn es um die Steuerung kritischer Infrastruktur geht. Wie lässt sich die durch künstliche neuronale Netze oder das kollektive Verhalten von selbst-organisierenden Systemen erklären, begründen und verifizieren? Wie können die KI-Systeme gegen Angriffe abgesichert werden? Diese Fragen sind Gegenstand der aktuellen Forschung.

Weiterführende Informationen finden Sie unter:
https://www.plattform-lernende-systeme.de/startseite.html

In Kombination mit anderen Technologien kann KI zu einer effizienten und klimafreundlichen Energieversorgung beitragen.

 

Astrid Nieße
Professorin für Digitale Energiesysteme an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg und
Mitglied der Arbeitsgruppe Geschäftsmodellinnovationen der Plattform Lernende Systeme

Dieser Artikel ist im aktuellen Handelsblatt Journal „ENERGIEWIRTSCHAFT“ erschienen.

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