Interviewreihe: 3 Fragen an… Dr. Matthias Cord, stellv. Vorstandsvorsitzender, Thüga AG

Dr. Matthias Cord, stellv. Vorstandsvorsitzender, Thüga AG

Im Rahmen des Handelsblatt Energie-Gipfels 2021 sprachen wir mit den Referenten, Machern und Vordenkern aus der Energiewirtschaft vorab über die Digitalisierung, den Stand der klimaneutralen Energieversorgung und die Auswirkungen der Corona Pandemie auf den Sektor.

Was sind die größten Hindernisse bei der Digitalisierung der Energiewirtschaft bzw. für Ihr Unternehmen und welche Technologien können heute schon gewinnbringend eingesetzt werden?

Wenn wir über Digitalisierung sprechen, reden wir im gleichen Zug über rechtliche Rahmenbedingungen, die vorhanden sein müssen. Mit diesem Henne-Ei-Problem kämpfen wir in unserer Branche oft. Das darf keine Entschuldigung dafür sein, dass die Digitalisierung in Deutschland und auch in der Energiewirtschaft schneller von statten gehen könnte. Aber ist der Rechtsrahmen fixiert, muss noch die nötige Infrastruktur entstehen. In die wiederum muss möglichst frühzeitig investiert werden und vieles mehr.

Nehmen wir das Beispiel Smart Meter Rollout: Nach der Markterklärung durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) konnte es endlich losgehen. Die Unternehmen standen schon lange in den Startlöchern und arbeiten auf Hochtouren, um die Nachfrage beim verpflichtenden Rollout von intelligenten Messsystemen zu bedienen. Dann kam Corona und der gesamte Prozess für die Installation musste an die neuen Bedingungen angepasst werden. Was wiederum sehr schnell geklappt hat. Aber der Markt und der Wettbewerb sortieren sich weiter, für eine wirtschaftliche Bilanz ist es noch zu früh.

Es gibt auch Bereiche in der Energiewirtschaft, die gerade wegen Corona schneller digital wurden als gedacht. Der ein oder andere Flaschenhals hat sich ohne großes Aufsehen gelöst. Zum Beispiel haben die Stadtwerke – für die die Thüga-Gruppe ja steht – in der Kundenbetreuung und im Vertrieb auf digitale Lösungen umgestellt. Chatbot und App sind keine reinen Anglizismen mehr, sondern gelebte Daseinsvorsorge. Viele Standardprozesse in der Energiewirtschaft sind digitaler geworden, so wurden auch Kosteneinsparungen möglich. In anderen Bereichen wie zum Beispiel Smart City sind digitale Geschäftsmodelle von jeher komplexer. Sie werden erst perspektivisch zum Gewinn beitragen.

 Was ist noch zu tun auf dem Weg zur klimafreundlichen Energieversorgung?

Der Anteil der Erneuerbaren im Stromsektor liegt deutlich über 40 Prozent, hier haben wir bereits sehr viel erreicht. Damit daraus eine echte Energiewende wird, müssen wir in allen Sektoren – auch bei Wärme und Verkehr – die Dekarbonisierung einleiten. Grundsätzlich hat die Bundesregierung das erkannt und die entsprechenden Reformen auf den Weg gebracht. Nur werden diese voraussichtlich nicht genügen – insbesondere, wenn wir die hochgesteckten Ziele aus dem Green Deal bereits mitdenken.

Deshalb wünschen wir uns auf der Stromseite ambitioniertere Ausbauziele für Wind und Photovoltaik. Die angestrebten 65 Prozent Erneuerbare bis 2030 und die aktuell bei der EEG-Novelle hinterlegten Ausbaupläne werden nicht ausreichen. Wir unterstützen die Bestrebungen der Bundesregierung, die Genehmigungsverfahren für EE-Anlagen zu beschleunigen. Gleichzeitig muss das Erneuerbare-Energien-Gesetz stärker auf den Markt ausgerichtet werden. Gerade bei den post-EEG-Anlagen müssen wir konsequent auf ein Ende der Förderung setzen.

Damit im Wärmesektor die Klimaziele überhaupt erreicht werden können, genügt „efficiency first“ allein nicht. Wasserstoff und Biomethan könnten eine bedeutende Rolle spielen. Heute schon wären über die Gasverteil- und Fernwärmenetze über 60 Prozent aller Wohnungen mit klimafreundlichen Gasen erreich- und dekarbonisierbar. Leider tendiert die Politik beim Wasserstoff aktuell dazu, Potenzial zu verschenken und den Einsatz von Wasserstoff stark einzuengen. Ein größerer Lösungsraum wäre aus unserer Sicht viel sinnvoller. Deshalb setzen wir auf einen technologie- und anwendungsoffenen Einsatz von Wasserstoff.

 Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf den Energiesektor bzw. auf Ihr Unternehmen aus?

Die Corona-Pandemie ist auch für die Energiewirtschaft das bestimmende Thema und wird es – wie wir im Jahresverlauf 2020 leider erleben mussten – weiterhin sein. Prognosen in fast allen Wirtschaftsbereichen sind mit hohen Unsicherheiten verbunden. Im Energiesektor stellen wir einen Rückgang des Verbrauchs fest. Vor allem weil die Industrieproduktion teilweise zurückgefahren wird, aber auch Handels- und Dienstleistungsbetriebe immer wieder geschlossen sind.

Die Stadtwerke arbeiten seit vielen Monaten ausnahmslos im Krisenmodus, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Dabei müssen sie einerseits ihr Personal bestmöglich vor Infektionen schützen, andererseits den Betrieb aufrechterhalten. Es gibt viele praktische Probleme zu lösen, zum Beispiel wie bekommt das Schlüsselpersonal Zugang zur Infrastruktur in Quarantänegebieten? Hier kann Digitalisierung nur bedingt helfen. Mein Eindruck ist aber, dass unsere Partnerunternehmen mit ihren Krisen- und Pandemieplänen sehr gut aufgestellt sind.

Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie hängen auch für unsere Partnerunternehmen davon ab, wie lange die Krise dauert und wie hoch mögliche Zahlungsausfälle sein werden. Aber wie ich schon sagte: Prognosen sind aktuell nur bedingt valide. Wir fahren auch in der Energiewirtschaft auf Sicht und passen uns der Lage schnell an. Auftrieb gibt der Ausblick auf einen Impfstoff, der hoffentlich das Engagement und das Durchhaltevermögen in allen Branchen positiv bestärkt.

 

Vielen Dank an Dr. Matthias Cord für das Interview.