Integrierte Infrastrukturentwicklung als Voraussetzung für eine erfolgreiche Energiewende

Integrierte Infrastrukturentwicklung als Voraussetzung für eine erfolgreiche Energiewende

von Andreas Kuhlmann

Die Herausforderung ist gewaltig und die Zeit knapp: In nur 24 Jahren muss die Nutzung fossiler Energieträger bei der Stromerzeugung, im Verkehr, im Gebäudesektor und in der Industrie nahezu komplett eingestellt werden. Das heißt, dass schon bald kein Kraftwerk, keine Heizung, kein Auto und kein Hochofen mehr mit fossilen Brennstoffen betrieben werden darf. Anstelle von fossilen Energieträgern braucht es im Wesentlichen Strom aus erneuerbaren Energien und CO2-neutrale Energieträger, wie CO2-neutral erzeugter Wasserstoff und seine Folgeprodukte oder Biogas.

Unsere Energieinfrastrukturen im Strom- und Gasbereich machen diese Transformation erst möglich. Sie erlauben es, die Energie dorthin zu bringen, wo sie benötigt wird. Nun müssen sie aber schnell weiterentwickelt werden, wenn wir unsere ambitionierten Ziele bis 2030 und bis 2045 erreichen wollen.

Wir müssen jetzt die Weichen stellen
Das Ziel einer beschleunigten Reduktion der Treibhaugasemissionen um 65 Prozent bis 2030 und auf netto Null bis 2045 erfordert einen rasanten Wandel der gesamten Infrastrukturen.

Mit Blick auf 2030 sind insbesondere im Stromnetz kurzfristige Maßnahmen nötig. Hier gilt es, Projekte, die bereits im Rahmen des Netzentwicklungsplans Strom identifiziert wurden, zügig umzusetzen. Zusätzlich müssen die Potenziale des Bestandsnetzes gehoben werden. Das gelingt unter anderem durch die schnellere Umsetzung innovativer Konzepte und der Digitalisierung der Netze. Außerdem gilt es, den regulatorischen Rahmen, zum Beispiel für die netzorientierte Nutzung dezentraler Flexibilitäten, weiterzuentwickeln.

Mit Blick auf die Planung bis 2045 müssen die verschiedenen Energieinfrastrukturen stärker aufeinander abgestimmt geplant werden. Freiwerdende Kapazitäten im Erdgasnetz bieten sich für den Transport von Wasserstoff an, was den Stromnetzausbau reduziert, indem Elektrolyseure nahe der erneuerbaren Erzeugungszentren gebaut werden. Ein Systementwicklungsplan kann für diese integrierte Planung als neuer, vorgelagerter Prozessschritt den gemeinsamen Rahmen setzen. Die Entwicklung und Implementierung eines solchen Planes sind zentraler Bestandteil der sich aktuell noch in Bearbeitung befindenden dena-Netzstudie III.

Gleichzeitig müssen zeitnah Richtungsentscheidungen bezüglich der Umsetzung der Ziele zur klimaneutralen Energieerzeugung und in den verschiedenen Verbrauchssektoren getroffen werden. Denn die zukünftige Ausrichtung des Energiesystems ist für die richtige Dimensionierung der Transportinfrastrukturen ab 2030 entscheidend.

Ein Systementwicklungsplan als Grundlage der Transportnetzplanung
In einem integrierten Energiesystem, in dem alle Sektoren fast vollständig defossilisiert und gekoppelt sind, ist eine getrennte und nur schrittweise Planung der Stromund Gasnetze nicht mehr zeitgemäß.

Deshalb brauchen wir einen Systementwicklungsplan, der ein Leitbild dafür liefert, worauf sich die Infrastrukturplanung mit Blick auf 2045 einstellen sollte. Dadurch werden die anschließenden detaillierten Netzentwicklungspläne auf eine gemeinsame Grundlage gestellt.

Der Systementwicklungsplan ist ein partizipativer, politischer Prozess, der ein gemeinsames Leitbild liefert, das zeigt, auf welche Entwicklungen sich unsere Transportinfrastrukturen in Zukunft einstellen sollen. Das ist aus zwei Gründen wichtig: Erstens wird durch frühe Partizipation und eine unabhängige Durchführung das Vertrauen in die Planung gestärkt. Und Vertrauen ist die Grundlage für Akzeptanz beim Netzausbau. Zweitens ist die Entwicklung des Systems insgesamt auch von der Infrastrukturentwicklung selbst abhängig, daher braucht es Richtungsentscheidungen: Denn, ob ein Unternehmen einen Elektrolyseur zur Wasserstoffherstellung an seinem Standort benötigt oder nicht, hängt auch davon ab, ob es stattdessen ein Wasserstofftransportnetz geben wird, das es versorgen kann.

Ein Systementwicklungsplan sollte sehr schnell gesetzlich verankert und von einer unabhängigen Stelle durchgeführt werden. Dabei sollten zentrale Stakeholder und die Öffentlichkeit mit eingebunden werden. Aufgrund der langen Planungshorizonte gilt es keine Zeit zu verlieren, damit die Ergebnisse eines solchen Prozesses Eingang in die Netzentwicklungspläne mit dem Zieljahr 2040 finden können.

Zusätzlich zur Einführung eines Systementwicklungsplanes sollten die Prozesse der Netzentwicklungspläne selbst synchronisiert werden. Diese sollten in den selben Jahren, mit denselben Stützjahren, dem selben Zeithorizont sowie den selben Basisdaten erstellt werden. Dadurch kann eine konsistente Planung sichergestellt werden.

Das müssen unsere Energieinfrastrukturen leisten
Eine Pilotierung des Systementwicklungsplans im Rahmen der dena Netzstudie III hat erste zentrale Richtungsentscheidungen identifiziert:

Ein schneller und starker Ausbau der erneuerbaren Energien ist die Grundlage für das zukünftige klimaneutrale Energiesystem. Flächenpotenziale an Land müssen dafür genutzt und versiegelte Flächen für PV erschlossen werden. Eine stärkere europäische Kooperation bei der Erschließung von Offshore-Windpotenzialen kann den Ausbau der Windenergie dort voranbringen.

Die Transportaufgabe des Stromnetzes wird sich durch diesen Ausbau der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien, eine wesentlich höhere Stromnachfrage und eine stärkere europäische Einbindung weiterentwickelt. Auch bei Nutzung aller Effizienz-, Optimierungs- und Flexibilisierungspotenziale sowie der netzorientierten Allokation von Elektrolyseuren und Backup-Kraftwerken, wird ein Ausbau des Stromtransportnetzes über die bereits bis 2030 geplanten Leitungen hinaus nötig sein. Damit die Flexibilitäten neuer Verbraucher auch genutzt und Elektrolyseure netzorientiert allokiert werden können, muss der regulatorische Rahmen schnell weiterentwickelt und die Digitalisierung der Netze vorangetrieben werden.

Die Rolle des Gasnetzes wird sich bis 2045 fundamental wandeln. Nach und nach können Leitungen des bestehenden Fernleitungsnetzes zur Nutzung von Wasserstoff oder synthetischen Gasen umgewidmet werden. Eine große Herausforderung mit Blick auf die Gasnetze wird die Gestaltung dieses Übergangs sein. Denn zunächst sind noch viele Verbraucher auf eine zuverlässige Versorgung mit Erdgas angewiesen. Hier bedarf es detaillierter Untersuchungen und eines klaren politischen und rechtlichen Rahmens, um diese Transformation zu gestalten. Vor allem im Gebäudebereich muss aufgrund langer Investitionszyklen zeitnah untersucht und entschieden werden, welche Rolle Gas und perspektivisch Wasserstoff bei der zukünftigen Wärmeversorgung spielen sollen. Höhere Effizienzstandards sind in jedem Fall für die Erreichung der Ziele notwendig.

Gleichzeitig wird sich, ausgehend von den Industrieund den Erzeugungs- und Importzentren für CO2-neutralen Wasserstoff, ein Wasserstofftransportnetz entwickeln. Denn die Nachfrage nach CO2-neutralem Wasserstoff wird zunächst vor allem in der Industrie stark zunehmen. Die Versorgung über ein Transportnetz ist dabei effizient und kann zusätzliche Stromübertragungsbedarfe vermeiden helfen, indem zum Beispiel Elektrolyseure erzeugungsnah errichtet und netzorientiert betrieben werden. Ein solches Netz kann in großen Teilen durch Umwidmungen von Leitungen des aktuellen Erdgasnetzes aufgebaut werden. Hier gilt es zeitnah einen geeigneten, auf die Strom- und Gasnetzplanung abgestimmten Planungsprozess zu etablieren, der grenzübergreifend auch die Entwicklungen in den Europäischen Nachbarländern berücksichtigt. Um die Versorgung mit Wasserstoff und synthetischen Energieträgern sicherzustellen, müssen gleichzeitig die Voraussetzungen für den Import geschaffen werden.

Auch in Zukunft werden sich CO2-Emissionen, wie sie zum Beispiel bei der Zementherstellung entstehen, nicht komplett vermeiden lassen. Durch die Umstellung von Prozessen in der chemischen Grundstoffindustrie wird CO2 zukünftig auch als Rohstoff benötigt. Carbon Capture and Utilization (CCU) und damit auch eine Infrastruktur für CO2 werden also in der Zukunft eine Rolle spielen. Die Rolle dieser Technologien gilt es zu diskutieren.

Insbesondere in Ballungsgebieten wird auch eine integrierte und koordinierte Planung aller lokalen Infrastrukturen nötig sein. Wärmenetze werden dabei eine wichtige Rolle einnehmen, da sie verschiedene Energieträger flexibel integrieren können.

Die Umsetzung muss jetzt beginnen
Das Ziel ist klar gesetzt: Klimaneutralität für unser Wirtschafts- und Energiesystem bis 2045. Nun muss die Umsetzung insbesondere bei den Infrastrukturen schnell voranschreiten. Denn die Transformationsprozesse dauern viele Jahre. Es ist entscheidend, dass die neue Bundesregierung schnell die nötigen Weichenstellungen vornimmt und dringliche Entscheidungen nicht aufschiebt.

Damit die Flexibilitäten neuer Verbraucher auch genutzt und Elektrolyseure netzorientiert allokiert werden können, muss der regulatorische Rahmen schnell weiterentwickelt und die Digitalisierung der Netze vorangetrieben werden.

 

Andreas KuhlmannAndreas Kuhlmann
Geschäftsführer
Deutsche Energie-Agentur GmbH (dena)

 

Dieser Artikel ist im aktuellen Handelsblatt Journal „Energiewirtschaft“ erschienen.

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