EU ETS-Kostenexplosion bedroht Unternehmen | #hbenergie-Expertenbeitrag von Barbara Minderjahn (VIK)

ETS-Kostenexplosion bedroht Unternehmen | #hbenergie-Expertenbeitrag von Barbara Minderjahn (VIK)

Barbara Minderjahn, Geschäftsführerin, VIK Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft e.V.

Der von der Europäischen Kommission im Sommer 2015 veröffentlichte und aktuell in den Mitgliedsstaaten sowie im Europäischen Parlament diskutierte Legislativvorschlag zur Reform des europäischen Zertifikatehandels für Treibhausgasemissionen widerspricht wesentlichen Kernforderungen der EU und gefährdet den Wohlstand in Europa.

Dabei ist das zentrale Anliegen der Reform – die Überarbeitung des EU-Emissionshandels (European Union Emissions Trading System, EU ETS) für das nächste Jahrzehnt – nicht zu kritisieren. Die EU hat sich bekanntlich die Aufgabe gesetzt, einen wesentlichen Beitrag zu der bis 2030 angestrebten Treibhausgasminderung von 40 Prozent gegenüber 1990 im ETS-Sektor zu leisten und dafür muss das System angepasst werden. Doch mit den vorgeschlagenen konkreten Maßnahmen werden wesentliche Rahmenbedingungen vernachlässigt und essentielle Ziele der EU konterkariert. Denn mit der ETS-Reform dürfen nach dem Willen der EU-Staats- und Regierungschefs keine unangemessenen Kostenbelastungen für effiziente Unternehmen im internationalen Wettbewerb entstehen. Andernfalls wäre das Ziel, den Anteil der Industrie an der Bruttowertschöpfung auf 20 Prozent anzuheben, und damit der Wohlstand innerhalb Europas gefährdet.

Genau das könnte aber eintreten. Denn würde die Reform des EU ETS wie von der Kommission vorgeschlagen umgesetzt, so hätte dies für Unternehmen in allen energieintensiven Branchen teilweise existenzbedrohende Kostensteigerungen zur Folge. Dies zeigt nicht zuletzt eine neue Studie der Münchener Unternehmensberatung FutureCamp. Die im August veröffentlichte wissenschaftliche Analyse, in der die Entwicklung von Emissionshandelskosten für in der Industrie typische Anlagen bis zum Jahr 2030 berechnet wurde, belegt: Für eine Energieerzeugungsanlage in der chemischen Industrie oder eine Papiererzeugungsanlage könnten bis 2030 Mehrkosten in 15- bis 17-facher Höhe verglichen mit den heutigen Emissionshandelskosten entstehen. Auch die Steigerungen der ETS-Ausgaben in absoluten Zahlen sind erschütternd: So könnte für eine einzige Anlage zur Herstellung von Aluminium eine zusätzliche Belastung von mehr als 25 Millionen Euro im Jahr entstehen. Die ohnehin niedrigen Gewinnmargen der Unternehmen in den hart umkämpften internationalen Märkten für energieintensive Produkte würden durch solche Kostenbürden in allen Fällen nahezu vollständig aufgefressen.

Diese Ergebnisse verdeutlichen, dass die Reformbemühungen im ETS Bereich industrielle Belange stärker berücksichtigen müssen als sie es bisher tun. Hierzu müssen in jedem Fall die Zuteilung kostenfreier Zertifikate stärker an aktuelle Produktionsniveaus angepasst und Korrekturfaktoren abgeschafft werden. Außerdem darf die Kompensation für erhöhte Stromkosten aufgrund des EU ETS nicht weiter abgesenkt werden. Doch auch wenn diese ersten Maßnahmen umgesetzt werden, geht aus den Berechnungen von FutureCamp hervor, dass die Kosten so höchstens gedämpft werden können. Die Ausgaben steigen selbst in einem Szenario, in dem die oben beschriebenen Punkte umgesetzt sind, immer noch erheblich!

Besonders problematisch ist, dass auch die effizientesten Unternehmen mit den Reformplänen akut in ihrer Wirtschaftlichkeit gefährdet werden. So steigen die Kosten im Kommissions-Szenario auch bei solchen Anlagen deutlich, deren spezifische Emissionen den aktuell gültigen Benchmarks entsprechen. In der Konsequenz erhöht sich damit das Risiko, dass energiekostensensible Unternehmen aus Industrie und Gewerbe ihre Standorte in Länder außerhalb der EU verlagern („Carbon Leakage“). Für Deutschland stehen damit bis zu 2,5 Millionen Arbeitsplätze auf dem Spiel. Und auch der Klimaschutz wird nicht gewinnen, denn die Produktion von Stahl, Papier oder Aluminium würde im Ausland in der Regel weniger effizient und klimaschonend erfolgen.

Dass die energieintensiven Unternehmen hierzulande zu den effizientesten der Welt gehören, bestätigte erst kürzlich erneut der American Council for an Energy-Efficient Economy (ACEEE). In seinem Bericht „The 2016 International Energy Efficiency Scorecard” belegte Deutschland den ersten Platz in einem Vergleich der 23 größten treibhausgasemittierenden Länder. Mit 73,5 von insgesamt 100 möglichen Punkten lag die Bundesrepublik deutlich über dem erzielten Durchschnitt von 51 Zählern. Insbesondere im Wirtschaftsbereich Industrie schnitt Deutschland am besten ab. Mit 21 von 25 möglichen Punkten lag man hier nah am Optimum.

Im Ergebnis wird deutlich: Energieintensive Unternehmen, die dem EU ETS unterliegen, müssen im internationalen Wettbewerb stärker geschützt werden. Um Investitionen in Innovationen und Effizienzverbesserungen zu ermöglichen und das erklärte EU-Ziel zu erreichen, den Anteil der Industrie an der Bruttowertschöpfung auf 20 Prozent anzuheben, gilt es, stabile und verlässliche klimapolitische Rahmenbedingungen zu schaffen, die die Wirtschaftlichkeit der Unternehmen im Blick behalten. Einen wesentlichen Baustein dieser Rahmenbedingungen bilden nachhaltig wirkende Schutzmaßnahmen gegen Carbon Leakage in einem reformierten Emissionshandel.

Newsletter Energiewirtschaft 02/2016

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