Energiewende: Wir müssen an einem Strang ziehen

von Boris Schucht

In regelmäßigen Abständen kochen immer wieder Debatten zur Energiewende hoch. Die einen kritisieren die (Etappen)Ziele, andere wiederum den eingeschlagenen Weg. Setzen die einen eher auf Ordnungsrecht, favorisieren die anderen den Markt. Manchen geht der Erneuerbaren-Ausbau zu schnell, manchen nicht schnell genug. Und beim Thema Ausbau der Netze kann von Harmonie und Eintracht auch nicht die Rede sein. Bei all diesen Debatten sind – selbstverständlich – zahlreiche unterschiedliche Interessen im Spiel.

Das alles ist in einer off enen, demokratischen Gesellschaft ja auch völlig in Ordnung. Diskurs und Debatte gehören dazu, um sich der Ziele der Energiewende und der möglichen Wege zur Umsetzung zu vergewissern. Dennoch bleibt die Frage, wie wir es schaff en können, auf rationaler Grundlage an einem Strang zu ziehen, um das Langfristprojekt Energiewende zum Erfolg zu führen.

Deshalb sollten wir versuchen, Vorurteile abzubauen und der Bildung von Legenden vorzubeugen – bei allen unterschiedlichen Interessen.

Netzausbau bleibt Schlüsselfaktor für Energiewende

Auch wenn es einige bezweifeln: Der Netzausbau ist der derzeit wichtigste und volkswirtschaftlich effi zienteste Weg für eine erfolgreiche Energiewende, zumal der Ausbau der Erneuerbaren weiter voran schreitet und insbesondere die starken Kostensenkungen bei Wind im On- und Off shore-Bereich die Entwicklung weiter treiben. Es ist allerdings auch klar, dass der Netzausbau alleine nicht die Lösung ist und dass es Akzeptanzgrenzen geben wird. Daher werden andere Ansätze wie Speicher und Power-to-Gas in der Zukunft eine wichtige Rolle spielen.

Auch wenn wir in Deutschland insgesamt hinter den Planungen her hinken, zeigen doch jüngste Erfolge beim Netzausbau (Südwest-Kuppelleitung), dass dieser wirkt – mehr Transportkapazität, vor allem für erneuerbar erzeugten Strom, von Nord nach Süd, bedeutet erheblich weniger Kosten – zum Wohle des Verbrauchers.

Zentral und Dezentral sind kein Widerspruch

Der notwendige Ausbau des Übertragungsnetzes steht im Übrigen überhaupt nicht im Widerspruch zur Entwicklung hin zu mehr dezentraler Erzeugung. Ja, die Energiewende fi ndet zu einem guten Teil im Verteilnetz statt, denn das Gros der Erneuerbaren-Anlagen ist dort angeschlossen. Auch Entwicklungen hin zu mehr Prosumern oder zur Sektorkoppelung sind vor allem Fragen an die Verteilnetzbetreiber (VNB).

Aber: Durch größere Marktgebiete verzeichnen wir hohe Effizienzgewinne – egal, ob es sich um das größere deutsche Marktgebiet handelt oder – Stichwort Regelenergie – um den Internationalen Netzregelverbund, der mit seiner zentraleuropäischen Ausrichtung mittlerweile rund 400 Millionen € durch eingesparte Regelenergie gebracht hat. Diese Erfolgsstory zeigt, dass europäisches Denken für die Bezahlbarkeit der Energiewende von großer Bedeutung ist. Wenn jetzt aber auch über dezentrale, lokale Märkte geredet wird, darf dies nicht zu „Kleinstaaterei“ führen, bei der der Kunde zum lokalen Energiebezug gezwungen wird, obwohl er auf dem europäischen Markt viel günstiger kaufen könnte.

Im Kern geht es darum, noch mehr als bisher systemisch zu denken und diesem Erfordernis durch mehr Kooperation Rechnung zu tragen.

Enges Zusammenspiel zwischen Markt und Regulierung notwendig

Die stärkere Marktorientierung durch gesetzliche Reformen in der letzten Legislaturperiode war ein Schritt in die richtige Richtung. Die eindrucksvolle Kostenentwicklung bei den Erneuerbaren durch die Auktionen zeigt dies ganz klar – Off shore bietet mittlerweile ohne Subventionen zu Marktpreisen an. Wann immer der Markt als Steuerungsinstrument zur Entfaltung kommen kann, um ein volkswirtschaftliches Optimum zu erreichen, sollte man auch auf ihn setzen. Es gibt aber gewiss auch Bereiche, in denen regulatorische Steuerung vernünftiger ist. Macht es zum Beispiel beim Laden von Elektrofahrzeugen künftig nicht eher Sinn, über regulatorische Vorgaben unnötige Lastspitzen zu verhindern, die damit auch unnötige Folgeinvestitionen im Verteilnetz vermeiden helfen? Gerade für die VNB stellt das Thema E-Mobilität eine große Herausforderung dar, weil bei kleinteiligen Märkten eine kluge, zielführende Regulierung gefunden werden muss.

Eine komplexere Welt erfordert mehr Kooperation

Dass die Energiewende das elektrische System insgesamt komplexer macht, ist eine Binsenweisheit. Mehr Komplexität heißt aber immer auch mehr Kooperation – und zwar zwischen allen Partnern im elektrischen System. Hierbei wird es auch neue Player geben, zum Beispiel Aggregatoren, die Lasten steuern und eine zunehmend wichtigere Rolle im System einnehmen werden. Im Kern geht es darum, noch mehr als bisher systemisch zu denken und diesem Erfordernis durch mehr Kooperation Rechnung zu tragen. Oder eben: An einem Strang ziehen.

schuchtBoris Schucht
Vorsitzender der Geschäftsführung bei 50Hertz

Dieser Beitrag ist Teil der Ausgabe des Handelsblatt Journals „Energiewirtschaft – Transformation, Digitalisierung und neue Geschäftsfelder“ das Sie hier erhalten können.

 

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