Energiewende 4.0: Digitalisierung und Branchenumbau | #hbenergie-Expertenbeitrag von Dr. Volker Rieger (Detecon International)

Energiewende 4.0: Digitalisierung und Branchenumbau | #hbenergie-Expertenbeitrag von Dr. Volker Rieger (Detecon International)

Dr. Volker Rieger, Managing Partner / Leiter Sektor Energy, Detecon International GmbH, Köln

Die Energiebranche steht vor einer doppelten Herausforderung: Sie muss nicht nur die Energiewende stemmen, sondern wird auch zunehmend von den allgemeinen Digitalisierungs-Trends ergriffen. Digitalisierung führt in allen Branchen zum Aufbrechen von linearen Wertschöpfungsketten und einer Umgestaltung hin zu komplexen Wertschöpfungsnetzwerken. In der digitalen Welt sind Geschäftsmodelle nicht mehr vertikal. Wertschöpfung findet in Form von horizontal strukturierten Ökosystemen statt, in denen sich unterschiedliche Unternehmen ergänzen, aber nicht mehr sequentiell die Stufen einer Leistungserbringung darstellen.

Unsere Erfahrung zeigt, dass es in digitalen Märkten drei grundlegenden Marktrollen gibt: die des Infrastrukturbetreibers, die des Plattformanbieters, der in der Regel das Wertschöpfungsnetz koordiniert, und den Besitzer der Kundenschnittstelle. Wir erwarten, dass dieses Modell auch in den zukünftigen Energiemärkten seine Gültigkeit haben wird. Neue Anbieter stoßen vor allem in die Rollen Plattform und Kundenschnittstelle vor. Damit bestehende Energieversorger nicht einzig auf die Rolle des Infrastrukturbetreibers reduziert werden, müssen sie unserer Einschätzung nach vier Thesen beachten:

  • Den Kunden in den Fokus stellen!
    Begeistern und binden Sie Ihre Kunden durch attraktive digitale Kundenerlebnisse.
  • Digitale Plattformen entwickeln!
    Gestalten Sie gemeinsam mit Partnern herausragende Angebote und Plattformen.
  • Infrastruktur intelligent nutzen!
    Betreiben Sie Ihre eigenen Assets effizient und öffnen Sie sie für Wertschöpfungsnetze.
  • Relevant bleiben!
    Kombinieren Sie die Punkte 1-3, um sich wirkungsvoll gegen neue Player zu positionieren.

Als Best-Practice-Beispiel in der Beherrschung aller Marktrollen kann das Unternehmen Amazon dienen.

Digitales Kundenerlebnis

Im Zentrum jeder Wertschöpfung stehen B2C- oder B2B-Kunden. Die Leistungserbringung sollte also darauf ausgerichtet sein, deren Bedürfnisse zu erfüllen. Im digitalen Zeitalter sind es vor allem drei Fähigkeiten, die helfen, die Kundenschnittstelle zu besetzen: Transaktionskompetenz (einfacher und unkompliziertes Anbieten von Waren und Dienstleistungen über digitale Kanäle), Informationskompetenz (Nutzung interner und externer Informationsquellen, neudeutsch „Big Data“ und „Customer Analytics“) und Vertrauensaufbau (Reputation/Markenführung sowie Dialog mit den Kunden).

Als der Amazon-Gründer Jeff Bezos vor 20 Jahren mit der Digitalisierung des Versandhandels begann, bezog er von Anfang an seine Kunden mit ein: 300 seiner Freunde und Bekannten testeten die Internetplattform vor dem Marktstart. Heute definiert Amazon das digitale Einkaufen nicht nur durch einen perfekten Onlineshop auf allen Endgeräten (Transaktion) und unkomplizierte und schnelle Abläufe, sondern insbesondere auch durch ein ausgefeiltes Empfehlungssystem (Information) und das große Vertrauen der Kunden – erreicht durch permanente Kundenorientierung (Rezensionen, Kulanz bei Beschwerden etc.).

Energieversorger können gerade ihre oft starke bestehende Vertrauensposition beim Kunden nutzen, um die Kundenschnittstelle in Wertschöpfungsnetzen zu besetzen und einer Verdrängung durch neue digitale Player auf die Infrastrukturebene zu begegnen.

Offene Partnerplattformen

Eine zentrale Rolle in digitalen Wertschöpfungsnetzen spielen Plattformen. Unternehmen stellen sich gegenseitig Geschäftsprozesskomponenten bereit, die es Partnern ermöglichen, Wertschöpfung mit geringem Aufwand zu komponieren. Häufig beteiligt sich der Plattformanbieter an der Orchestrierung der Wertschöpfung und ist das dominante Unternehmen in einem Wertschöpfungsnetz, das vielen kleineren Marktteilnehmern erst ihre Geschäftsmodelle ermöglicht.

Durch die Öffnung der eigenen Onlineshops für andere Anbieter wurde Amazon zum Plattformanbieter (Amazon Marketplace). Amazon bietet damit anderen Unternehmen oder auch Privatleuten einen Einstieg in den Onlinehandel und stellt dabei auch seine Bezahl- und Logistikfunktionen als B2B-Angebote bereit. Dadurch monetarisiert Amazon seine Kundenbeziehungen sowie das Vertrauen, das Kunden dem Unternehmen Amazon entgegen bringen. Zusätzlich erhält Amazon einen tiefen Einblick in Angebot und Nachfrage auch von direkten Wettbewerbern und kann diese fast nach Belieben steuern.

Intelligente Infrastruktur

Infrastrukturanbieter stellen für nachgelagerte Anbieter grundlegende, typischerweise wenig differenzierte Basisdienstleistungen bereit. Hierzu zählen Energie-Infrastrukturen genauso wie Kommunikations- und IT-Infrastrukturen. Dieser Teil der Wertschöpfung wird voraussichtlich in den nächsten Jahren wenig Wachstumspotenzial bieten. Infrastruktur-Geschäftsmodelle sind kapitalintensiv und zeichnen sich durch hohe Effizienzanforderungen sowie Skaleneffekte aus. Um als Infrastruktur-Betreiber an Wachstumsmärkten zu partizipieren gilt es, eine intelligente Infrastruktur mit flexiblen Schnittstellen auszuprägen, die auch von Dritten als Basis für neue Dienstleistungen genutzt werden kann. In der Energiewirtschaft zählen hierzu beispielsweise Demand Response, Energiespeicherung, Schwarmmodelle, aber auch Smart-Home-Angebote oder Full Service Wohnungs- oder Vermietungsangebote.

Amazon hat auch diesen Bereich für sich besetzt. Für den eigenen Geschäftsbetrieb benötigt man selbst global verteilte Rechenzentren und hochverfügbare IT-Dienste. Mit Amazon Web Services wird diese Cloud-Infrastruktur Dritten zur Verfügung gestellt. Dies ist aktuell der profitabelste Geschäftszweig von Amazon. Damit hat sich ein Online-Buchhändler zu einem globalen Wettbewerber für IT-Dienstleister gewandelt.

Fazit – RELEVANT BLEIBEN!

Um Ihr Energieversorgungsunternehmen künftig gewinnbringend am digitalen Wandel auszurichten, wird es darauf ankommen, in einer oder mehrerer dieser Rollen relevant zu bleiben. Kunden suchen sich heute die Anbieter aus, die unkompliziert zu ihren Lebensumständen und Geschäftserfordernissen passen und am richtigen Ort zum richtigen (oft schnellstmöglichen) Zeitpunkt, das genau passende Angebot bereit haben. Wechselhemmnisse und Markentreue haben in vielen Branchen rapide abgenommen oder gelten längstens für wenige Jahre. Es gelten nicht mehr die anbieterorientierten 4Ps des Marketings, sondern die kundenorientierten 4Cs. Als Energieversorgungsunternehmen im digitalen Zeitalter müssen Sie die für Sie passende Kombination der Rollen 1-3 herauszufinden und konsequent kundenorientiert umsetzen. Nur so haben sie eine Chance sich gegen neue Player und auch die gestiegenen Anforderungen der Regulierung zu behaupten. Amazon mag in Ihren Augen geschäftlich weit entfernt sein: ihre Kunden haben sich an One-Click und Same-Day-Delivery gewöhnt und erwarten Vergleichbares von Ihnen!

Newsletter Energiewirtschaft 02/2016

Den Beitrag von Dr. Florian Bieberbach finden Sie auch im unserem aktuellen Newsletter! Lesen Sie welche Top-Themen die Energiebranche derzeit bewegen:
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