Energietalent Wasserstoff: Klimaschutz-Potenziale in allen Sektoren ausschöpfen

Neben Industrie und Verkehr kann der Einsatz von Wasserstoff auch im Wärmemarkt CO2-Emissionen senken. Um bis 2050 klimaneutral zu werden, müssen wir alle Anwendungsmöglichkeiten von Wasserstoff nutzen.

Wasserstoff kann neben dem Ausbau der Erneuerbaren Energien zu einer zweiten wichtigen Säule der Energiewende zu werden.  „Grünen“ Elektronen werden „grüne“ Moleküle zur Seite gestellt – dieses Ziel formulieren sowohl die europäische als auch die nationale Wasserstoffstrategie. Intensiv wird jedoch darüber diskutiert, in welchen Bereichen Wasserstoff künftig eingesetzt werden sollte. Weitgehend Konsens herrscht gegenüber dem Einsatz in industriellen Prozessen wie der Stahlerzeugung und in Teilen des Mobilitätssektors wie dem Flugverkehr. Strittig hingegen ist die Nutzung von Wasserstoff im Wärmemarkt.

Für mich ist klar: Der Einsatz von Wasserstoff ist eine Chance für alle Sektoren, Treibhausgasemissionen zu senken – vom Hochofen bis zum Heizkessel. Um den Aufbau eines Marktes zu unterstützen und Deutschland zum Vorreiter in Wasserstofftechnologien zu machen, muss die Bundesregierung ihren Blick weiten: Wir sprechen über die Transformation eines Gesamtsystems mit Energieträgern, Infrastruktur und Anwendungen. Dieser systemische Blick fällt in der Debatte um Wasserstoff zu oft unter den Tisch.

Vielfalt des Wärmemarktes anerkennen

Energie möglichst effizient zu nutzen, bleibt eine zentrale Aufgabe der Energiewende. Hier müssen wir noch besser werden und brach liegende Potenziale heben. Doch die pauschale Forderung nach höheren Sanierungsraten springt zu kurz, denn gerade die Wärmewende findet nicht im Rechenkästchen auf einem weißen Blatt Papier statt. Zwischen Stadt und Land, Bestand und Neubau, Mieter und Vermieter müssen individuelle Lösungen gefunden werden. Kein anderes Feld der Energiewende ist sozialpolitisch so sensibel wie die Frage nach einem warmen Zuhause. Um Klimaneutralität im Gebäudesektor zu erreichen braucht es daher alle Instrumente – die Steigerung der Sanierungsrate ebenso wie den Einsatz von Wärmepumpen, grüner Fernwärme und klimaneutraler Gase im Brennwertkessel. Die Vielfalt des Wärmemarktes kann eine Hürde sein, sie bietet aber auch eine große Chance. Denn der richtige Rahmen für einen intelligenten Technologiemix sorgt für Effizienz, Resilienz und für Wettbewerb um die besten Lösungen.

Vorhandene Infrastrukturen nutzen

Ein weiterer Grund für die Fortentwicklung des Gesamtsystems ist die vorhandene und leistungsfähige Gasinfrastruktur, die künftig auch für Wasserstoff genutzt werden kann: 547.000 Kilometer, die schon heute eine Beimischung von bis zu 10 Prozent Wasserstoff aufnehmen können. Weitere Pilotprojekte testen bereits höhere Anteile. Daneben werden schon früh Versorgungsleitungen treten, die reinen Wasserstoff transportieren.  Hinzu kommen die Untergrund-Kavernenspeicher, die fast zwei Drittel des Volumens der deutschen Gasspeicher ausmachen. Auch diese lassen sich vollständig für die Speicherung von Wasserstoff nutzen und liefern so Flexibilität und Versorgungssicherheit, die den Ausbau der EE-Erzeugung flankieren.

Wichtig ist, die Infrastruktur für den Einsatz klimaneutrale Gase weiter zu ertüchtigen und den Regulierungsrahmen zeitnah anzupassen. Die Unternehmen stehen bereit und benötigen ein klares politische Bekenntnis zum Wasserstoff auf allen Netzebenen als Grundlage für ihre Investitionen.

Erneuerbare Energien weiter ausbauen

Die wichtigste Voraussetzung für einen breiten Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft ist aber zweifellos der weitere Ausbau der Erneuerbaren Energien – und zwar weltweit. Wer vom Wasserstoff schwärmt, muss bei den Erneuerbaren Taten sprechen lassen! Hindernisse für Wind und PV sind immer auch Hindernisse für die Erzeugung erneuerbarer Gase. Das gilt in Deutschland, wo die Hemmnisse für den EE-Ausbau dringend beseitigt gehören. Und das gilt für die Importperspektive, für die zu Beginn auch dekarbonisierter Wasserstoff eine wichtige Rolle spielt.

Klar ist, dass sich mit der Frage nach dem Potenzial der EE-Erzeugung die Frage entscheidet, wie viel Wasserstoff wir für eine klimaneutrale Welt einsetzen können. Zu kleinmütig erscheint mir die Debatte um einen „Peak-Hydrogen“, noch bevor wir in den Hochlauf dieser Technologie richtig eingestiegen sind.

Hoffnungsvoll stimmt mich ein politisches Signal, das einen wichtigen Anreiz schafft, zunehmend grünen Wasserstoff zu produzieren. Die Befreiung von der EEG-Umlage für Elektrolyseure ist für die heimische Produktion ein wichtiger Schritt und zeigt an, dass die Bundesregierung es mit der Umsetzung ihrer Strategie ernst meint. Wenn rasch weitere Schritte auf ganzer Bandbreite folgen, haben Deutschland und Europa das Potenzial zum Vorreiter der Wasserstoffwirtschaft zu werden, Wertschöpfungstiefe über alle Sektoren zu sichern und den Industriestandort Europa auszubauen.

 

Kerstin Andreae

Kerstin Andreae
Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft